Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Vorwürfe drüber machen, und er werde ihr nun böse werden. Kronhelm versicherte das Gegen- theil, und sagte: Es sey ihm recht angenehm, daß er so ein schönes Andenken an sie, und an diesen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wun- de eine kleine Narbe zurücklassen. Sie gab ihm ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand, und war über den zärtlichen Antheil recht sehr erfreut, den sie bey dieser Gelegenheit an seinem Schicksal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng ihnen unter Scherz, und angenehmen Gesprächen hin. Als sie nach Haus kamen, ließ Therese gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand zu verbinden; nachher verband sie sie ihm immer selber. Sie affen den Abend in der Laube, und sassen bis spät in die Nacht hinein zusammen. Den dritten Mergen lasen sie immer im Klop- stock, besonders die Geschichte von Semida und Cidli. Kronhelm las sie mit solcher Rührung, daß Theresen die Thränen dabey in den Augen standen. Die Gleichheit ihrer Gesinnungen ent- deckte sich immer mehr, und erstreckte sich auf die kleinsten Umstände. Den Nachmittag sollte ein junger Bauerkerl begraben werden. Therese, ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begräb- Vorwuͤrfe druͤber machen, und er werde ihr nun boͤſe werden. Kronhelm verſicherte das Gegen- theil, und ſagte: Es ſey ihm recht angenehm, daß er ſo ein ſchoͤnes Andenken an ſie, und an dieſen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wun- de eine kleine Narbe zuruͤcklaſſen. Sie gab ihm ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand, und war uͤber den zaͤrtlichen Antheil recht ſehr erfreut, den ſie bey dieſer Gelegenheit an ſeinem Schickſal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng ihnen unter Scherz, und angenehmen Geſpraͤchen hin. Als ſie nach Haus kamen, ließ Thereſe gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand zu verbinden; nachher verband ſie ſie ihm immer ſelber. Sie affen den Abend in der Laube, und ſaſſen bis ſpaͤt in die Nacht hinein zuſammen. Den dritten Mergen laſen ſie immer im Klop- ſtock, beſonders die Geſchichte von Semida und Cidli. Kronhelm las ſie mit ſolcher Ruͤhrung, daß Thereſen die Thraͤnen dabey in den Augen ſtanden. Die Gleichheit ihrer Geſinnungen ent- deckte ſich immer mehr, und erſtreckte ſich auf die kleinſten Umſtaͤnde. Den Nachmittag ſollte ein junger Bauerkerl begraben werden. Thereſe, ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begraͤb- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0348" n="344"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Vorwuͤrfe druͤber machen, und er werde ihr nun<lb/> boͤſe werden. <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> verſicherte das Gegen-<lb/> theil, und ſagte: Es ſey ihm recht angenehm,<lb/> daß er ſo ein ſchoͤnes Andenken an ſie, und an<lb/> dieſen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wun-<lb/> de eine kleine Narbe zuruͤcklaſſen. Sie gab ihm<lb/> ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand,<lb/> und war uͤber den zaͤrtlichen Antheil recht ſehr<lb/> erfreut, den ſie bey dieſer Gelegenheit an ſeinem<lb/> Schickſal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng<lb/> ihnen unter Scherz, und angenehmen Geſpraͤchen<lb/> hin. Als ſie nach Haus kamen, ließ <hi rendition="#fr">Thereſe</hi><lb/> gleich den Bader kommen, um <hi rendition="#fr">Kronhelms</hi> Hand<lb/> zu verbinden; nachher verband ſie ſie ihm immer<lb/> ſelber. Sie affen den Abend in der Laube, und<lb/> ſaſſen bis ſpaͤt in die Nacht hinein zuſammen.<lb/> Den dritten Mergen laſen ſie immer im <hi rendition="#fr">Klop-<lb/> ſtock,</hi> beſonders die Geſchichte von <hi rendition="#fr">Semida</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Cidli. Kronhelm</hi> las ſie mit ſolcher Ruͤhrung,<lb/> daß <hi rendition="#fr">Thereſen</hi> die Thraͤnen dabey in den Augen<lb/> ſtanden. Die Gleichheit ihrer Geſinnungen ent-<lb/> deckte ſich immer mehr, und erſtreckte ſich auf<lb/> die kleinſten Umſtaͤnde. Den Nachmittag ſollte<lb/> ein junger Bauerkerl begraben werden. <hi rendition="#fr">Thereſe,</hi><lb/> ihr Bruder und <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> wollten das Begraͤb-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [344/0348]
Vorwuͤrfe druͤber machen, und er werde ihr nun
boͤſe werden. Kronhelm verſicherte das Gegen-
theil, und ſagte: Es ſey ihm recht angenehm,
daß er ſo ein ſchoͤnes Andenken an ſie, und an
dieſen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wun-
de eine kleine Narbe zuruͤcklaſſen. Sie gab ihm
ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand,
und war uͤber den zaͤrtlichen Antheil recht ſehr
erfreut, den ſie bey dieſer Gelegenheit an ſeinem
Schickſal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng
ihnen unter Scherz, und angenehmen Geſpraͤchen
hin. Als ſie nach Haus kamen, ließ Thereſe
gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand
zu verbinden; nachher verband ſie ſie ihm immer
ſelber. Sie affen den Abend in der Laube, und
ſaſſen bis ſpaͤt in die Nacht hinein zuſammen.
Den dritten Mergen laſen ſie immer im Klop-
ſtock, beſonders die Geſchichte von Semida und
Cidli. Kronhelm las ſie mit ſolcher Ruͤhrung,
daß Thereſen die Thraͤnen dabey in den Augen
ſtanden. Die Gleichheit ihrer Geſinnungen ent-
deckte ſich immer mehr, und erſtreckte ſich auf
die kleinſten Umſtaͤnde. Den Nachmittag ſollte
ein junger Bauerkerl begraben werden. Thereſe,
ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begraͤb-
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