Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Mein Vater hat mir heut geschrieben. Er ist sehr böse, daß ich schon über die Zeit ausgeblieben bin, und droht, mich zu enterben, wenn ich nicht zwi- schen heut und drey Wochen zu Hause sey. Das kostet mich, bey Gott! mein Leben; ich fühls schon. Jch kann an keinem andern Ort seyn, als wo sie ist! Das weis mein Vater, und ich soll doch fort. O, ich möchte rasend werden über das verwünschte Schicksal, das mich hieher brachte! Seit ich Ma- rianen sah, hatt ich keinen, ganz frohen, Augenblick, und das dauert nun schon ins zweyte Jahr. Nun soll ich gar sie nicht mehr sehen. Das einzige, was mich bisher noch erhalten hat; sonst wäre ich längst todt. -- Sagt, was fang ich nun an? Beydes ist gleich schrecklich: Ohne sie seyn, und von seinem Va- ter enterbt und verflucht werden. Er hält Wort; ich kenn ihn schon. -- Nun rathet mir! Sieg- wart und Kronhelm zuckten die Achseln; keiner wu- ste, was er sagen sollte? -- Nicht wahr, sagte er, ihr könnt mir auch nicht rathen? Und wie solls nun ich? -- Das beste ist, daß es nicht mehr lang währt! Es steckt mir so schon etlich Tage her ein Schelm im Leib. -- Nur das Weggehn, davor graut mir! Jch wollt mir lieber jetzt gleich eine Kugel vor den Kopf schiessen lassen; so wärs doch Mein Vater hat mir heut geſchrieben. Er iſt ſehr boͤſe, daß ich ſchon uͤber die Zeit ausgeblieben bin, und droht, mich zu enterben, wenn ich nicht zwi- ſchen heut und drey Wochen zu Hauſe ſey. Das koſtet mich, bey Gott! mein Leben; ich fuͤhls ſchon. Jch kann an keinem andern Ort ſeyn, als wo ſie iſt! Das weis mein Vater, und ich ſoll doch fort. O, ich moͤchte raſend werden uͤber das verwuͤnſchte Schickſal, das mich hieher brachte! Seit ich Ma- rianen ſah, hatt ich keinen, ganz frohen, Augenblick, und das dauert nun ſchon ins zweyte Jahr. Nun ſoll ich gar ſie nicht mehr ſehen. Das einzige, was mich bisher noch erhalten hat; ſonſt waͤre ich laͤngſt todt. — Sagt, was fang ich nun an? Beydes iſt gleich ſchrecklich: Ohne ſie ſeyn, und von ſeinem Va- ter enterbt und verflucht werden. Er haͤlt Wort; ich kenn ihn ſchon. — Nun rathet mir! Sieg- wart und Kronhelm zuckten die Achſeln; keiner wu- ſte, was er ſagen ſollte? — Nicht wahr, ſagte er, ihr koͤnnt mir auch nicht rathen? Und wie ſolls nun ich? — Das beſte iſt, daß es nicht mehr lang waͤhrt! Es ſteckt mir ſo ſchon etlich Tage her ein Schelm im Leib. — Nur das Weggehn, davor graut mir! Jch wollt mir lieber jetzt gleich eine Kugel vor den Kopf ſchieſſen laſſen; ſo waͤrs doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0203" n="623"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Mein Vater hat mir heut geſchrieben. Er iſt ſehr<lb/> boͤſe, daß ich ſchon uͤber die Zeit ausgeblieben bin,<lb/> und droht, mich zu enterben, wenn ich nicht zwi-<lb/> ſchen heut und drey Wochen zu Hauſe ſey. Das<lb/> koſtet mich, bey Gott! mein Leben; ich fuͤhls ſchon.<lb/> Jch kann an keinem andern Ort ſeyn, als wo ſie iſt!<lb/> Das weis mein Vater, und ich ſoll doch fort. O,<lb/> ich moͤchte raſend werden uͤber das verwuͤnſchte<lb/> Schickſal, das mich hieher brachte! Seit ich Ma-<lb/> rianen ſah, hatt ich keinen, ganz frohen, Augenblick,<lb/> und das dauert nun ſchon ins zweyte Jahr. Nun<lb/> ſoll ich gar ſie nicht mehr ſehen. Das einzige, was<lb/> mich bisher noch erhalten hat; ſonſt waͤre ich laͤngſt<lb/> todt. — Sagt, was fang ich nun an? Beydes iſt<lb/> gleich ſchrecklich: Ohne ſie ſeyn, und von ſeinem Va-<lb/> ter enterbt und verflucht werden. Er haͤlt Wort;<lb/> ich kenn ihn ſchon. — Nun rathet mir! Sieg-<lb/> wart und Kronhelm zuckten die Achſeln; keiner wu-<lb/> ſte, was er ſagen ſollte? — Nicht wahr, ſagte er,<lb/> ihr koͤnnt mir auch nicht rathen? Und wie ſolls<lb/> nun ich? — Das beſte iſt, daß es nicht mehr lang<lb/> waͤhrt! Es ſteckt mir ſo ſchon etlich Tage her ein<lb/> Schelm im Leib. — Nur das Weggehn, davor<lb/> graut mir! Jch wollt mir lieber jetzt gleich eine<lb/> Kugel vor den Kopf ſchieſſen laſſen; ſo waͤrs doch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [623/0203]
Mein Vater hat mir heut geſchrieben. Er iſt ſehr
boͤſe, daß ich ſchon uͤber die Zeit ausgeblieben bin,
und droht, mich zu enterben, wenn ich nicht zwi-
ſchen heut und drey Wochen zu Hauſe ſey. Das
koſtet mich, bey Gott! mein Leben; ich fuͤhls ſchon.
Jch kann an keinem andern Ort ſeyn, als wo ſie iſt!
Das weis mein Vater, und ich ſoll doch fort. O,
ich moͤchte raſend werden uͤber das verwuͤnſchte
Schickſal, das mich hieher brachte! Seit ich Ma-
rianen ſah, hatt ich keinen, ganz frohen, Augenblick,
und das dauert nun ſchon ins zweyte Jahr. Nun
ſoll ich gar ſie nicht mehr ſehen. Das einzige, was
mich bisher noch erhalten hat; ſonſt waͤre ich laͤngſt
todt. — Sagt, was fang ich nun an? Beydes iſt
gleich ſchrecklich: Ohne ſie ſeyn, und von ſeinem Va-
ter enterbt und verflucht werden. Er haͤlt Wort;
ich kenn ihn ſchon. — Nun rathet mir! Sieg-
wart und Kronhelm zuckten die Achſeln; keiner wu-
ſte, was er ſagen ſollte? — Nicht wahr, ſagte er,
ihr koͤnnt mir auch nicht rathen? Und wie ſolls
nun ich? — Das beſte iſt, daß es nicht mehr lang
waͤhrt! Es ſteckt mir ſo ſchon etlich Tage her ein
Schelm im Leib. — Nur das Weggehn, davor
graut mir! Jch wollt mir lieber jetzt gleich eine
Kugel vor den Kopf ſchieſſen laſſen; ſo waͤrs doch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |