Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.ich weiß, daß du's bey dir behältst. Sieh, mein Vater ist ein Mann -- es thut mir weh, daß ichs sagen muß -- wie ich nicht seyn möchte. Er hat sich in München und im Krieg eine Le- bensart angewöhnt, bey der die häusliche Glück- seligkeit nicht gut bestehen kann. Meine selige Mutter mußte ihn in ihrem siebzehenten Jahr heyrathen. Sie war ein Fräulein aus der Pfalz, wo sie mein Vater, als er mit den Reichs- truppen am Rhein stand, kennen lernte. Er hat- te sie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem Land gesehen, und sich gleich in sie verliebt. Bru- der, sagte er zu meinem Großvater, der auch gern bey der Weinflasche saß, ich muß deine Toch- ter haben! -- Gut, du sollst sie haben; willst sie Heut, oder Morgen? antwortete dieser. Und nun war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig Vermögen; sie wars überdrüssig, unter dem be- ständigen Gelärm in ihres Vaters Haus zu le- ben; denn alle Tage gabs Gesellschaft; sie hofte, meinen Vater, der sehr verliebt in sie war, bald auf den rechten Weg bringen zu können, und gieng mit ihm auf seine Güter nach Baiern. Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater leb- te still und eingezogen, war gern um seine Frau, ich weiß, daß du’s bey dir behaͤltſt. Sieh, mein Vater iſt ein Mann — es thut mir weh, daß ichs ſagen muß — wie ich nicht ſeyn moͤchte. Er hat ſich in Muͤnchen und im Krieg eine Le- bensart angewoͤhnt, bey der die haͤusliche Gluͤck- ſeligkeit nicht gut beſtehen kann. Meine ſelige Mutter mußte ihn in ihrem ſiebzehenten Jahr heyrathen. Sie war ein Fraͤulein aus der Pfalz, wo ſie mein Vater, als er mit den Reichs- truppen am Rhein ſtand, kennen lernte. Er hat- te ſie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem Land geſehen, und ſich gleich in ſie verliebt. Bru- der, ſagte er zu meinem Großvater, der auch gern bey der Weinflaſche ſaß, ich muß deine Toch- ter haben! — Gut, du ſollſt ſie haben; willſt ſie Heut, oder Morgen? antwortete dieſer. Und nun war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig Vermoͤgen; ſie wars uͤberdruͤſſig, unter dem be- ſtaͤndigen Gelaͤrm in ihres Vaters Haus zu le- ben; denn alle Tage gabs Geſellſchaft; ſie hofte, meinen Vater, der ſehr verliebt in ſie war, bald auf den rechten Weg bringen zu koͤnnen, und gieng mit ihm auf ſeine Guͤter nach Baiern. Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater leb- te ſtill und eingezogen, war gern um ſeine Frau, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="219"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ich weiß, daß du’s bey dir behaͤltſt. Sieh, mein<lb/> Vater iſt ein Mann — es thut mir weh, daß<lb/> ichs ſagen muß — wie ich nicht ſeyn moͤchte.<lb/> Er hat ſich in <hi rendition="#fr">Muͤnchen</hi> und im Krieg eine Le-<lb/> bensart angewoͤhnt, bey der die haͤusliche Gluͤck-<lb/> ſeligkeit nicht gut beſtehen kann. Meine ſelige<lb/> Mutter mußte ihn in ihrem ſiebzehenten Jahr<lb/> heyrathen. Sie war ein Fraͤulein aus der<lb/> Pfalz, wo ſie mein Vater, als er mit den Reichs-<lb/> truppen am <hi rendition="#fr">Rhein</hi> ſtand, kennen lernte. Er hat-<lb/> te ſie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem<lb/> Land geſehen, und ſich gleich in ſie verliebt. Bru-<lb/> der, ſagte er zu meinem Großvater, der auch<lb/> gern bey der Weinflaſche ſaß, ich muß deine Toch-<lb/> ter haben! — Gut, du ſollſt ſie haben; willſt ſie<lb/> Heut, oder Morgen? antwortete dieſer. Und nun<lb/> war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig<lb/> Vermoͤgen; ſie wars uͤberdruͤſſig, unter dem be-<lb/> ſtaͤndigen Gelaͤrm in ihres Vaters Haus zu le-<lb/> ben; denn alle Tage gabs Geſellſchaft; ſie hofte,<lb/> meinen Vater, der ſehr verliebt in ſie war, bald<lb/> auf den rechten Weg bringen zu koͤnnen, und<lb/> gieng mit ihm auf ſeine Guͤter nach Baiern.<lb/> Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater leb-<lb/> te ſtill und eingezogen, war gern um ſeine Frau,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0223]
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Vater iſt ein Mann — es thut mir weh, daß
ichs ſagen muß — wie ich nicht ſeyn moͤchte.
Er hat ſich in Muͤnchen und im Krieg eine Le-
bensart angewoͤhnt, bey der die haͤusliche Gluͤck-
ſeligkeit nicht gut beſtehen kann. Meine ſelige
Mutter mußte ihn in ihrem ſiebzehenten Jahr
heyrathen. Sie war ein Fraͤulein aus der
Pfalz, wo ſie mein Vater, als er mit den Reichs-
truppen am Rhein ſtand, kennen lernte. Er hat-
te ſie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem
Land geſehen, und ſich gleich in ſie verliebt. Bru-
der, ſagte er zu meinem Großvater, der auch
gern bey der Weinflaſche ſaß, ich muß deine Toch-
ter haben! — Gut, du ſollſt ſie haben; willſt ſie
Heut, oder Morgen? antwortete dieſer. Und nun
war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig
Vermoͤgen; ſie wars uͤberdruͤſſig, unter dem be-
ſtaͤndigen Gelaͤrm in ihres Vaters Haus zu le-
ben; denn alle Tage gabs Geſellſchaft; ſie hofte,
meinen Vater, der ſehr verliebt in ſie war, bald
auf den rechten Weg bringen zu koͤnnen, und
gieng mit ihm auf ſeine Guͤter nach Baiern.
Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater leb-
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