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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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hen sey ihm in der Seele leid; er wisse es auf kei-
ne Art zu entschuldigen, aber ob denn Gott nicht
einen Sünder, welcher Busse thue, wieder anneh-
me? Ob sie nicht die Güte Gottes nachahmen
wollen u. s. w.? Er verspreche künftig den genaue-
sten Gehorsam, und man werde sehen, wie er sei-
nen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben
wieder gut zu machen suchen werde? Fangen Sie
alles mit mir an! sagte er, ich will alles mit Ge-
duld und Gelassenheit ertragen! Nur verstossen
Sie mich nicht! und entreissen Sie mich der Ver-
zweiflung und dem Untergang!

Die Paters sahen einander an; Thränen
stunden ihnen in den Augen, und das Mitleid sieg-
te. -- Nun so steh er auf, in Gottes Namen!
sagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nach-
sicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal
das Geringste von ihm hört, dann hat alle Barm-
herzigkeit ein Ende. Wir wollen unsre Untergebe-
ne nicht durch ein schäbiges Schaaf anstecken las-
sen. Er soll wieder angenommen werden; in ei-
ner halben Stunde soll er hören, was wir ihm für
eine Busse auflegen, denn ganz ungestraft kann ein
solches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf,
und bedank er sich hier bey den Herren!



hen ſey ihm in der Seele leid; er wiſſe es auf kei-
ne Art zu entſchuldigen, aber ob denn Gott nicht
einen Suͤnder, welcher Buſſe thue, wieder anneh-
me? Ob ſie nicht die Guͤte Gottes nachahmen
wollen u. ſ. w.? Er verſpreche kuͤnftig den genaue-
ſten Gehorſam, und man werde ſehen, wie er ſei-
nen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben
wieder gut zu machen ſuchen werde? Fangen Sie
alles mit mir an! ſagte er, ich will alles mit Ge-
duld und Gelaſſenheit ertragen! Nur verſtoſſen
Sie mich nicht! und entreiſſen Sie mich der Ver-
zweiflung und dem Untergang!

Die Paters ſahen einander an; Thraͤnen
ſtunden ihnen in den Augen, und das Mitleid ſieg-
te. — Nun ſo ſteh er auf, in Gottes Namen!
ſagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nach-
ſicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal
das Geringſte von ihm hoͤrt, dann hat alle Barm-
herzigkeit ein Ende. Wir wollen unſre Untergebe-
ne nicht durch ein ſchaͤbiges Schaaf anſtecken laſ-
ſen. Er ſoll wieder angenommen werden; in ei-
ner halben Stunde ſoll er hoͤren, was wir ihm fuͤr
eine Buſſe auflegen, denn ganz ungeſtraft kann ein
ſolches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf,
und bedank er ſich hier bey den Herren!

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[202/0206] hen ſey ihm in der Seele leid; er wiſſe es auf kei- ne Art zu entſchuldigen, aber ob denn Gott nicht einen Suͤnder, welcher Buſſe thue, wieder anneh- me? Ob ſie nicht die Guͤte Gottes nachahmen wollen u. ſ. w.? Er verſpreche kuͤnftig den genaue- ſten Gehorſam, und man werde ſehen, wie er ſei- nen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben wieder gut zu machen ſuchen werde? Fangen Sie alles mit mir an! ſagte er, ich will alles mit Ge- duld und Gelaſſenheit ertragen! Nur verſtoſſen Sie mich nicht! und entreiſſen Sie mich der Ver- zweiflung und dem Untergang! Die Paters ſahen einander an; Thraͤnen ſtunden ihnen in den Augen, und das Mitleid ſieg- te. — Nun ſo ſteh er auf, in Gottes Namen! ſagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nach- ſicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal das Geringſte von ihm hoͤrt, dann hat alle Barm- herzigkeit ein Ende. Wir wollen unſre Untergebe- ne nicht durch ein ſchaͤbiges Schaaf anſtecken laſ- ſen. Er ſoll wieder angenommen werden; in ei- ner halben Stunde ſoll er hoͤren, was wir ihm fuͤr eine Buſſe auflegen, denn ganz ungeſtraft kann ein ſolches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf, und bedank er ſich hier bey den Herren!

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/206>, abgerufen am 02.05.2024.