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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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mehr herausstieß, als sprach, waren: Hilf, Herr
Jesu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.

Gottlob! hat wieder einer überwunden, sagte
Pater Anton, ließ den Kopf des Todten sinken,
und drückte ihm die Augenlieder zu. Er ist bey
seinem Heiland Jesu Christo, und bey allen Heili-
gen. Du guter Pater, Martin, warst ein from-
mer Mann; mein Ende sey wie deines! Der an-
dre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzei-
gen; Anton legte eine Decke über den Leichnam,
gieng ans Fenster, und schwieg eine Zeitlang still.

Siegwart gieng hierauf mit schwerem Her-
zen, und allein im Garten auf und nieder; stellte
sich die Züge des Sterbenden wieder vor, drückte
sie in seinem Herzen tief ein, und folgte seiner
Seele in Gedanken in den Himmel nach, sah den
Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfien-
gen, und ihr Palmenzweige streuten. Seine gan-
ze Seele war emporgehoben, und er wuste lange
nicht, daß ihm helle Zähren aus den Augen rollten.
Alle seine Wünsche waren auch ein solcher Tod;
und der einzige Weg dahin schien ihm das Kloster.
Er warf sich auf eine Rasenbank, verhüllte sein
Gesicht in beyde Hände, und lag in einer Art von



mehr herausſtieß, als ſprach, waren: Hilf, Herr
Jeſu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.

Gottlob! hat wieder einer uͤberwunden, ſagte
Pater Anton, ließ den Kopf des Todten ſinken,
und druͤckte ihm die Augenlieder zu. Er iſt bey
ſeinem Heiland Jeſu Chriſto, und bey allen Heili-
gen. Du guter Pater, Martin, warſt ein from-
mer Mann; mein Ende ſey wie deines! Der an-
dre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzei-
gen; Anton legte eine Decke uͤber den Leichnam,
gieng ans Fenſter, und ſchwieg eine Zeitlang ſtill.

Siegwart gieng hierauf mit ſchwerem Her-
zen, und allein im Garten auf und nieder; ſtellte
ſich die Zuͤge des Sterbenden wieder vor, druͤckte
ſie in ſeinem Herzen tief ein, und folgte ſeiner
Seele in Gedanken in den Himmel nach, ſah den
Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfien-
gen, und ihr Palmenzweige ſtreuten. Seine gan-
ze Seele war emporgehoben, und er wuſte lange
nicht, daß ihm helle Zaͤhren aus den Augen rollten.
Alle ſeine Wuͤnſche waren auch ein ſolcher Tod;
und der einzige Weg dahin ſchien ihm das Kloſter.
Er warf ſich auf eine Raſenbank, verhuͤllte ſein
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[46/0050] mehr herausſtieß, als ſprach, waren: Hilf, Herr Jeſu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da. Gottlob! hat wieder einer uͤberwunden, ſagte Pater Anton, ließ den Kopf des Todten ſinken, und druͤckte ihm die Augenlieder zu. Er iſt bey ſeinem Heiland Jeſu Chriſto, und bey allen Heili- gen. Du guter Pater, Martin, warſt ein from- mer Mann; mein Ende ſey wie deines! Der an- dre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzei- gen; Anton legte eine Decke uͤber den Leichnam, gieng ans Fenſter, und ſchwieg eine Zeitlang ſtill. Siegwart gieng hierauf mit ſchwerem Her- zen, und allein im Garten auf und nieder; ſtellte ſich die Zuͤge des Sterbenden wieder vor, druͤckte ſie in ſeinem Herzen tief ein, und folgte ſeiner Seele in Gedanken in den Himmel nach, ſah den Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfien- gen, und ihr Palmenzweige ſtreuten. Seine gan- ze Seele war emporgehoben, und er wuſte lange nicht, daß ihm helle Zaͤhren aus den Augen rollten. Alle ſeine Wuͤnſche waren auch ein ſolcher Tod; und der einzige Weg dahin ſchien ihm das Kloſter. Er warf ſich auf eine Raſenbank, verhuͤllte ſein Geſicht in beyde Haͤnde, und lag in einer Art von

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/50>, abgerufen am 25.04.2024.