Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Er sah jetzt selbst die Behutsamkeit als das einzi- ge Mittel an, seine Liebe zu erhalten und fort- zusetzen. Er beschloß, dieses Theresen und ih- rem Vater zu sagen. Um halb sieben Uhr gieng er schon ins Zimmer, um sein Mädchen zu erwar- ten. Sie war unter Thränen aufgewacht, und betete. Mit heisser Jnnbrunst kniete sie vor ei- nem Crucifix, und bat Gott um Muth und Stärke, wenn sie Kronhelm sehe. Sie war selber bang, daß sie ihm nicht kalt und behutsam genug werde begegnen können. Und doch wollte sie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehn- mal ergriff sie die Thüre, um hinaus, und nach dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte sie wie- der zurück. Ein ängstlicher Gedank erhub sich nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in der Kammer auf und ab, und erblickte sich von ungefähr im Spiegel. Gott, wie bin ich so blaß! dachte sie; wird er nicht sogleich alles entdecken? -- Endlich gieng sie mit zögernden und leisen Schritten nach dem Zimmer. Als sie die Thür aufmachte, sah sie ihren Er ſah jetzt ſelbſt die Behutſamkeit als das einzi- ge Mittel an, ſeine Liebe zu erhalten und fort- zuſetzen. Er beſchloß, dieſes Thereſen und ih- rem Vater zu ſagen. Um halb ſieben Uhr gieng er ſchon ins Zimmer, um ſein Maͤdchen zu erwar- ten. Sie war unter Thraͤnen aufgewacht, und betete. Mit heiſſer Jnnbrunſt kniete ſie vor ei- nem Crucifix, und bat Gott um Muth und Staͤrke, wenn ſie Kronhelm ſehe. Sie war ſelber bang, daß ſie ihm nicht kalt und behutſam genug werde begegnen koͤnnen. Und doch wollte ſie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehn- mal ergriff ſie die Thuͤre, um hinaus, und nach dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte ſie wie- der zuruͤck. Ein aͤngſtlicher Gedank erhub ſich nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in der Kammer auf und ab, und erblickte ſich von ungefaͤhr im Spiegel. Gott, wie bin ich ſo blaß! dachte ſie; wird er nicht ſogleich alles entdecken? — Endlich gieng ſie mit zoͤgernden und leiſen Schritten nach dem Zimmer. Als ſie die Thuͤr aufmachte, ſah ſie ihren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0406" n="402"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Er ſah jetzt ſelbſt die Behutſamkeit als das einzi-<lb/> ge Mittel an, ſeine Liebe zu erhalten und fort-<lb/> zuſetzen. Er beſchloß, dieſes <hi rendition="#fr">Thereſen</hi> und ih-<lb/> rem Vater zu ſagen. Um halb ſieben Uhr gieng<lb/> er ſchon ins Zimmer, um ſein Maͤdchen zu erwar-<lb/> ten. Sie war unter Thraͤnen aufgewacht, und<lb/> betete. Mit heiſſer Jnnbrunſt kniete ſie vor ei-<lb/> nem Crucifix, und bat Gott um Muth und<lb/> Staͤrke, wenn ſie <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> ſehe. Sie war<lb/> ſelber bang, daß ſie ihm nicht kalt und behutſam<lb/> genug werde begegnen koͤnnen. Und doch wollte<lb/> ſie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehn-<lb/> mal ergriff ſie die Thuͤre, um hinaus, und nach<lb/> dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte ſie wie-<lb/> der zuruͤck. Ein aͤngſtlicher Gedank erhub ſich<lb/> nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in<lb/> der Kammer auf und ab, und erblickte ſich von<lb/> ungefaͤhr im Spiegel. Gott, wie bin ich ſo blaß!<lb/> dachte ſie; wird er nicht ſogleich alles entdecken?<lb/> — Endlich gieng ſie mit zoͤgernden und leiſen<lb/> Schritten nach dem Zimmer.</p><lb/> <p>Als ſie die Thuͤr aufmachte, ſah ſie ihren<lb/><hi rendition="#fr">Kronhelm,</hi> und wollte wieder zuruͤckgehn; ſie zit-<lb/> terte und bebte. Er kam auf ſie zu, und nahm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [402/0406]
Er ſah jetzt ſelbſt die Behutſamkeit als das einzi-
ge Mittel an, ſeine Liebe zu erhalten und fort-
zuſetzen. Er beſchloß, dieſes Thereſen und ih-
rem Vater zu ſagen. Um halb ſieben Uhr gieng
er ſchon ins Zimmer, um ſein Maͤdchen zu erwar-
ten. Sie war unter Thraͤnen aufgewacht, und
betete. Mit heiſſer Jnnbrunſt kniete ſie vor ei-
nem Crucifix, und bat Gott um Muth und
Staͤrke, wenn ſie Kronhelm ſehe. Sie war
ſelber bang, daß ſie ihm nicht kalt und behutſam
genug werde begegnen koͤnnen. Und doch wollte
ſie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehn-
mal ergriff ſie die Thuͤre, um hinaus, und nach
dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte ſie wie-
der zuruͤck. Ein aͤngſtlicher Gedank erhub ſich
nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in
der Kammer auf und ab, und erblickte ſich von
ungefaͤhr im Spiegel. Gott, wie bin ich ſo blaß!
dachte ſie; wird er nicht ſogleich alles entdecken?
— Endlich gieng ſie mit zoͤgernden und leiſen
Schritten nach dem Zimmer.
Als ſie die Thuͤr aufmachte, ſah ſie ihren
Kronhelm, und wollte wieder zuruͤckgehn; ſie zit-
terte und bebte. Er kam auf ſie zu, und nahm
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