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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
gären Fertigkeiten, welche der Eitelkeit oder dem Ehrgeiz dienen,
abgesehen, in der Regel bei einem Manne zu Ende, der ein geistig
unter ihm stehendes Weib heirathet, ausgenommen allerdings,
wenn er in der Ehe unglücklich oder gegen sein Weib gleichgiltig
wird. Ein erfahrener Beobachter erwartet von einem Manne von
fünfundzwanzig oder dreißig Jahren nach seiner Verheirathung
kaum mehr irgend welche Vervollkommnung an Geist oder Charakter.
Selten nur wird die schon erworbene Stufe behauptet. Ein Funke
der mens divinior, der sonst zur Flamme herangewachsen wäre,
glimmt nur selten noch längere Zeit fort ohne zu verlöschen. Denn
ein Geist, welcher sich mit dem bescheiden lernt, was er schon ist,
welcher nicht unverwandt nach einer Staffel der Vollkommenheit
ausschaut, die er noch nicht besitzt, wird schlaff und träge und verliert
die Spannkraft, die ihn auch nur auf der schon erreichten Stufe er-
halten kann. Und es giebt keine Thatsache in der menschlichen Natur,
für welche die Erfahrung ein ausnahmsloseres Zeugniß ablegte, als
diese, daß alle socialen oder sympathischen Einflüsse, welche nicht
erheben, eine erniedrigende Wirkung üben; wenn sie den Geist nicht
befeuern und veredlen, ziehen sie ihn zur Alltäglichkeit herab.

Es liegt daher im Jnteresse, nicht nur der Frauen, sondern
auch der Männer und des menschlichen Fortschrittes im weitesten
Sinne, daß die Emancipation der Frauen, welche die moderne
Welt sich oft rühmt bewirkt zu haben, und welche mitunter auf
Rechnung der Civilisation, mitunter auf jene des Christenthumes
gesetzt wird, nicht auf der Stufe stehen bleibe, auf der sie sich jetzt
befindet. Wenn es gerecht oder nothwendig wäre, daß ein Theil der
Menschheit an Gemüth und Geist nur halb entwickelt werde, so
hätte die Entwicklung des anderen Theiles soweit als möglich von
seinem Einfluß unabhängig gemacht werden sollen. Anstatt dessen
sind die Frauen die nächsten, und man kann jetzt sagen, die einzigen
nahen Gefährten derjenigen geworden, deren Höhe sie doch beileibe
nicht erreichen sollen; sie sind gerade weit genug erhoben worden,
um die anderen zu sich herabzuziehen.

Eine Schaar trivialer Einwendungen haben wir hinter uns
gelassen, zum Theil weil sie eine Antwort nicht verdienen, zum
Theil weil sie durch den ganzen Gang unserer Darlegung bereits
mittelbar beantwortet sind. Ein paar Worte müssen wir jedoch
einem Einwurf widmen, von dem man in England sehr oft Ge-
brauch macht, um der Verfechtung eigennütziger Vorrechte ein un-
eigennütziges Ansehen zu geben, und welcher bei oberflächlicher
Betrachtung weit mehr zu besagen scheint als er in Wirklichkeit
bedeutet. Die Frauen, so behauptet man, sehnen sich nicht und streben

Ueber Frauenemancipation.
gären Fertigkeiten, welche der Eitelkeit oder dem Ehrgeiz dienen,
abgesehen, in der Regel bei einem Manne zu Ende, der ein geistig
unter ihm stehendes Weib heirathet, ausgenommen allerdings,
wenn er in der Ehe unglücklich oder gegen sein Weib gleichgiltig
wird. Ein erfahrener Beobachter erwartet von einem Manne von
fünfundzwanzig oder dreißig Jahren nach seiner Verheirathung
kaum mehr irgend welche Vervollkommnung an Geist oder Charakter.
Selten nur wird die schon erworbene Stufe behauptet. Ein Funke
der mens divinior, der sonst zur Flamme herangewachsen wäre,
glimmt nur selten noch längere Zeit fort ohne zu verlöschen. Denn
ein Geist, welcher sich mit dem bescheiden lernt, was er schon ist,
welcher nicht unverwandt nach einer Staffel der Vollkommenheit
ausschaut, die er noch nicht besitzt, wird schlaff und träge und verliert
die Spannkraft, die ihn auch nur auf der schon erreichten Stufe er-
halten kann. Und es giebt keine Thatsache in der menschlichen Natur,
für welche die Erfahrung ein ausnahmsloseres Zeugniß ablegte, als
diese, daß alle socialen oder sympathischen Einflüsse, welche nicht
erheben, eine erniedrigende Wirkung üben; wenn sie den Geist nicht
befeuern und veredlen, ziehen sie ihn zur Alltäglichkeit herab.

