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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
immer ein heilsamer ist. Er ist, so sagt man uns oft, das eine
große Gegenmittel gegen die Selbstsucht. Allein wie es sich auch
immer mit dem persönlichen Einfluß verhalten mag, der Einfluß
ihrer Stellung besitzt in hervorragender Weise die Tendenz, die
Selbstsucht zu fördern. Der allerunbedeutendste Mann, der Mann,
der nirgendwo anders Einfluß oder Beachtung genießt, findet einen
Platz, wo er Oberhaupt und Herrscher ist. Es giebt eine Person,
ihm an Verstand oft weit überlegen, die ihn um Rath zu fragen
gehalten ist, während er sie um Rath zu fragen nicht verpflichtet
ist. Er ist Richter, Obrigkeit, Souverän in Betreff ihrer gemein-
samen Angelegenheiten, er entscheidet in allen Zwistigkeiten zwischen
ihnen. Die Gerechtigkeit oder Gewissenhaftigkeit, vor welche sie ihre
Klage bringen muß, ist seine Gerechtigkeit und seine Gewissenhaftig-
keit; sein Amt ist es, die Wagschalen zu richten und die Wage zu
halten zwischen seinen eigenen Wünschen oder Ansprüchen und jenen
eines Anderen. Es ist dieß jetzt in civilisirten Ländern das einzige
Tribunal, bei welchem dieselbe Person zugleich Richter und Partei
ist. Eine großmüthige Seele läßt in solcher Stellung die Wage auf
die Seite des Anderen sinken und giebt diesem nicht weniger,
sondern mehr als das gebührende Theil. So kann sich für die
schwächere Seite sogar ihre Abhängigkeit in ein Werkzeug der Macht
verwandeln, und sie kann in Ermangelung der Gerechtigkeit aus dem
Edelsinn einen unedlen Vortheil ziehen, während die ungerechte
Macht für die, welche sie so uneigennützig gebrauchen, eine Last
und eine Qual wird. Aber was geschieht, wenn ein Mann wie
Männer durchschnittlich sind mit dieser Machtvollkommenheit aus-
gerüstet wird, ohne Gegenpflichten und ohne Verantwortlichkeit?
Gebt einem solchen Mann die Vorstellung, daß er nach Sitte und
Gesetz der erste sei, daß zu wollen seine Sache sei, ihre Sache sich
dem Willen zu fügen; dürfen wir da wohl annehmen, daß diese
Vorstellung seinen Geist nur oberflächlich streifen wird, ohne in
seine Tiefen einzudringen und ohne auf seine Gesinnungen und
Handlungen einzuwirken? Die Neigung, sich und seine Jnteressen
in die erste Reihe zu stellen, diejenigen Anderer höchstens in die
zweite, ist nicht so selten, daß sie dort fehlen sollte, wo alles wie
mit Absicht darauf angelegt scheint, ihre Herrschaft zu ermuthigen.
Wenn dem Manne irgend welcher Eigenwille innewohnt, so wird
er entweder wissentlich oder unwissentlich zum Despoten seines
Hauses. Das Weib erreicht zwar oft ihre Zwecke, aber das ge-
schieht durch irgend welche von den mannigfachen Abarten der Be-
rechnung und Verstellung. So wirkt ihre Stellung verderbend
auf Beide; bei dem Einen erzeugt sie die Laster der Macht, bei

