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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
der Vermehrung der Concurrenz werden sich seiner Zeit wohl
Mittel finden lassen. Palliativ-Maßregeln könnten sofort an-
gewendet werden, zum Beispiel eine strengere Ausschließung der
Kinder von industrieller Thätigkeit während der Jahre, in denen
sie keine andere Arbeit leisten sollten als jene, welche ihren Körper
und Geist für das spätere Leben erstarken macht. Kinder sind
nothwendiger Weise abhängig und unter der Gewalt Anderer, und
ihre Arbeit, die nicht ihnen selbst sondern ihren Eltern Gewinn
bringt, ist ein geeigneter Gegenstand gesetzlicher Regelung. Was
die Zukunft anbelangt, so glauben wir, daß weder die gedankenlose
Vermehrung und die daraus folgende übermäßige Schwierigkeit,
einen Unterhalt zu finden, immer andauern wird, noch daß die
Theilung der Menschen in Capitalisten und gemiethete Arbeiter
und die Regulirung der Entlohnung der Arbeiter hauptsächlich
durch Nachfrage und Angebot für immer oder auch nur lange Zeit
noch in Kraft bleiben wird. Aber so lange die Concurrenz das
allgemeine Gesetz des menschlichen Lebens bleibt, ist es Tyrannei,
die eine Hälfte der Mitbewerber auszuschließen. Alle die das
Alter der Selbständigkeit erreicht haben, haben das gleiche Recht,
jede Art von nützlicher Arbeit, deren sie fähig sind, zum Preise,
den sie einträgt, zu verkaufen.

Der dritte Einwand gegen die Zulassung der Frauen zum
öffentlichen Leben oder zur Gewerbsthätigkeit, deren angeblich
verhärtender Einfluß, gehört einer vergangenen Zeit an und ist für
unsere Zeitgenossen kaum mehr verständlich. Es giebt aber immer
noch Personen, welche sagen, daß die Welt und ihr Getriebe die
Menschen selbstisch und gefühllos werden läßt, daß die Kämpfe,
Rivalitäten und Collisionen des geschäftlichen und politischen Lebens
sie rauh und unliebenswürdig machen, und daß, wenn die eine Hälfte
der Gattung sich unvermeidlich diesen Dingen hingeben muß, es um
so nothwendiger ist, daß die andere Hälfte davon fern gehalten
werde; daß es die Frauen vor den schlechten Einflüssen der Welt
zu bewahren gilt, damit die Männer denselben nicht gänzlich
verfallen.

Dieses Argument hätte etwas annehmbares, wenn sich die
Welt noch im Zeitalter des Faustrechts befände, als das Leben
reich war an physischen Kämpfen und jeder Mann das gegen ihn
oder gegen Andere verübte Unrecht mit dem Schwerte oder mit
der Stärke seines Armes abwehren mußte. Die Frauen, und
desgleichen die Priester, mögen dadurch, daß sie von solchen Ver-
pflichtungen und theilweise von den sie begleitenden Gefahren be-
freit waren, damals im Stande gewesen sein einen wohlthätigen

Ueber Frauenemancipation.
der Vermehrung der Concurrenz werden sich seiner Zeit wohl
Mittel finden lassen. Palliativ-Maßregeln könnten sofort an-
gewendet werden, zum Beispiel eine strengere Ausschließung der
Kinder von industrieller Thätigkeit während der Jahre, in denen
sie keine andere Arbeit leisten sollten als jene, welche ihren Körper
und Geist für das spätere Leben erstarken macht. Kinder sind
nothwendiger Weise abhängig und unter der Gewalt Anderer, und
ihre Arbeit, die nicht ihnen selbst sondern ihren Eltern Gewinn
bringt, ist ein geeigneter Gegenstand gesetzlicher Regelung. Was
die Zukunft anbelangt, so glauben wir, daß weder die gedankenlose
Vermehrung und die daraus folgende übermäßige Schwierigkeit,
einen Unterhalt zu finden, immer andauern wird, noch daß die
Theilung der Menschen in Capitalisten und gemiethete Arbeiter
und die Regulirung der Entlohnung der Arbeiter hauptsächlich
durch Nachfrage und Angebot für immer oder auch nur lange Zeit
noch in Kraft bleiben wird. Aber so lange die Concurrenz das
allgemeine Gesetz des menschlichen Lebens bleibt, ist es Tyrannei,
die eine Hälfte der Mitbewerber auszuschließen. Alle die das
Alter der Selbständigkeit erreicht haben, haben das gleiche Recht,
jede Art von nützlicher Arbeit, deren sie fähig sind, zum Preise,
den sie einträgt, zu verkaufen.

