spielten? Weist du? Das herrliche Adagio von Schwindl.
Und nun spielten sie so schmelzend, so bebend und so wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder, sahn einander an mit Thränen in den Augen, sag- ten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder! und legten sich zu Bette. Aber beyde konnten noch lange nicht schlafen, und fühlten, daß die Seele des Gesangs sie noch umschwebe!
Um sechs Uhr standen sie auf, und weil sie noch niemand im Hause hörten, so lasen sie im Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker Veit an den Krücken herein gehinkt, weil er das Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, auf- geschlagen, neben sich auf den Tisch. Was Teufels! rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapper- ment! Was soll das heissen? -- Fort zum Henker und seiner Großmutter! und indem schmiß er den Virgil auf den Misthausen vor dem Fenster. -- Verzeyhen Sie, sagte Siegwart, das Buch han- delt von Forsten und vom Waidwerk. -- Das ist was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das ist, so hab ich allen Respeckt davor. Steffen mags wieder herauf holen! -- Da, Steffen, hebt das
ſpielten? Weiſt du? Das herrliche Adagio von Schwindl.
Und nun ſpielten ſie ſo ſchmelzend, ſo bebend und ſo wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder, ſahn einander an mit Thraͤnen in den Augen, ſag- ten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder! und legten ſich zu Bette. Aber beyde konnten noch lange nicht ſchlafen, und fuͤhlten, daß die Seele des Geſangs ſie noch umſchwebe!
Um ſechs Uhr ſtanden ſie auf, und weil ſie noch niemand im Hauſe hoͤrten, ſo laſen ſie im Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker Veit an den Kruͤcken herein gehinkt, weil er das Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, auf- geſchlagen, neben ſich auf den Tiſch. Was Teufels! rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapper- ment! Was ſoll das heiſſen? — Fort zum Henker und ſeiner Großmutter! und indem ſchmiß er den Virgil auf den Miſthauſen vor dem Fenſter. — Verzeyhen Sie, ſagte Siegwart, das Buch han- delt von Forſten und vom Waidwerk. — Das iſt was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das iſt, ſo hab ich allen Reſpeckt davor. Steffen mags wieder herauf holen! — Da, Steffen, hebt das
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ſpielten? Weiſt du? Das herrliche Adagio von
Schwindl.
Und nun ſpielten ſie ſo ſchmelzend, ſo bebend
und ſo wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie
Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder,
ſahn einander an mit Thraͤnen in den Augen, ſag-
ten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder!
und legten ſich zu Bette. Aber beyde konnten noch
lange nicht ſchlafen, und fuͤhlten, daß die Seele des
Geſangs ſie noch umſchwebe!
Um ſechs Uhr ſtanden ſie auf, und weil ſie
noch niemand im Hauſe hoͤrten, ſo laſen ſie im
Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker
Veit an den Kruͤcken herein gehinkt, weil er das
Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, auf-
geſchlagen, neben ſich auf den Tiſch. Was Teufels!
rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapper-
ment! Was ſoll das heiſſen? — Fort zum Henker
und ſeiner Großmutter! und indem ſchmiß er den
Virgil auf den Miſthauſen vor dem Fenſter. —
Verzeyhen Sie, ſagte Siegwart, das Buch han-
delt von Forſten und vom Waidwerk. — Das iſt
was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das iſt,
ſo hab ich allen Reſpeckt davor. Steffen mags
wieder herauf holen! — Da, Steffen, hebt das
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/283>, abgerufen am 25.11.2024.
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