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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ganzen Tag nichts gessen hab, und so kraftlos
sey. Es war ein Jammer anzusehen, wie er
kläglich that, und zitterte. Jch, ohne lang mich
zu bestimmen, lauf ins Haus, will ihm einen
Scherben süsse Milch, und ein gut Stück Brod
dazu holen; denn ich denk halt immer, was man
den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter
den Lutheranern gibts doch auch Arme, und sind
auch Menschen, wie unser eins. -- Mein Mann
kommt wie wüthig hergelaufen, sagt, was will
der Ketzer draussen? Mach, daß er sich fort
schiert! -- Je, Mann, sagt ich, sey doch nicht so
arg! Jch wollt ihm nur ein Stücklein Brod ge-
ben. Siehst nicht, wie er aussieht? -- So!
das wär schön, hub er an; willst noch gar den
Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapper-
ment! Du bist mir ein rechtes Weib! Beym Teu-
fel! Man sollt dich aus dem Haus schmeissen.
Wirst wol gar noch Lutherisch werden wollen;
hast doch immer so Geschmeiß gnug an dir. Komm
mir nur, und gib ihm was! Theilst doch immer
gnug unter die Halunken unsers Glaubens aus.
Und da fieng er an zu fluchen, daß es schröcklich
war.



ganzen Tag nichts geſſen hab, und ſo kraftlos
ſey. Es war ein Jammer anzuſehen, wie er
klaͤglich that, und zitterte. Jch, ohne lang mich
zu beſtimmen, lauf ins Haus, will ihm einen
Scherben ſuͤſſe Milch, und ein gut Stuͤck Brod
dazu holen; denn ich denk halt immer, was man
den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter
den Lutheranern gibts doch auch Arme, und ſind
auch Menſchen, wie unſer eins. — Mein Mann
kommt wie wuͤthig hergelaufen, ſagt, was will
der Ketzer drauſſen? Mach, daß er ſich fort
ſchiert! — Je, Mann, ſagt ich, ſey doch nicht ſo
arg! Jch wollt ihm nur ein Stuͤcklein Brod ge-
ben. Siehſt nicht, wie er ausſieht? — So!
das waͤr ſchoͤn, hub er an; willſt noch gar den
Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapper-
ment! Du biſt mir ein rechtes Weib! Beym Teu-
fel! Man ſollt dich aus dem Haus ſchmeiſſen.
Wirſt wol gar noch Lutheriſch werden wollen;
haſt doch immer ſo Geſchmeiß gnug an dir. Komm
mir nur, und gib ihm was! Theilſt doch immer
gnug unter die Halunken unſers Glaubens aus.
Und da fieng er an zu fluchen, daß es ſchroͤcklich
war.

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[56/0060] ganzen Tag nichts geſſen hab, und ſo kraftlos ſey. Es war ein Jammer anzuſehen, wie er klaͤglich that, und zitterte. Jch, ohne lang mich zu beſtimmen, lauf ins Haus, will ihm einen Scherben ſuͤſſe Milch, und ein gut Stuͤck Brod dazu holen; denn ich denk halt immer, was man den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter den Lutheranern gibts doch auch Arme, und ſind auch Menſchen, wie unſer eins. — Mein Mann kommt wie wuͤthig hergelaufen, ſagt, was will der Ketzer drauſſen? Mach, daß er ſich fort ſchiert! — Je, Mann, ſagt ich, ſey doch nicht ſo arg! Jch wollt ihm nur ein Stuͤcklein Brod ge- ben. Siehſt nicht, wie er ausſieht? — So! das waͤr ſchoͤn, hub er an; willſt noch gar den Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapper- ment! Du biſt mir ein rechtes Weib! Beym Teu- fel! Man ſollt dich aus dem Haus ſchmeiſſen. Wirſt wol gar noch Lutheriſch werden wollen; haſt doch immer ſo Geſchmeiß gnug an dir. Komm mir nur, und gib ihm was! Theilſt doch immer gnug unter die Halunken unſers Glaubens aus. Und da fieng er an zu fluchen, daß es ſchroͤcklich war.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/60>, abgerufen am 24.11.2024.