Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Melancholie gefühlt. Mir ist so wohl, und so weh- müthig! -- Mir auch, Bruder! sagte Siegwart mit bebender Stimme. -- Sie setzten sich an das, etwas erhöhte Donauufer hin, blickten den Wellen nach, und dachten nichts. -- Wie alles so geschwind geht! sagte Kronhelm, nach einer langen Pause. Nur das Leben geht so langsam, wenn man unglück- lich ist. Ach Bruder, das Wasser kommt von dei- nem Dorfe her. Wenn jetzt Therese auch so da sässe, und an mich dächte! -- Vielleicht thut sies. Meynst du nicht, Siegwart? -- Ja, vielleicht, Bruder, antwortete Xaver. Jch wünsch es dir. -- Nun schwiegen beyde wieder. -- Jndem schwamm ein todter Mensch in der Donau herunter. Herr Jesus! rief Siegwart, sieh! dort! -- Jn dem An- genblick sprang er nach der nah gelegnen Fischerhüt- te, und rief dem Fischer, der sogleich in seinem Kahn hinausfuhr, und den Leichnam auffieng. Es war ein junges Mädchen, das nicht übel aussah, von neunzehn oder zwanzig Jahren. Der Kleidung nach wars ein Dienstmädchen. Ueber eine Stunde konnte sie noch nicht im Wasser gelegen haben, denn sie sah noch frisch und roth im Gesicht, und ihre Fingergelenke waren noch nicht einmal steif. Der Fischer stürzte sie auf den Kopf, in der ver- Melancholie gefuͤhlt. Mir iſt ſo wohl, und ſo weh- muͤthig! — Mir auch, Bruder! ſagte Siegwart mit bebender Stimme. — Sie ſetzten ſich an das, etwas erhoͤhte Donauufer hin, blickten den Wellen nach, und dachten nichts. — Wie alles ſo geſchwind geht! ſagte Kronhelm, nach einer langen Pauſe. Nur das Leben geht ſo langſam, wenn man ungluͤck- lich iſt. Ach Bruder, das Waſſer kommt von dei- nem Dorfe her. Wenn jetzt Thereſe auch ſo da ſaͤſſe, und an mich daͤchte! — Vielleicht thut ſies. Meynſt du nicht, Siegwart? — Ja, vielleicht, Bruder, antwortete Xaver. Jch wuͤnſch es dir. — Nun ſchwiegen beyde wieder. — Jndem ſchwamm ein todter Menſch in der Donau herunter. Herr Jeſus! rief Siegwart, ſieh! dort! — Jn dem An- genblick ſprang er nach der nah gelegnen Fiſcherhuͤt- te, und rief dem Fiſcher, der ſogleich in ſeinem Kahn hinausfuhr, und den Leichnam auffieng. Es war ein junges Maͤdchen, das nicht uͤbel ausſah, von neunzehn oder zwanzig Jahren. Der Kleidung nach wars ein Dienſtmaͤdchen. Ueber eine Stunde konnte ſie noch nicht im Waſſer gelegen haben, denn ſie ſah noch friſch und roth im Geſicht, und ihre Fingergelenke waren noch nicht einmal ſteif. Der Fiſcher ſtuͤrzte ſie auf den Kopf, in der ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0160" n="580"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Melancholie gefuͤhlt. Mir iſt ſo wohl, und ſo weh-<lb/> muͤthig! — Mir auch, Bruder! ſagte Siegwart<lb/> mit bebender Stimme. — Sie ſetzten ſich an das,<lb/> etwas erhoͤhte Donauufer hin, blickten den Wellen<lb/> nach, und dachten nichts. — Wie alles ſo geſchwind<lb/> geht! ſagte Kronhelm, nach einer langen Pauſe.<lb/> Nur das Leben geht ſo langſam, wenn man ungluͤck-<lb/> lich iſt. Ach Bruder, das Waſſer kommt von dei-<lb/> nem Dorfe her. Wenn jetzt Thereſe auch ſo da<lb/> ſaͤſſe, und an mich daͤchte! — Vielleicht thut ſies.<lb/> Meynſt du nicht, Siegwart? — Ja, vielleicht,<lb/> Bruder, antwortete Xaver. Jch wuͤnſch es dir.<lb/> — Nun ſchwiegen beyde wieder. — Jndem ſchwamm<lb/> ein todter Menſch in der Donau herunter. Herr<lb/> Jeſus! rief Siegwart, ſieh! dort! — Jn dem An-<lb/> genblick ſprang er nach der nah gelegnen Fiſcherhuͤt-<lb/> te, und rief dem Fiſcher, der ſogleich in ſeinem Kahn<lb/> hinausfuhr, und den Leichnam auffieng. Es war<lb/> ein junges Maͤdchen, das nicht uͤbel ausſah, von<lb/> neunzehn oder zwanzig Jahren. Der Kleidung<lb/> nach wars ein Dienſtmaͤdchen. Ueber eine Stunde<lb/> konnte ſie noch nicht im Waſſer gelegen haben,<lb/> denn ſie ſah noch friſch und roth im Geſicht, und<lb/> ihre Fingergelenke waren noch nicht einmal ſteif.<lb/> Der Fiſcher ſtuͤrzte ſie auf den Kopf, in der ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [580/0160]
Melancholie gefuͤhlt. Mir iſt ſo wohl, und ſo weh-
muͤthig! — Mir auch, Bruder! ſagte Siegwart
mit bebender Stimme. — Sie ſetzten ſich an das,
etwas erhoͤhte Donauufer hin, blickten den Wellen
nach, und dachten nichts. — Wie alles ſo geſchwind
geht! ſagte Kronhelm, nach einer langen Pauſe.
Nur das Leben geht ſo langſam, wenn man ungluͤck-
lich iſt. Ach Bruder, das Waſſer kommt von dei-
nem Dorfe her. Wenn jetzt Thereſe auch ſo da
ſaͤſſe, und an mich daͤchte! — Vielleicht thut ſies.
Meynſt du nicht, Siegwart? — Ja, vielleicht,
Bruder, antwortete Xaver. Jch wuͤnſch es dir.
— Nun ſchwiegen beyde wieder. — Jndem ſchwamm
ein todter Menſch in der Donau herunter. Herr
Jeſus! rief Siegwart, ſieh! dort! — Jn dem An-
genblick ſprang er nach der nah gelegnen Fiſcherhuͤt-
te, und rief dem Fiſcher, der ſogleich in ſeinem Kahn
hinausfuhr, und den Leichnam auffieng. Es war
ein junges Maͤdchen, das nicht uͤbel ausſah, von
neunzehn oder zwanzig Jahren. Der Kleidung
nach wars ein Dienſtmaͤdchen. Ueber eine Stunde
konnte ſie noch nicht im Waſſer gelegen haben,
denn ſie ſah noch friſch und roth im Geſicht, und
ihre Fingergelenke waren noch nicht einmal ſteif.
Der Fiſcher ſtuͤrzte ſie auf den Kopf, in der ver-
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