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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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zur häuslichen Glückseligkeit noch nicht genug.
Wenn ich ein Mann wär, und eine Frau haben
wollte, so müßte sie mir fein freundlich seyn, und
nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, so ein
saures Gesicht machen; doch das geht mich ja
nichts an. Papa würd ihms auch mißrathen,
wenn er sich nur einreden liesse. -- Weist du
schon, daß in Burgau Preußische Officiers liegen,
die von der Reichsarmee gefangen worden sind?
Es haben uns schon mehrere verschiednemal be-
sucht; aber einer, der mir ausnehmend gefällt, be-
sucht uns besonders oft, und das ist der Haupt-
mann, Herr von Northern. Jch sag dir, Bru-
der, das ist ein herrlicher Mann, gar nicht so,
wie man uns die Ketzer sonst beschrieben hat.
Er soll reformirt seyn, ich glaub aus dem Hessi-
schen; aber das thut nichts; er ist doch ein bra-
ver Mann! Er hat ein paar schwarze Augen,
wie Perlen, und ein Gesicht, das von der Sonne
ganz verbrannt ist, mit ein paar Narben, eine
auf der Stirn, und die andre unten am Kinn;
und doch sieht er freundlich aus, und hat gar
nichts so rauhes an sich, wie man sonst von den
Soldaten sagt. Er spricht ganz fremd, und das
steht ihm recht gut. Jch hör ihm gar zu gern



zur haͤuslichen Gluͤckſeligkeit noch nicht genug.
Wenn ich ein Mann waͤr, und eine Frau haben
wollte, ſo muͤßte ſie mir fein freundlich ſeyn, und
nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, ſo ein
ſaures Geſicht machen; doch das geht mich ja
nichts an. Papa wuͤrd ihms auch mißrathen,
wenn er ſich nur einreden lieſſe. — Weiſt du
ſchon, daß in Burgau Preußiſche Officiers liegen,
die von der Reichsarmee gefangen worden ſind?
Es haben uns ſchon mehrere verſchiednemal be-
ſucht; aber einer, der mir ausnehmend gefaͤllt, be-
ſucht uns beſonders oft, und das iſt der Haupt-
mann, Herr von Northern. Jch ſag dir, Bru-
der, das iſt ein herrlicher Mann, gar nicht ſo,
wie man uns die Ketzer ſonſt beſchrieben hat.
Er ſoll reformirt ſeyn, ich glaub aus dem Heſſi-
ſchen; aber das thut nichts; er iſt doch ein bra-
ver Mann! Er hat ein paar ſchwarze Augen,
wie Perlen, und ein Geſicht, das von der Sonne
ganz verbrannt iſt, mit ein paar Narben, eine
auf der Stirn, und die andre unten am Kinn;
und doch ſieht er freundlich aus, und hat gar
nichts ſo rauhes an ſich, wie man ſonſt von den
Soldaten ſagt. Er ſpricht ganz fremd, und das
ſteht ihm recht gut. Jch hoͤr ihm gar zu gern

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[213/0217] zur haͤuslichen Gluͤckſeligkeit noch nicht genug. Wenn ich ein Mann waͤr, und eine Frau haben wollte, ſo muͤßte ſie mir fein freundlich ſeyn, und nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, ſo ein ſaures Geſicht machen; doch das geht mich ja nichts an. Papa wuͤrd ihms auch mißrathen, wenn er ſich nur einreden lieſſe. — Weiſt du ſchon, daß in Burgau Preußiſche Officiers liegen, die von der Reichsarmee gefangen worden ſind? Es haben uns ſchon mehrere verſchiednemal be- ſucht; aber einer, der mir ausnehmend gefaͤllt, be- ſucht uns beſonders oft, und das iſt der Haupt- mann, Herr von Northern. Jch ſag dir, Bru- der, das iſt ein herrlicher Mann, gar nicht ſo, wie man uns die Ketzer ſonſt beſchrieben hat. Er ſoll reformirt ſeyn, ich glaub aus dem Heſſi- ſchen; aber das thut nichts; er iſt doch ein bra- ver Mann! Er hat ein paar ſchwarze Augen, wie Perlen, und ein Geſicht, das von der Sonne ganz verbrannt iſt, mit ein paar Narben, eine auf der Stirn, und die andre unten am Kinn; und doch ſieht er freundlich aus, und hat gar nichts ſo rauhes an ſich, wie man ſonſt von den Soldaten ſagt. Er ſpricht ganz fremd, und das ſteht ihm recht gut. Jch hoͤr ihm gar zu gern

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/217>, abgerufen am 24.11.2024.