Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Seele weidete sich nun aufs neu an dem Gedanken ans Klosterleben, das ihm wieder doppelt reizend vorkam; ein so thätiges und lebhaftes Gemüth, wie Xavers seines, schmückt jeden Gedanken mit den hellsten Farben; es verweilt am liebsten bey fey- erlichen und Romanhaften Jdeen, die die meiste Neuheit haben; und die Einsiedeley des Klosters führt gewiß viel romanhaftes mit sich. Er ward nun wieder heitrer, und bewunderte die schöne wei- te Ebne, die sich vor ihm ausbreitete. Aecker, Wiesen, Dörfer und Wälder wechselten auf die an- genehmste Art mit einander ab. Die Sonne warf verschiedene Schattirungen darauf, und gab der Aussicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor sich sah er in der tiefsten Ferne die ehrwürdigen Tyroler Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um die Gegend zogen. Jhre eine Seite war vom Sonnenstral beglänzt, und blendete, wenn das Au- ge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen dunkelblauen Schatten. Seine Phantasie bildete sich aus den Bergen ganz verschiedene Gestalten von Riesen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die sich, wenn er sie lange ansah, endlich zu bewegen schienen, So vergaß er nach und nach sein ganzes jetziges Verhältniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr ei- Seele weidete ſich nun aufs neu an dem Gedanken ans Kloſterleben, das ihm wieder doppelt reizend vorkam; ein ſo thaͤtiges und lebhaftes Gemuͤth, wie Xavers ſeines, ſchmuͤckt jeden Gedanken mit den hellſten Farben; es verweilt am liebſten bey fey- erlichen und Romanhaften Jdeen, die die meiſte Neuheit haben; und die Einſiedeley des Kloſters fuͤhrt gewiß viel romanhaftes mit ſich. Er ward nun wieder heitrer, und bewunderte die ſchoͤne wei- te Ebne, die ſich vor ihm ausbreitete. Aecker, Wieſen, Doͤrfer und Waͤlder wechſelten auf die an- genehmſte Art mit einander ab. Die Sonne warf verſchiedene Schattirungen darauf, und gab der Ausſicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor ſich ſah er in der tiefſten Ferne die ehrwuͤrdigen Tyroler Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um die Gegend zogen. Jhre eine Seite war vom Sonnenſtral beglaͤnzt, und blendete, wenn das Au- ge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen dunkelblauen Schatten. Seine Phantaſie bildete ſich aus den Bergen ganz verſchiedene Geſtalten von Rieſen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die ſich, wenn er ſie lange anſah, endlich zu bewegen ſchienen, So vergaß er nach und nach ſein ganzes jetziges Verhaͤltniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr ei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0171" n="167"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Seele weidete ſich nun aufs neu an dem Gedanken<lb/> ans Kloſterleben, das ihm wieder doppelt reizend<lb/> vorkam; ein ſo thaͤtiges und lebhaftes Gemuͤth,<lb/> wie <hi rendition="#fr">Xavers</hi> ſeines, ſchmuͤckt jeden Gedanken mit<lb/> den hellſten Farben; es verweilt am liebſten bey fey-<lb/> erlichen und Romanhaften Jdeen, die die meiſte<lb/> Neuheit haben; und die Einſiedeley des Kloſters<lb/> fuͤhrt gewiß viel romanhaftes mit ſich. Er ward<lb/> nun wieder heitrer, und bewunderte die ſchoͤne wei-<lb/> te Ebne, die ſich vor ihm ausbreitete. Aecker,<lb/> Wieſen, Doͤrfer und Waͤlder wechſelten auf die an-<lb/> genehmſte Art mit einander ab. Die Sonne warf<lb/> verſchiedene Schattirungen darauf, und gab der<lb/> Ausſicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor ſich ſah<lb/> er in der tiefſten Ferne die ehrwuͤrdigen <hi rendition="#fr">Tyroler</hi><lb/> Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um<lb/> die Gegend zogen. Jhre eine Seite war vom<lb/> Sonnenſtral beglaͤnzt, und blendete, wenn das Au-<lb/> ge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen<lb/> dunkelblauen Schatten. Seine Phantaſie bildete<lb/> ſich aus den Bergen ganz verſchiedene Geſtalten von<lb/> Rieſen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die ſich,<lb/> wenn er ſie lange anſah, endlich zu bewegen ſchienen,<lb/> So vergaß er nach und nach ſein ganzes jetziges<lb/> Verhaͤltniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr ei-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [167/0171]
Seele weidete ſich nun aufs neu an dem Gedanken
ans Kloſterleben, das ihm wieder doppelt reizend
vorkam; ein ſo thaͤtiges und lebhaftes Gemuͤth,
wie Xavers ſeines, ſchmuͤckt jeden Gedanken mit
den hellſten Farben; es verweilt am liebſten bey fey-
erlichen und Romanhaften Jdeen, die die meiſte
Neuheit haben; und die Einſiedeley des Kloſters
fuͤhrt gewiß viel romanhaftes mit ſich. Er ward
nun wieder heitrer, und bewunderte die ſchoͤne wei-
te Ebne, die ſich vor ihm ausbreitete. Aecker,
Wieſen, Doͤrfer und Waͤlder wechſelten auf die an-
genehmſte Art mit einander ab. Die Sonne warf
verſchiedene Schattirungen darauf, und gab der
Ausſicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor ſich ſah
er in der tiefſten Ferne die ehrwuͤrdigen Tyroler
Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um
die Gegend zogen. Jhre eine Seite war vom
Sonnenſtral beglaͤnzt, und blendete, wenn das Au-
ge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen
dunkelblauen Schatten. Seine Phantaſie bildete
ſich aus den Bergen ganz verſchiedene Geſtalten von
Rieſen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die ſich,
wenn er ſie lange anſah, endlich zu bewegen ſchienen,
So vergaß er nach und nach ſein ganzes jetziges
Verhaͤltniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr ei-
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