zog auch sein Schnupftuch heraus, und wischte sich die Augen.
Therese gieng auf ihre Kammer, schüttete ihr Leid in Thränen aus, und konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Nun fühlte sie erst, wie nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was sie mit ihm verlieren würde? Sie beschloß hun- dertmal, sein Bild aus ihrem Herzen zu verban- nen; nicht mehr mit Zärtlichkeit an ihn zu den- ken; ihm kalt zu begegnen; und so viel, als mög- lich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen. Aber dann stellte sie sich den lieben Jüngling wie- der vor, wie er mit der sanften Mine, und dem schmachtenden Auge vor ihr da stand; sie mit Unschuld und Wehmuth ansah, als ob er fragte: Therese, womit hab ich dieß verschuldet? Dann brach ihr Herz; ihre Thränen flossen häufiger, und sie sahs für Grausamkeit und Meineyd an, ihm so unbarmherzig zu begegnen. Dann be- schloß sie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns auch ihre Ruhe und ihr Leben kosten sollte! -- Aber ihr Vater; seine Bitten; seine Vermahnun- gen; und herzrührende Vorstellungen auf der an- dern Seite! -- Sie stand auf einer Klippe, von zwey Abgründen umgeben! Auf beyden Seiten
zog auch ſein Schnupftuch heraus, und wiſchte ſich die Augen.
Thereſe gieng auf ihre Kammer, ſchuͤttete ihr Leid in Thraͤnen aus, und konnte die halbe Nacht nicht ſchlafen. Nun fuͤhlte ſie erſt, wie nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was ſie mit ihm verlieren wuͤrde? Sie beſchloß hun- dertmal, ſein Bild aus ihrem Herzen zu verban- nen; nicht mehr mit Zaͤrtlichkeit an ihn zu den- ken; ihm kalt zu begegnen; und ſo viel, als moͤg- lich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen. Aber dann ſtellte ſie ſich den lieben Juͤngling wie- der vor, wie er mit der ſanften Mine, und dem ſchmachtenden Auge vor ihr da ſtand; ſie mit Unſchuld und Wehmuth anſah, als ob er fragte: Thereſe, womit hab ich dieß verſchuldet? Dann brach ihr Herz; ihre Thraͤnen floſſen haͤufiger, und ſie ſahs fuͤr Grauſamkeit und Meineyd an, ihm ſo unbarmherzig zu begegnen. Dann be- ſchloß ſie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns auch ihre Ruhe und ihr Leben koſten ſollte! — Aber ihr Vater; ſeine Bitten; ſeine Vermahnun- gen; und herzruͤhrende Vorſtellungen auf der an- dern Seite! — Sie ſtand auf einer Klippe, von zwey Abgruͤnden umgeben! Auf beyden Seiten
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zog auch ſein Schnupftuch heraus, und wiſchte
ſich die Augen.
Thereſe gieng auf ihre Kammer, ſchuͤttete
ihr Leid in Thraͤnen aus, und konnte die halbe
Nacht nicht ſchlafen. Nun fuͤhlte ſie erſt, wie
nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was
ſie mit ihm verlieren wuͤrde? Sie beſchloß hun-
dertmal, ſein Bild aus ihrem Herzen zu verban-
nen; nicht mehr mit Zaͤrtlichkeit an ihn zu den-
ken; ihm kalt zu begegnen; und ſo viel, als moͤg-
lich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen.
Aber dann ſtellte ſie ſich den lieben Juͤngling wie-
der vor, wie er mit der ſanften Mine, und dem
ſchmachtenden Auge vor ihr da ſtand; ſie mit
Unſchuld und Wehmuth anſah, als ob er fragte:
Thereſe, womit hab ich dieß verſchuldet? Dann
brach ihr Herz; ihre Thraͤnen floſſen haͤufiger,
und ſie ſahs fuͤr Grauſamkeit und Meineyd an,
ihm ſo unbarmherzig zu begegnen. Dann be-
ſchloß ſie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns
auch ihre Ruhe und ihr Leben koſten ſollte! —
Aber ihr Vater; ſeine Bitten; ſeine Vermahnun-
gen; und herzruͤhrende Vorſtellungen auf der an-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/400>, abgerufen am 25.11.2024.
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