Wenns viel solche Prediger gibt, sagte Sieg- wart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre ich mich nicht mehr über die Geringschätzung der Religion. Wer sie nicht selbst aus der Quelle kennt, und sie dann von solchen Leuten lernen, und hochschätzen und lieben soll, der muß bey- nah ein Freygeist und Religionsspötter werden; aber eben deswegen sollte man unsern Laien die Bibel nicht entziehen, damit sie daraus Trost und Lehre schöpfen könnten, wenn sie von ihren Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein Mann, wie dein Pfarrer ist, macht tausend See- len unglücklich, und ich möcht' einst seine Verant- wortung nicht übernehmen!
Den andern Tag befand sich Junker Veit etwas leidlicher, doch must er sich zu Hause auf- halten. Er schlug unsern beyden Jünglingen vor, ob sie nicht auf die Jagd gehen wollten? So könnten sie doch noch einen andern von seinen Forsten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jäger mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann sey. Kronhelm und Siegwart nahmen den An- trag gerne an, denn in seiner Gesellschaft ward ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie schossen ver- schiedne Stücke Kleinwildpret, und einen Bock.
Wenns viel ſolche Prediger gibt, ſagte Sieg- wart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre ich mich nicht mehr uͤber die Geringſchaͤtzung der Religion. Wer ſie nicht ſelbſt aus der Quelle kennt, und ſie dann von ſolchen Leuten lernen, und hochſchaͤtzen und lieben ſoll, der muß bey- nah ein Freygeiſt und Religionsſpoͤtter werden; aber eben deswegen ſollte man unſern Laien die Bibel nicht entziehen, damit ſie daraus Troſt und Lehre ſchoͤpfen koͤnnten, wenn ſie von ihren Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein Mann, wie dein Pfarrer iſt, macht tauſend See- len ungluͤcklich, und ich moͤcht’ einſt ſeine Verant- wortung nicht uͤbernehmen!
Den andern Tag befand ſich Junker Veit etwas leidlicher, doch muſt er ſich zu Hauſe auf- halten. Er ſchlug unſern beyden Juͤnglingen vor, ob ſie nicht auf die Jagd gehen wollten? So koͤnnten ſie doch noch einen andern von ſeinen Forſten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jaͤger mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann ſey. Kronhelm und Siegwart nahmen den An- trag gerne an, denn in ſeiner Geſellſchaft ward ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie ſchoſſen ver- ſchiedne Stuͤcke Kleinwildpret, und einen Bock.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0305"n="301"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Wenns viel ſolche Prediger gibt, ſagte <hirendition="#fr">Sieg-<lb/>
wart</hi> Abends noch zu <hirendition="#fr">Kronhelm;</hi> dann wundre<lb/>
ich mich nicht mehr uͤber die Geringſchaͤtzung der<lb/>
Religion. Wer ſie nicht ſelbſt aus der Quelle<lb/>
kennt, und ſie dann von ſolchen Leuten lernen,<lb/>
und hochſchaͤtzen und lieben ſoll, der muß bey-<lb/>
nah ein Freygeiſt und Religionsſpoͤtter werden;<lb/>
aber eben deswegen ſollte man unſern Laien die<lb/>
Bibel nicht entziehen, damit ſie daraus Troſt<lb/>
und Lehre ſchoͤpfen koͤnnten, wenn ſie von ihren<lb/>
Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein<lb/>
Mann, wie dein Pfarrer iſt, macht tauſend See-<lb/>
len ungluͤcklich, und ich moͤcht’ einſt ſeine Verant-<lb/>
wortung nicht uͤbernehmen!</p><lb/><p>Den andern Tag befand ſich Junker <hirendition="#fr">Veit</hi><lb/>
etwas leidlicher, doch muſt er ſich zu Hauſe auf-<lb/>
halten. Er ſchlug unſern beyden Juͤnglingen vor,<lb/>
ob ſie nicht auf die Jagd gehen wollten? So<lb/>
koͤnnten ſie doch noch einen andern von ſeinen<lb/>
Forſten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jaͤger<lb/>
mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann<lb/>ſey. <hirendition="#fr">Kronhelm</hi> und <hirendition="#fr">Siegwart</hi> nahmen den An-<lb/>
trag gerne an, denn in ſeiner Geſellſchaft ward<lb/>
ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie ſchoſſen ver-<lb/>ſchiedne Stuͤcke Kleinwildpret, und einen Bock.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[301/0305]
Wenns viel ſolche Prediger gibt, ſagte Sieg-
wart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre
ich mich nicht mehr uͤber die Geringſchaͤtzung der
Religion. Wer ſie nicht ſelbſt aus der Quelle
kennt, und ſie dann von ſolchen Leuten lernen,
und hochſchaͤtzen und lieben ſoll, der muß bey-
nah ein Freygeiſt und Religionsſpoͤtter werden;
aber eben deswegen ſollte man unſern Laien die
Bibel nicht entziehen, damit ſie daraus Troſt
und Lehre ſchoͤpfen koͤnnten, wenn ſie von ihren
Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein
Mann, wie dein Pfarrer iſt, macht tauſend See-
len ungluͤcklich, und ich moͤcht’ einſt ſeine Verant-
wortung nicht uͤbernehmen!
Den andern Tag befand ſich Junker Veit
etwas leidlicher, doch muſt er ſich zu Hauſe auf-
halten. Er ſchlug unſern beyden Juͤnglingen vor,
ob ſie nicht auf die Jagd gehen wollten? So
koͤnnten ſie doch noch einen andern von ſeinen
Forſten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jaͤger
mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann
ſey. Kronhelm und Siegwart nahmen den An-
trag gerne an, denn in ſeiner Geſellſchaft ward
ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie ſchoſſen ver-
ſchiedne Stuͤcke Kleinwildpret, und einen Bock.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/305>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.