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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
Herzen liegen, die Kinder, wirkt der Einfluß des Weibes aller-
dings entgegen, obwohl ihre Abhängigkeit dieselbe begünstigt. Aber
so lange ihre Jnteressen auf die Familie allein beschränkt sind,
kann ihr Charakter auf den seinigen im allgemeinen nur in der
Weise einwirken, daß an die Stelle der persönlichen Selbstsucht
eine Familienselbstsucht tritt, welche ein liebenswürdiges Gewand
trägt und die Maske der Pflicht vornimmt. Wie selten steht der
Einfluß des Weibes auf Seiten der Bürgertugend, wie selten ver-
hält er sich anders als entmuthigend gegen jede Bethätigung der
Gesinnung, von welcher ein Nachtheil für die weltlichen Jnteressen
oder den weltlichen Glanz der Familie zu erwarten ist. Sinn
für's Gemeinwohl, Verständniß für die Pflichten gegen das all-
gemeine Beste, dieß ist von allen Tugenden diejenige, welche bei
den Frauen, wie sie jetzt erzogen oder gestellt sind, am seltensten
gefunden wird; sie besitzen sogar nur selten das, was bei Männern
oft ein theilweiser Ersatz für fehlenden Gemeinsinn ist, persönliches
Ehrgefühl, das sich an irgend eine öffentliche Pflichterfüllung knüpft.
Mancher Mann, der durch Geld oder persönliche Schmeichelei
nicht zu bestechen war, hat seine politischen Ansichten gegen einen
Titel oder eine Einladung für seine Frau verschachert; und eine
noch größere Zahl geht ganz und gar in der Jagd nach den
kindischen Auszeichnungen der Gesellschaft auf, weil ihre Frauen
darauf erpicht sind. Was die Gesinnung betrifft, so ist in katho-
lischen Ländern der Einfluß der Frau nur ein anderer Name für
den Einfluß des Priesters, der ihr in den Hoffnungen und Ge-
fühlen, welche sich an ein Leben im Jenseits knüpfen, einen Trost für
die Leiden und Enttäuschungen darreicht, die gewöhnlich in diesem
Leben ihr Loos sind. Anderswo werfen sie ihr Gewicht in die
Wagschale entweder der alltäglichsten oder der äußerlich erfolg-
reichsten Meinungen, bei denen man entweder am wenigsten Tadel
zu fürchten hat oder welche die meiste Aussicht auf weltliche Be-
förderung eröffnen. Jn England steht der Einfluß des Weibes
gewöhnlich auf der illiberalen und volksfeindlichen Seite, denn das
ist in der Regel die für persönliches Jnteresse und persönliche
Eitelkeit vortheilhafte Seite; und was kümmert das Weib die
Demokratie oder der Liberalismus, an dem sie keinen Antheil hat,
der sie als denselben Pariah zurückläßt, als den er sie vorfand?
Der Mann selbst fällt gewöhnlich, nachdem er geheirathet hat,
dem Conservatismus anheim; er fängt an, für die Machthaber
mehr Sympathie zu empfinden als für ihre Opfer und hält es
für seine Aufgabe, sich auf die Seite der Autorität zu stellen.
Was geistigen Fortschritt betrifft, so ist es damit, von jenen vul-

