Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.nicht recht gesund bin. Jch hoffte aber auch, mei- ne Leut' im Aichstättischen noch einmal zu sehen. Lieber Gott! wie ich da vor meines Vaters Haus komm, und denk, ich will dem alten Mann eine Freude machen, daß er mich nach 20 Jahren wieder einmal sieht; da find' ich alles ganz und gar ver- ändert; lauter fremde Gesichter; und als ich frag, da weis kein Mensch nichts von meinen Leuten. Die sind seit zehen Jahren weg, und gestorben, hieß es -- das drang mir durch Mark und Bein, daß ich nicht mehr wuste, wo ich war? -- Hei- lige Mutter Gottes! sagt ich; sind sie alle gestor- ben? -- Hier stürzten dem ehrlichen Kapuziner die Thränen aus den Augen. Siegwart und Gut- fried weinten mit. -- Was ist denn das für ein Kerl da? rief Kirner zum Postillion, als sie bey einem Rad vorbey fuhren, auf dem ein kürzlich hingerichteter Mensch lag. Ja, das war ein feiner Geselle! Herr! antwortete der Schwager. Er ist auf der Mühle dort Knecht gewesen. Der hat seinem Herrn die Kasten aufgebrochen, und das Geld herausgenommen, und dann seine Tochter mit dem Beil umgebracht, weil sies sah, und ih- rem Vater sagen wollte. Meynen Sie, er habe gebetet, als man ihn räderte? Geflucht und ge- nicht recht geſund bin. Jch hoffte aber auch, mei- ne Leut’ im Aichſtaͤttiſchen noch einmal zu ſehen. Lieber Gott! wie ich da vor meines Vaters Haus komm, und denk, ich will dem alten Mann eine Freude machen, daß er mich nach 20 Jahren wieder einmal ſieht; da find’ ich alles ganz und gar ver- aͤndert; lauter fremde Geſichter; und als ich frag, da weis kein Menſch nichts von meinen Leuten. Die ſind ſeit zehen Jahren weg, und geſtorben, hieß es — das drang mir durch Mark und Bein, daß ich nicht mehr wuſte, wo ich war? — Hei- lige Mutter Gottes! ſagt ich; ſind ſie alle geſtor- ben? — Hier ſtuͤrzten dem ehrlichen Kapuziner die Thraͤnen aus den Augen. Siegwart und Gut- fried weinten mit. — Was iſt denn das fuͤr ein Kerl da? rief Kirner zum Poſtillion, als ſie bey einem Rad vorbey fuhren, auf dem ein kuͤrzlich hingerichteter Menſch lag. Ja, das war ein feiner Geſelle! Herr! antwortete der Schwager. Er iſt auf der Muͤhle dort Knecht geweſen. Der hat ſeinem Herrn die Kaſten aufgebrochen, und das Geld herausgenommen, und dann ſeine Tochter mit dem Beil umgebracht, weil ſies ſah, und ih- rem Vater ſagen wollte. Meynen Sie, er habe gebetet, als man ihn raͤderte? Geflucht und ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0131" n="551"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> nicht recht geſund bin. Jch hoffte aber auch, mei-<lb/> ne Leut’ im Aichſtaͤttiſchen noch einmal zu ſehen.<lb/> Lieber Gott! wie ich da vor meines Vaters Haus<lb/> komm, und denk, ich will dem alten Mann eine<lb/> Freude machen, daß er mich nach 20 Jahren wieder<lb/> einmal ſieht; da find’ ich alles ganz und gar ver-<lb/> aͤndert; lauter fremde Geſichter; und als ich frag,<lb/> da weis kein Menſch nichts von meinen Leuten.<lb/> Die ſind ſeit zehen Jahren weg, und geſtorben,<lb/> hieß es — das drang mir durch Mark und Bein,<lb/> daß ich nicht mehr wuſte, wo ich war? — Hei-<lb/> lige Mutter Gottes! ſagt ich; ſind ſie alle geſtor-<lb/> ben? — Hier ſtuͤrzten dem ehrlichen Kapuziner<lb/> die Thraͤnen aus den Augen. Siegwart und Gut-<lb/> fried weinten mit. — Was iſt denn das fuͤr ein<lb/> Kerl da? rief Kirner zum Poſtillion, als ſie bey<lb/> einem Rad vorbey fuhren, auf dem ein kuͤrzlich<lb/> hingerichteter Menſch lag. Ja, das war ein feiner<lb/> Geſelle! Herr! antwortete der Schwager. Er iſt<lb/> auf der Muͤhle dort Knecht geweſen. Der hat<lb/> ſeinem Herrn die Kaſten aufgebrochen, und das<lb/> Geld herausgenommen, und dann ſeine Tochter<lb/> mit dem Beil umgebracht, weil ſies ſah, und ih-<lb/> rem Vater ſagen wollte. Meynen Sie, er habe<lb/> gebetet, als man ihn raͤderte? Geflucht und ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [551/0131]
nicht recht geſund bin. Jch hoffte aber auch, mei-
ne Leut’ im Aichſtaͤttiſchen noch einmal zu ſehen.
Lieber Gott! wie ich da vor meines Vaters Haus
komm, und denk, ich will dem alten Mann eine
Freude machen, daß er mich nach 20 Jahren wieder
einmal ſieht; da find’ ich alles ganz und gar ver-
aͤndert; lauter fremde Geſichter; und als ich frag,
da weis kein Menſch nichts von meinen Leuten.
Die ſind ſeit zehen Jahren weg, und geſtorben,
hieß es — das drang mir durch Mark und Bein,
daß ich nicht mehr wuſte, wo ich war? — Hei-
lige Mutter Gottes! ſagt ich; ſind ſie alle geſtor-
ben? — Hier ſtuͤrzten dem ehrlichen Kapuziner
die Thraͤnen aus den Augen. Siegwart und Gut-
fried weinten mit. — Was iſt denn das fuͤr ein
Kerl da? rief Kirner zum Poſtillion, als ſie bey
einem Rad vorbey fuhren, auf dem ein kuͤrzlich
hingerichteter Menſch lag. Ja, das war ein feiner
Geſelle! Herr! antwortete der Schwager. Er iſt
auf der Muͤhle dort Knecht geweſen. Der hat
ſeinem Herrn die Kaſten aufgebrochen, und das
Geld herausgenommen, und dann ſeine Tochter
mit dem Beil umgebracht, weil ſies ſah, und ih-
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/131>, abgerufen am 18.07.2024. |