Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



oder um Geld zu spielen. Er erschrack, als er
dieses lesen hörte, weil ihm sogleich der gestrige
Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner
wieder spielen. Er schlugs ihm rund ab, und
schützte das Verbot vor, das ihm erst heute, in
seiner Gegenwart, vorgelesen worden sey. Kreutz-
ner
lachte, gab ihm Einfalt schuld, und sagte:
Wer sich darnach richten wollte, müßte ein Mu-
cker werden; es sey nie darauf gehalten worden;
man verbiet es nur zum Schein, u. s. w. Dies
alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Ge-
lübde, das eine Art von Eyd ist, für zu heilig,
und fing an, von Kreutznern schlimmer zu den-
ken. Als es dieser merkte, suchte er wieder ein-
zulenken, und hintergieng Xavern durch eine an-
genommene Gewissenhaftigkeit und Scheinheilig-
keit aufs neue. Er warf die Karten beym näch-
sten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend
und Morgen laut, sprach viel von Religion, und
gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder,
so, daß man diesen fast allein in seiner Gesellschaft
sah. Selbst den P. Philipp besuchte er weniger.

Eines Tages kam Kreutzner traurig heim,
und stellte sich, als ob er oft verstohlen weinte;
aber doch so, daß es Siegwart sehen mußte.



oder um Geld zu ſpielen. Er erſchrack, als er
dieſes leſen hoͤrte, weil ihm ſogleich der geſtrige
Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner
wieder ſpielen. Er ſchlugs ihm rund ab, und
ſchuͤtzte das Verbot vor, das ihm erſt heute, in
ſeiner Gegenwart, vorgeleſen worden ſey. Kreutz-
ner
lachte, gab ihm Einfalt ſchuld, und ſagte:
Wer ſich darnach richten wollte, muͤßte ein Mu-
cker werden; es ſey nie darauf gehalten worden;
man verbiet es nur zum Schein, u. ſ. w. Dies
alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Ge-
luͤbde, das eine Art von Eyd iſt, fuͤr zu heilig,
und fing an, von Kreutznern ſchlimmer zu den-
ken. Als es dieſer merkte, ſuchte er wieder ein-
zulenken, und hintergieng Xavern durch eine an-
genommene Gewiſſenhaftigkeit und Scheinheilig-
keit aufs neue. Er warf die Karten beym naͤch-
ſten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend
und Morgen laut, ſprach viel von Religion, und
gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder,
ſo, daß man dieſen faſt allein in ſeiner Geſellſchaft
ſah. Selbſt den P. Philipp beſuchte er weniger.

Eines Tages kam Kreutzner traurig heim,
und ſtellte ſich, als ob er oft verſtohlen weinte;
aber doch ſo, daß es Siegwart ſehen mußte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="187"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
oder um Geld zu &#x017F;pielen. Er er&#x017F;chrack, als er<lb/>
die&#x017F;es le&#x017F;en ho&#x0364;rte, weil ihm &#x017F;ogleich der ge&#x017F;trige<lb/>
Tag einfiel. Den Abend drauf wollte <hi rendition="#fr">Kreutzner</hi><lb/>
wieder &#x017F;pielen. Er &#x017F;chlugs ihm rund ab, und<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tzte das Verbot vor, das ihm er&#x017F;t heute, in<lb/>
&#x017F;einer Gegenwart, vorgele&#x017F;en worden &#x017F;ey. <hi rendition="#fr">Kreutz-<lb/>
ner</hi> lachte, gab ihm Einfalt &#x017F;chuld, und &#x017F;agte:<lb/>
Wer &#x017F;ich darnach richten wollte, mu&#x0364;ßte ein Mu-<lb/>
cker werden; es &#x017F;ey nie darauf gehalten worden;<lb/>
man verbiet es nur zum Schein, u. &#x017F;. w. Dies<lb/>
alles half bey <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> nichts; er hielt ein Ge-<lb/>
lu&#x0364;bde, das eine Art von Eyd i&#x017F;t, fu&#x0364;r zu heilig,<lb/>
und fing an, von <hi rendition="#fr">Kreutznern</hi> &#x017F;chlimmer zu den-<lb/>
ken. Als es die&#x017F;er merkte, &#x017F;uchte er wieder ein-<lb/>
zulenken, und hintergieng <hi rendition="#fr">Xavern</hi> durch eine an-<lb/>
genommene Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit und Scheinheilig-<lb/>
keit aufs neue. Er warf die Karten beym na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend<lb/>
und Morgen laut, &#x017F;prach viel von Religion, und<lb/>
gewann dadurch <hi rendition="#fr">Siegwarts</hi> ganze Seele wieder,<lb/>
&#x017F;o, daß man die&#x017F;en fa&#x017F;t allein in &#x017F;einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;ah. Selb&#x017F;t den P. <hi rendition="#fr">Philipp</hi> be&#x017F;uchte er weniger.</p><lb/>
        <p>Eines Tages kam <hi rendition="#fr">Kreutzner</hi> traurig heim,<lb/>
und &#x017F;tellte &#x017F;ich, als ob er oft ver&#x017F;tohlen weinte;<lb/>
aber doch &#x017F;o, daß es <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> &#x017F;ehen mußte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0191] oder um Geld zu ſpielen. Er erſchrack, als er dieſes leſen hoͤrte, weil ihm ſogleich der geſtrige Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner wieder ſpielen. Er ſchlugs ihm rund ab, und ſchuͤtzte das Verbot vor, das ihm erſt heute, in ſeiner Gegenwart, vorgeleſen worden ſey. Kreutz- ner lachte, gab ihm Einfalt ſchuld, und ſagte: Wer ſich darnach richten wollte, muͤßte ein Mu- cker werden; es ſey nie darauf gehalten worden; man verbiet es nur zum Schein, u. ſ. w. Dies alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Ge- luͤbde, das eine Art von Eyd iſt, fuͤr zu heilig, und fing an, von Kreutznern ſchlimmer zu den- ken. Als es dieſer merkte, ſuchte er wieder ein- zulenken, und hintergieng Xavern durch eine an- genommene Gewiſſenhaftigkeit und Scheinheilig- keit aufs neue. Er warf die Karten beym naͤch- ſten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend und Morgen laut, ſprach viel von Religion, und gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder, ſo, daß man dieſen faſt allein in ſeiner Geſellſchaft ſah. Selbſt den P. Philipp beſuchte er weniger. Eines Tages kam Kreutzner traurig heim, und ſtellte ſich, als ob er oft verſtohlen weinte; aber doch ſo, daß es Siegwart ſehen mußte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/191
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/191>, abgerufen am 05.05.2024.