Ueber Frauenemancipation.
Herzen liegen, die Kinder, wirkt der Einfluß des Weibes aller-
dings entgegen, obwohl ihre Abhängigkeit dieselbe begünstigt. Aber
so lange ihre Jnteressen auf die Familie allein beschränkt sind,
kann ihr Charakter auf den seinigen im allgemeinen nur in der
Weise einwirken, daß an die Stelle der persönlichen Selbstsucht
eine Familienselbstsucht tritt, welche ein liebenswürdiges Gewand
trägt und die Maske der Pflicht vornimmt. Wie selten steht der
Einfluß des Weibes auf Seiten der Bürgertugend, wie selten ver-
hält er sich anders als entmuthigend gegen jede Bethätigung der
Gesinnung, von welcher ein Nachtheil für die weltlichen Jnteressen
oder den weltlichen Glanz der Familie zu erwarten ist. Sinn
für's Gemeinwohl, Verständniß für die Pflichten gegen das all-
gemeine Beste, dieß ist von allen Tugenden diejenige, welche bei
den Frauen, wie sie jetzt erzogen oder gestellt sind, am seltensten
gefunden wird; sie besitzen sogar nur selten das, was bei Männern
oft ein theilweiser Ersatz für fehlenden Gemeinsinn ist, persönliches
Ehrgefühl, das sich an irgend eine öffentliche Pflichterfüllung knüpft.
Mancher Mann, der durch Geld oder persönliche Schmeichelei
nicht zu bestechen war, hat seine politischen Ansichten gegen einen
Titel oder eine Einladung für seine Frau verschachert; und eine
noch größere Zahl geht ganz und gar in der Jagd nach den
kindischen Auszeichnungen der Gesellschaft auf, weil ihre Frauen
darauf erpicht sind. Was die Gesinnung betrifft, so ist in katho-
lischen Ländern der Einfluß der Frau nur ein anderer Name für
den Einfluß des Priesters, der ihr in den Hoffnungen und Ge-
fühlen, welche sich an ein Leben im Jenseits knüpfen, einen Trost für
die Leiden und Enttäuschungen darreicht, die gewöhnlich in diesem
Leben ihr Loos sind. Anderswo werfen sie ihr Gewicht in die
Wagschale entweder der alltäglichsten oder der äußerlich erfolg-
reichsten Meinungen, bei denen man entweder am wenigsten Tadel
zu fürchten hat oder welche die meiste Aussicht auf weltliche Be-
förderung eröffnen. Jn England steht der Einfluß des Weibes
gewöhnlich auf der illiberalen und volksfeindlichen Seite, denn das
ist in der Regel die für persönliches Jnteresse und persönliche
Eitelkeit vortheilhafte Seite; und was kümmert das Weib die
Demokratie oder der Liberalismus, an dem sie keinen Antheil hat,
der sie als denselben Pariah zurückläßt, als den er sie vorfand?
Der Mann selbst fällt gewöhnlich, nachdem er geheirathet hat,
dem Conservatismus anheim; er fängt an, für die Machthaber
mehr Sympathie zu empfinden als für ihre Opfer und hält es
für seine Aufgabe, sich auf die Seite der Autorität zu stellen.
Was geistigen Fortschritt betrifft, so ist es damit, von jenen vul-

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[24/0024] Ueber Frauenemancipation. Herzen liegen, die Kinder, wirkt der Einfluß des Weibes aller- dings entgegen, obwohl ihre Abhängigkeit dieselbe begünstigt. Aber so lange ihre Jnteressen auf die Familie allein beschränkt sind, kann ihr Charakter auf den seinigen im allgemeinen nur in der Weise einwirken, daß an die Stelle der persönlichen Selbstsucht eine Familienselbstsucht tritt, welche ein liebenswürdiges Gewand trägt und die Maske der Pflicht vornimmt. Wie selten steht der Einfluß des Weibes auf Seiten der Bürgertugend, wie selten ver- hält er sich anders als entmuthigend gegen jede Bethätigung der Gesinnung, von welcher ein Nachtheil für die weltlichen Jnteressen oder den weltlichen Glanz der Familie zu erwarten ist. Sinn für's Gemeinwohl, Verständniß für die Pflichten gegen das all- gemeine Beste, dieß ist von allen Tugenden diejenige, welche bei den Frauen, wie sie jetzt erzogen oder gestellt sind, am seltensten gefunden wird; sie besitzen sogar nur selten das, was bei Männern oft ein theilweiser Ersatz für fehlenden Gemeinsinn ist, persönliches Ehrgefühl, das sich an irgend eine öffentliche Pflichterfüllung knüpft. Mancher Mann, der durch Geld oder persönliche Schmeichelei nicht zu bestechen war, hat seine politischen Ansichten gegen einen Titel oder eine Einladung für seine Frau verschachert; und eine noch größere Zahl geht ganz und gar in der Jagd nach den kindischen Auszeichnungen der Gesellschaft auf, weil ihre Frauen darauf erpicht sind. Was die Gesinnung betrifft, so ist in katho- lischen Ländern der Einfluß der Frau nur ein anderer Name für den Einfluß des Priesters, der ihr in den Hoffnungen und Ge- fühlen, welche sich an ein Leben im Jenseits knüpfen, einen Trost für die Leiden und Enttäuschungen darreicht, die gewöhnlich in diesem Leben ihr Loos sind. Anderswo werfen sie ihr Gewicht in die Wagschale entweder der alltäglichsten oder der äußerlich erfolg- reichsten Meinungen, bei denen man entweder am wenigsten Tadel zu fürchten hat oder welche die meiste Aussicht auf weltliche Be- förderung eröffnen. Jn England steht der Einfluß des Weibes gewöhnlich auf der illiberalen und volksfeindlichen Seite, denn das ist in der Regel die für persönliches Jnteresse und persönliche Eitelkeit vortheilhafte Seite; und was kümmert das Weib die Demokratie oder der Liberalismus, an dem sie keinen Antheil hat, der sie als denselben Pariah zurückläßt, als den er sie vorfand? Der Mann selbst fällt gewöhnlich, nachdem er geheirathet hat, dem Conservatismus anheim; er fängt an, für die Machthaber mehr Sympathie zu empfinden als für ihre Opfer und hält es für seine Aufgabe, sich auf die Seite der Autorität zu stellen. Was geistigen Fortschritt betrifft, so ist es damit, von jenen vul-

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/24>, abgerufen am 28.04.2024.