kniete nieder. Jm Hingehn warf sie einen Blick auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang. Er sah sie langsam, und andächtig vor sich hin gehn, und wuste nicht, ob er ihr folgen, oder bleiben sollte? Er zitterte, daß die Kügelchen an seinem Rosenkranze klapperten. Sie kniete schon etliche Minuten, da schlich er sich ängstlich und zögernd nach dem Chor. Sie kniete im vordersten Reihen, unter denen, die das Abendmahl geniessen wollten. Er kniete sich an der Seitenwand der Kir- che ihr fast gegenüber nieder. Die Musik, die in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm sein ganzes Leben durch die liebste, und rührte, sobald sie angestimmt wurde, alle Saiten seines Herzens. Der Priester, der die Hostie austheilte, gieng um- her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick hätt' er alles hingegeben, um der Priester, oder einer von den Knaben zu seyn., die das Tuch unterhiel- ten. So oft er nachher einen von den Knaben sah, stellte sich ihm die ganze feyerliche Handlung wieder lebendig dar, und seine Seele glühte. Er liebte die Knaben, und war doch eifersüchtig auf sie. Als ein dritter ihr den Spühlkelch reichte, da bebte seine Seele vor Verlangen, nach ihr aus dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Mädchen,
kniete nieder. Jm Hingehn warf ſie einen Blick auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang. Er ſah ſie langſam, und andaͤchtig vor ſich hin gehn, und wuſte nicht, ob er ihr folgen, oder bleiben ſollte? Er zitterte, daß die Kuͤgelchen an ſeinem Roſenkranze klapperten. Sie kniete ſchon etliche Minuten, da ſchlich er ſich aͤngſtlich und zoͤgernd nach dem Chor. Sie kniete im vorderſten Reihen, unter denen, die das Abendmahl genieſſen wollten. Er kniete ſich an der Seitenwand der Kir- che ihr faſt gegenuͤber nieder. Die Muſik, die in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm ſein ganzes Leben durch die liebſte, und ruͤhrte, ſobald ſie angeſtimmt wurde, alle Saiten ſeines Herzens. Der Prieſter, der die Hoſtie austheilte, gieng um- her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick haͤtt’ er alles hingegeben, um der Prieſter, oder einer von den Knaben zu ſeyn., die das Tuch unterhiel- ten. So oft er nachher einen von den Knaben ſah, ſtellte ſich ihm die ganze feyerliche Handlung wieder lebendig dar, und ſeine Seele gluͤhte. Er liebte die Knaben, und war doch eiferſuͤchtig auf ſie. Als ein dritter ihr den Spuͤhlkelch reichte, da bebte ſeine Seele vor Verlangen, nach ihr aus dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Maͤdchen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="577"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
kniete nieder. Jm Hingehn warf ſie einen Blick<lb/>
auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang.<lb/>
Er ſah ſie langſam, und andaͤchtig vor ſich hin<lb/>
gehn, und wuſte nicht, ob er ihr folgen, oder<lb/>
bleiben ſollte? Er zitterte, daß die Kuͤgelchen an<lb/>ſeinem Roſenkranze klapperten. Sie kniete ſchon<lb/>
etliche Minuten, da ſchlich er ſich aͤngſtlich und<lb/>
zoͤgernd nach dem Chor. Sie kniete im vorderſten<lb/>
Reihen, unter denen, die das Abendmahl genieſſen<lb/>
wollten. Er kniete ſich an der Seitenwand der Kir-<lb/>
che ihr faſt gegenuͤber nieder. Die Muſik, die<lb/>
in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm ſein<lb/>
ganzes Leben durch die liebſte, und ruͤhrte, ſobald<lb/>ſie angeſtimmt wurde, alle Saiten ſeines Herzens.<lb/>
Der Prieſter, der die Hoſtie austheilte, gieng um-<lb/>
her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick haͤtt’<lb/>
er alles hingegeben, um der Prieſter, oder einer<lb/>
von den Knaben zu ſeyn., die das Tuch unterhiel-<lb/>
ten. So oft er nachher einen von den Knaben<lb/>ſah, ſtellte ſich ihm die ganze feyerliche Handlung<lb/>
wieder lebendig dar, und ſeine Seele gluͤhte. Er<lb/>
liebte die Knaben, und war doch eiferſuͤchtig auf<lb/>ſie. Als ein dritter ihr den Spuͤhlkelch reichte, da<lb/>
bebte ſeine Seele vor Verlangen, nach ihr aus<lb/>
dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Maͤdchen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[577/0157]
kniete nieder. Jm Hingehn warf ſie einen Blick
auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang.
Er ſah ſie langſam, und andaͤchtig vor ſich hin
gehn, und wuſte nicht, ob er ihr folgen, oder
bleiben ſollte? Er zitterte, daß die Kuͤgelchen an
ſeinem Roſenkranze klapperten. Sie kniete ſchon
etliche Minuten, da ſchlich er ſich aͤngſtlich und
zoͤgernd nach dem Chor. Sie kniete im vorderſten
Reihen, unter denen, die das Abendmahl genieſſen
wollten. Er kniete ſich an der Seitenwand der Kir-
che ihr faſt gegenuͤber nieder. Die Muſik, die
in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm ſein
ganzes Leben durch die liebſte, und ruͤhrte, ſobald
ſie angeſtimmt wurde, alle Saiten ſeines Herzens.
Der Prieſter, der die Hoſtie austheilte, gieng um-
her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick haͤtt’
er alles hingegeben, um der Prieſter, oder einer
von den Knaben zu ſeyn., die das Tuch unterhiel-
ten. So oft er nachher einen von den Knaben
ſah, ſtellte ſich ihm die ganze feyerliche Handlung
wieder lebendig dar, und ſeine Seele gluͤhte. Er
liebte die Knaben, und war doch eiferſuͤchtig auf
ſie. Als ein dritter ihr den Spuͤhlkelch reichte, da
bebte ſeine Seele vor Verlangen, nach ihr aus
dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Maͤdchen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/157>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.