Es liegt daher im Jnteresse, nicht nur der Frauen, sondern
auch der Männer und des menschlichen Fortschrittes im weitesten
Sinne, daß die Emancipation der Frauen, welche die moderne
Welt sich oft rühmt bewirkt zu haben, und welche mitunter auf
Rechnung der Civilisation, mitunter auf jene des Christenthumes
gesetzt wird, nicht auf der Stufe stehen bleibe, auf der sie sich jetzt
befindet. Wenn es gerecht oder nothwendig wäre, daß ein Theil der
Menschheit an Gemüth und Geist nur halb entwickelt werde, so
hätte die Entwicklung des anderen Theiles soweit als möglich von
seinem Einfluß unabhängig gemacht werden sollen. Anstatt dessen
sind die Frauen die nächsten, und man kann jetzt sagen, die einzigen
nahen Gefährten derjenigen geworden, deren Höhe sie doch beileibe
nicht erreichen sollen; sie sind gerade weit genug erhoben worden,
um die anderen zu sich herabzuziehen.

Eine Schaar trivialer Einwendungen haben wir hinter uns
gelassen, zum Theil weil sie eine Antwort nicht verdienen, zum
Theil weil sie durch den ganzen Gang unserer Darlegung bereits
mittelbar beantwortet sind. Ein paar Worte müssen wir jedoch
einem Einwurf widmen, von dem man in England sehr oft Ge-
brauch macht, um der Verfechtung eigennütziger Vorrechte ein un-
eigennütziges Ansehen zu geben, und welcher bei oberflächlicher
Betrachtung weit mehr zu besagen scheint als er in Wirklichkeit
bedeutet. Die Frauen, so behauptet man, sehnen sich nicht und streben

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[25/0025] Ueber Frauenemancipation. gären Fertigkeiten, welche der Eitelkeit oder dem Ehrgeiz dienen, abgesehen, in der Regel bei einem Manne zu Ende, der ein geistig unter ihm stehendes Weib heirathet, ausgenommen allerdings, wenn er in der Ehe unglücklich oder gegen sein Weib gleichgiltig wird. Ein erfahrener Beobachter erwartet von einem Manne von fünfundzwanzig oder dreißig Jahren nach seiner Verheirathung kaum mehr irgend welche Vervollkommnung an Geist oder Charakter. Selten nur wird die schon erworbene Stufe behauptet. Ein Funke der mens divinior, der sonst zur Flamme herangewachsen wäre, glimmt nur selten noch längere Zeit fort ohne zu verlöschen. Denn ein Geist, welcher sich mit dem bescheiden lernt, was er schon ist, welcher nicht unverwandt nach einer Staffel der Vollkommenheit ausschaut, die er noch nicht besitzt, wird schlaff und träge und verliert die Spannkraft, die ihn auch nur auf der schon erreichten Stufe er- halten kann. Und es giebt keine Thatsache in der menschlichen Natur, für welche die Erfahrung ein ausnahmsloseres Zeugniß ablegte, als diese, daß alle socialen oder sympathischen Einflüsse, welche nicht erheben, eine erniedrigende Wirkung üben; wenn sie den Geist nicht befeuern und veredlen, ziehen sie ihn zur Alltäglichkeit herab. Es liegt daher im Jnteresse, nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer und des menschlichen Fortschrittes im weitesten Sinne, daß die Emancipation der Frauen, welche die moderne Welt sich oft rühmt bewirkt zu haben, und welche mitunter auf Rechnung der Civilisation, mitunter auf jene des Christenthumes gesetzt wird, nicht auf der Stufe stehen bleibe, auf der sie sich jetzt befindet. Wenn es gerecht oder nothwendig wäre, daß ein Theil der Menschheit an Gemüth und Geist nur halb entwickelt werde, so hätte die Entwicklung des anderen Theiles soweit als möglich von seinem Einfluß unabhängig gemacht werden sollen. Anstatt dessen sind die Frauen die nächsten, und man kann jetzt sagen, die einzigen nahen Gefährten derjenigen geworden, deren Höhe sie doch beileibe nicht erreichen sollen; sie sind gerade weit genug erhoben worden, um die anderen zu sich herabzuziehen. Eine Schaar trivialer Einwendungen haben wir hinter uns gelassen, zum Theil weil sie eine Antwort nicht verdienen, zum Theil weil sie durch den ganzen Gang unserer Darlegung bereits mittelbar beantwortet sind. Ein paar Worte müssen wir jedoch einem Einwurf widmen, von dem man in England sehr oft Ge- brauch macht, um der Verfechtung eigennütziger Vorrechte ein un- eigennütziges Ansehen zu geben, und welcher bei oberflächlicher Betrachtung weit mehr zu besagen scheint als er in Wirklichkeit bedeutet. Die Frauen, so behauptet man, sehnen sich nicht und streben

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/25>, abgerufen am 28.04.2024.