Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.ganz Gott; bat ihn um Vergebung, daß er ihm so lang sein Herz entzogen habe! -- Bald war seine ganze Seele wieder bey Marianen, hieng an ihrem Blick, und fühlte es, daß nichts auf der Welt im Stande sey, sie von ihr loszureissen. -- P. Phi- lipps Brief schloß er ein, damit er ihm nicht zu Ge- sichte kommen möchte; er wollte nicht dran den- ken, und dachte doch immer dran. Es graute ihm schon von fern vor der Beantwortung des Brie- fes; aber auch daran mochte er noch nicht denken. So tief wehmüthig, wie jetzt, war er vorher noch nie gewesen. Alle Schwierigkeiten, die sich seiner Liebe hätten widersetzen können, waren ihm leicht vorgekommen; aber diese letzte, gegen die er sich bisher immer eingeschläfert hatte, schien ihm jetzt unüber- windlich. Er wuste wohl, daß er, um seines Va- ters willen, nicht schlechterdings gezwungen sey, ins Kloster zu gehen; aber die Verpflichtung, die er Gott schuldig zu seyn glaubte, erschreckte ihn. Er glaubte eine Untreue an ihm zu begehen, wenn er die Welt der Zelle vorzöge. -- Einigemal beschloß er fest, alle Gelegenheit, Marianen zu sehen, zu vermeiden, und so wenig, als möglich, an sie zu denken. -- Nur noch Einmal, dachte er dann wieder, muß ich mich an ihrem Anblick weiden, ganz Gott; bat ihn um Vergebung, daß er ihm ſo lang ſein Herz entzogen habe! — Bald war ſeine ganze Seele wieder bey Marianen, hieng an ihrem Blick, und fuͤhlte es, daß nichts auf der Welt im Stande ſey, ſie von ihr loszureiſſen. — P. Phi- lipps Brief ſchloß er ein, damit er ihm nicht zu Ge- ſichte kommen moͤchte; er wollte nicht dran den- ken, und dachte doch immer dran. Es graute ihm ſchon von fern vor der Beantwortung des Brie- fes; aber auch daran mochte er noch nicht denken. So tief wehmuͤthig, wie jetzt, war er vorher noch nie geweſen. Alle Schwierigkeiten, die ſich ſeiner Liebe haͤtten widerſetzen koͤnnen, waren ihm leicht vorgekommen; aber dieſe letzte, gegen die er ſich bisher immer eingeſchlaͤfert hatte, ſchien ihm jetzt unuͤber- windlich. Er wuſte wohl, daß er, um ſeines Va- ters willen, nicht ſchlechterdings gezwungen ſey, ins Kloſter zu gehen; aber die Verpflichtung, die er Gott ſchuldig zu ſeyn glaubte, erſchreckte ihn. Er glaubte eine Untreue an ihm zu begehen, wenn er die Welt der Zelle vorzoͤge. — Einigemal beſchloß er feſt, alle Gelegenheit, Marianen zu ſehen, zu vermeiden, und ſo wenig, als moͤglich, an ſie zu denken. — Nur noch Einmal, dachte er dann wieder, muß ich mich an ihrem Anblick weiden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0186" n="606"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ganz Gott; bat ihn um Vergebung, daß er ihm ſo<lb/> lang ſein Herz entzogen habe! — Bald war ſeine<lb/> ganze Seele wieder bey Marianen, hieng an ihrem<lb/> Blick, und fuͤhlte es, daß nichts auf der Welt im<lb/> Stande ſey, ſie von ihr loszureiſſen. — P. Phi-<lb/> lipps Brief ſchloß er ein, damit er ihm nicht zu Ge-<lb/> ſichte kommen moͤchte; er wollte nicht dran den-<lb/> ken, und dachte doch immer dran. Es graute ihm<lb/> ſchon von fern vor der Beantwortung des Brie-<lb/> fes; aber auch daran mochte er noch nicht denken.<lb/> So tief wehmuͤthig, wie jetzt, war er vorher noch<lb/> nie geweſen. Alle Schwierigkeiten, die ſich ſeiner<lb/> Liebe haͤtten widerſetzen koͤnnen, waren ihm leicht<lb/> vorgekommen; aber dieſe letzte, gegen die er ſich bisher<lb/> immer eingeſchlaͤfert hatte, ſchien ihm jetzt unuͤber-<lb/> windlich. Er wuſte wohl, daß er, um ſeines Va-<lb/> ters willen, nicht ſchlechterdings gezwungen ſey,<lb/> ins Kloſter zu gehen; aber die Verpflichtung, die er<lb/> Gott ſchuldig zu ſeyn glaubte, erſchreckte ihn. Er<lb/> glaubte eine Untreue an ihm zu begehen, wenn er<lb/> die Welt der Zelle vorzoͤge. — Einigemal beſchloß<lb/> er feſt, alle Gelegenheit, Marianen zu ſehen, zu<lb/> vermeiden, und ſo wenig, als moͤglich, an ſie zu<lb/> denken. — Nur noch Einmal, dachte er dann<lb/> wieder, muß ich mich an ihrem Anblick weiden,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [606/0186]
ganz Gott; bat ihn um Vergebung, daß er ihm ſo
lang ſein Herz entzogen habe! — Bald war ſeine
ganze Seele wieder bey Marianen, hieng an ihrem
Blick, und fuͤhlte es, daß nichts auf der Welt im
Stande ſey, ſie von ihr loszureiſſen. — P. Phi-
lipps Brief ſchloß er ein, damit er ihm nicht zu Ge-
ſichte kommen moͤchte; er wollte nicht dran den-
ken, und dachte doch immer dran. Es graute ihm
ſchon von fern vor der Beantwortung des Brie-
fes; aber auch daran mochte er noch nicht denken.
So tief wehmuͤthig, wie jetzt, war er vorher noch
nie geweſen. Alle Schwierigkeiten, die ſich ſeiner
Liebe haͤtten widerſetzen koͤnnen, waren ihm leicht
vorgekommen; aber dieſe letzte, gegen die er ſich bisher
immer eingeſchlaͤfert hatte, ſchien ihm jetzt unuͤber-
windlich. Er wuſte wohl, daß er, um ſeines Va-
ters willen, nicht ſchlechterdings gezwungen ſey,
ins Kloſter zu gehen; aber die Verpflichtung, die er
Gott ſchuldig zu ſeyn glaubte, erſchreckte ihn. Er
glaubte eine Untreue an ihm zu begehen, wenn er
die Welt der Zelle vorzoͤge. — Einigemal beſchloß
er feſt, alle Gelegenheit, Marianen zu ſehen, zu
vermeiden, und ſo wenig, als moͤglich, an ſie zu
denken. — Nur noch Einmal, dachte er dann
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