dich in Acht, mein Lieber! oder wähl lieber einen Stand gar nicht, der dem Herzen so vielen Zwang anlegt! Denk einmal, wenn du liebtest, und nicht lieben dürftest! Wenn du sähest, daß ein Mäd- chen dich allein glücklich machen könnte, und du müßtest, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewi- ge Gefangenschaft und Einsamkeit zurückkehren!
Siegwart. Geh, Kronhelm, du siehst jetzt die Sache von der traurigen Seite an, und ver- gissest drüber ihre angenehme. Jch hab im Klo- ster höhere Pflichten zu erfüllen, die mich von der Welt schon abziehen werden. Vor der Liebe ist mir gar nicht bang; ich bekümmere mich zwar wol um meine Schwester, aber nicht um andre Mädchen. Jch halte auch das häußliche Leben für eine große Glückseligkeit, und habe sie in meinem Hause recht gesehn, so lang meine selige Mutter lebte; aber deswegen gibts der Glückselig- keiten noch mehr, und jeder Mensch sucht sie auf seinem eignen Weg. -- Du sahst vorhin so weh- mütig aus, als du von deinem Vater sprachest, hat er denn deine Mutter nicht geliebt?
Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringst du mich auf eine traurige Sache, von der ich un- gern rede; aber dir kann ich nichts verhehlen;
dich in Acht, mein Lieber! oder waͤhl lieber einen Stand gar nicht, der dem Herzen ſo vielen Zwang anlegt! Denk einmal, wenn du liebteſt, und nicht lieben duͤrfteſt! Wenn du ſaͤheſt, daß ein Maͤd- chen dich allein gluͤcklich machen koͤnnte, und du muͤßteſt, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewi- ge Gefangenſchaft und Einſamkeit zuruͤckkehren!
Siegwart. Geh, Kronhelm, du ſiehſt jetzt die Sache von der traurigen Seite an, und ver- giſſeſt druͤber ihre angenehme. Jch hab im Klo- ſter hoͤhere Pflichten zu erfuͤllen, die mich von der Welt ſchon abziehen werden. Vor der Liebe iſt mir gar nicht bang; ich bekuͤmmere mich zwar wol um meine Schweſter, aber nicht um andre Maͤdchen. Jch halte auch das haͤußliche Leben fuͤr eine große Gluͤckſeligkeit, und habe ſie in meinem Hauſe recht geſehn, ſo lang meine ſelige Mutter lebte; aber deswegen gibts der Gluͤckſelig- keiten noch mehr, und jeder Menſch ſucht ſie auf ſeinem eignen Weg. — Du ſahſt vorhin ſo weh- muͤtig aus, als du von deinem Vater ſpracheſt, hat er denn deine Mutter nicht geliebt?
Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringſt du mich auf eine traurige Sache, von der ich un- gern rede; aber dir kann ich nichts verhehlen;
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dich in Acht, mein Lieber! oder waͤhl lieber einen
Stand gar nicht, der dem Herzen ſo vielen Zwang
anlegt! Denk einmal, wenn du liebteſt, und nicht
lieben duͤrfteſt! Wenn du ſaͤheſt, daß ein Maͤd-
chen dich allein gluͤcklich machen koͤnnte, und du
muͤßteſt, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewi-
ge Gefangenſchaft und Einſamkeit zuruͤckkehren!
Siegwart. Geh, Kronhelm, du ſiehſt jetzt
die Sache von der traurigen Seite an, und ver-
giſſeſt druͤber ihre angenehme. Jch hab im Klo-
ſter hoͤhere Pflichten zu erfuͤllen, die mich von
der Welt ſchon abziehen werden. Vor der Liebe
iſt mir gar nicht bang; ich bekuͤmmere mich zwar
wol um meine Schweſter, aber nicht um andre
Maͤdchen. Jch halte auch das haͤußliche Leben
fuͤr eine große Gluͤckſeligkeit, und habe ſie in
meinem Hauſe recht geſehn, ſo lang meine ſelige
Mutter lebte; aber deswegen gibts der Gluͤckſelig-
keiten noch mehr, und jeder Menſch ſucht ſie auf
ſeinem eignen Weg. — Du ſahſt vorhin ſo weh-
muͤtig aus, als du von deinem Vater ſpracheſt,
hat er denn deine Mutter nicht geliebt?
Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringſt du
mich auf eine traurige Sache, von der ich un-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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