Ueber Frauenemancipation.
immer ein heilsamer ist. Er ist, so sagt man uns oft, das eine
große Gegenmittel gegen die Selbstsucht. Allein wie es sich auch
immer mit dem persönlichen Einfluß verhalten mag, der Einfluß
ihrer Stellung besitzt in hervorragender Weise die Tendenz, die
Selbstsucht zu fördern. Der allerunbedeutendste Mann, der Mann,
der nirgendwo anders Einfluß oder Beachtung genießt, findet einen
Platz, wo er Oberhaupt und Herrscher ist. Es giebt eine Person,
ihm an Verstand oft weit überlegen, die ihn um Rath zu fragen
gehalten ist, während er sie um Rath zu fragen nicht verpflichtet
ist. Er ist Richter, Obrigkeit, Souverän in Betreff ihrer gemein-
samen Angelegenheiten, er entscheidet in allen Zwistigkeiten zwischen
ihnen. Die Gerechtigkeit oder Gewissenhaftigkeit, vor welche sie ihre
Klage bringen muß, ist seine Gerechtigkeit und seine Gewissenhaftig-
keit; sein Amt ist es, die Wagschalen zu richten und die Wage zu
halten zwischen seinen eigenen Wünschen oder Ansprüchen und jenen
eines Anderen. Es ist dieß jetzt in civilisirten Ländern das einzige
Tribunal, bei welchem dieselbe Person zugleich Richter und Partei
ist. Eine großmüthige Seele läßt in solcher Stellung die Wage auf
die Seite des Anderen sinken und giebt diesem nicht weniger,
sondern mehr als das gebührende Theil. So kann sich für die
schwächere Seite sogar ihre Abhängigkeit in ein Werkzeug der Macht
verwandeln, und sie kann in Ermangelung der Gerechtigkeit aus dem
Edelsinn einen unedlen Vortheil ziehen, während die ungerechte
Macht für die, welche sie so uneigennützig gebrauchen, eine Last
und eine Qual wird. Aber was geschieht, wenn ein Mann wie
Männer durchschnittlich sind mit dieser Machtvollkommenheit aus-
gerüstet wird, ohne Gegenpflichten und ohne Verantwortlichkeit?
Gebt einem solchen Mann die Vorstellung, daß er nach Sitte und
Gesetz der erste sei, daß zu wollen seine Sache sei, ihre Sache sich
dem Willen zu fügen; dürfen wir da wohl annehmen, daß diese
Vorstellung seinen Geist nur oberflächlich streifen wird, ohne in
seine Tiefen einzudringen und ohne auf seine Gesinnungen und
Handlungen einzuwirken? Die Neigung, sich und seine Jnteressen
in die erste Reihe zu stellen, diejenigen Anderer höchstens in die
zweite, ist nicht so selten, daß sie dort fehlen sollte, wo alles wie
mit Absicht darauf angelegt scheint, ihre Herrschaft zu ermuthigen.
Wenn dem Manne irgend welcher Eigenwille innewohnt, so wird
er entweder wissentlich oder unwissentlich zum Despoten seines
Hauses. Das Weib erreicht zwar oft ihre Zwecke, aber das ge-
schieht durch irgend welche von den mannigfachen Abarten der Be-
rechnung und Verstellung. So wirkt ihre Stellung verderbend
auf Beide; bei dem Einen erzeugt sie die Laster der Macht, bei

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[22/0022] Ueber Frauenemancipation. immer ein heilsamer ist. Er ist, so sagt man uns oft, das eine große Gegenmittel gegen die Selbstsucht. Allein wie es sich auch immer mit dem persönlichen Einfluß verhalten mag, der Einfluß ihrer Stellung besitzt in hervorragender Weise die Tendenz, die Selbstsucht zu fördern. Der allerunbedeutendste Mann, der Mann, der nirgendwo anders Einfluß oder Beachtung genießt, findet einen Platz, wo er Oberhaupt und Herrscher ist. Es giebt eine Person, ihm an Verstand oft weit überlegen, die ihn um Rath zu fragen gehalten ist, während er sie um Rath zu fragen nicht verpflichtet ist. Er ist Richter, Obrigkeit, Souverän in Betreff ihrer gemein- samen Angelegenheiten, er entscheidet in allen Zwistigkeiten zwischen ihnen. Die Gerechtigkeit oder Gewissenhaftigkeit, vor welche sie ihre Klage bringen muß, ist seine Gerechtigkeit und seine Gewissenhaftig- keit; sein Amt ist es, die Wagschalen zu richten und die Wage zu halten zwischen seinen eigenen Wünschen oder Ansprüchen und jenen eines Anderen. Es ist dieß jetzt in civilisirten Ländern das einzige Tribunal, bei welchem dieselbe Person zugleich Richter und Partei ist. Eine großmüthige Seele läßt in solcher Stellung die Wage auf die Seite des Anderen sinken und giebt diesem nicht weniger, sondern mehr als das gebührende Theil. So kann sich für die schwächere Seite sogar ihre Abhängigkeit in ein Werkzeug der Macht verwandeln, und sie kann in Ermangelung der Gerechtigkeit aus dem Edelsinn einen unedlen Vortheil ziehen, während die ungerechte Macht für die, welche sie so uneigennützig gebrauchen, eine Last und eine Qual wird. Aber was geschieht, wenn ein Mann wie Männer durchschnittlich sind mit dieser Machtvollkommenheit aus- gerüstet wird, ohne Gegenpflichten und ohne Verantwortlichkeit? Gebt einem solchen Mann die Vorstellung, daß er nach Sitte und Gesetz der erste sei, daß zu wollen seine Sache sei, ihre Sache sich dem Willen zu fügen; dürfen wir da wohl annehmen, daß diese Vorstellung seinen Geist nur oberflächlich streifen wird, ohne in seine Tiefen einzudringen und ohne auf seine Gesinnungen und Handlungen einzuwirken? Die Neigung, sich und seine Jnteressen in die erste Reihe zu stellen, diejenigen Anderer höchstens in die zweite, ist nicht so selten, daß sie dort fehlen sollte, wo alles wie mit Absicht darauf angelegt scheint, ihre Herrschaft zu ermuthigen. Wenn dem Manne irgend welcher Eigenwille innewohnt, so wird er entweder wissentlich oder unwissentlich zum Despoten seines Hauses. Das Weib erreicht zwar oft ihre Zwecke, aber das ge- schieht durch irgend welche von den mannigfachen Abarten der Be- rechnung und Verstellung. So wirkt ihre Stellung verderbend auf Beide; bei dem Einen erzeugt sie die Laster der Macht, bei

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/22>, abgerufen am 27.04.2024.