Der dritte Einwand gegen die Zulassung der Frauen zum
öffentlichen Leben oder zur Gewerbsthätigkeit, deren angeblich
verhärtender Einfluß, gehört einer vergangenen Zeit an und ist für
unsere Zeitgenossen kaum mehr verständlich. Es giebt aber immer
noch Personen, welche sagen, daß die Welt und ihr Getriebe die
Menschen selbstisch und gefühllos werden läßt, daß die Kämpfe,
Rivalitäten und Collisionen des geschäftlichen und politischen Lebens
sie rauh und unliebenswürdig machen, und daß, wenn die eine Hälfte
der Gattung sich unvermeidlich diesen Dingen hingeben muß, es um
so nothwendiger ist, daß die andere Hälfte davon fern gehalten
werde; daß es die Frauen vor den schlechten Einflüssen der Welt
zu bewahren gilt, damit die Männer denselben nicht gänzlich
verfallen.

Dieses Argument hätte etwas annehmbares, wenn sich die
Welt noch im Zeitalter des Faustrechts befände, als das Leben
reich war an physischen Kämpfen und jeder Mann das gegen ihn
oder gegen Andere verübte Unrecht mit dem Schwerte oder mit
der Stärke seines Armes abwehren mußte. Die Frauen, und
desgleichen die Priester, mögen dadurch, daß sie von solchen Ver-
pflichtungen und theilweise von den sie begleitenden Gefahren be-
freit waren, damals im Stande gewesen sein einen wohlthätigen

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[14/0014] Ueber Frauenemancipation. der Vermehrung der Concurrenz werden sich seiner Zeit wohl Mittel finden lassen. Palliativ-Maßregeln könnten sofort an- gewendet werden, zum Beispiel eine strengere Ausschließung der Kinder von industrieller Thätigkeit während der Jahre, in denen sie keine andere Arbeit leisten sollten als jene, welche ihren Körper und Geist für das spätere Leben erstarken macht. Kinder sind nothwendiger Weise abhängig und unter der Gewalt Anderer, und ihre Arbeit, die nicht ihnen selbst sondern ihren Eltern Gewinn bringt, ist ein geeigneter Gegenstand gesetzlicher Regelung. Was die Zukunft anbelangt, so glauben wir, daß weder die gedankenlose Vermehrung und die daraus folgende übermäßige Schwierigkeit, einen Unterhalt zu finden, immer andauern wird, noch daß die Theilung der Menschen in Capitalisten und gemiethete Arbeiter und die Regulirung der Entlohnung der Arbeiter hauptsächlich durch Nachfrage und Angebot für immer oder auch nur lange Zeit noch in Kraft bleiben wird. Aber so lange die Concurrenz das allgemeine Gesetz des menschlichen Lebens bleibt, ist es Tyrannei, die eine Hälfte der Mitbewerber auszuschließen. Alle die das Alter der Selbständigkeit erreicht haben, haben das gleiche Recht, jede Art von nützlicher Arbeit, deren sie fähig sind, zum Preise, den sie einträgt, zu verkaufen. Der dritte Einwand gegen die Zulassung der Frauen zum öffentlichen Leben oder zur Gewerbsthätigkeit, deren angeblich verhärtender Einfluß, gehört einer vergangenen Zeit an und ist für unsere Zeitgenossen kaum mehr verständlich. Es giebt aber immer noch Personen, welche sagen, daß die Welt und ihr Getriebe die Menschen selbstisch und gefühllos werden läßt, daß die Kämpfe, Rivalitäten und Collisionen des geschäftlichen und politischen Lebens sie rauh und unliebenswürdig machen, und daß, wenn die eine Hälfte der Gattung sich unvermeidlich diesen Dingen hingeben muß, es um so nothwendiger ist, daß die andere Hälfte davon fern gehalten werde; daß es die Frauen vor den schlechten Einflüssen der Welt zu bewahren gilt, damit die Männer denselben nicht gänzlich verfallen. Dieses Argument hätte etwas annehmbares, wenn sich die Welt noch im Zeitalter des Faustrechts befände, als das Leben reich war an physischen Kämpfen und jeder Mann das gegen ihn oder gegen Andere verübte Unrecht mit dem Schwerte oder mit der Stärke seines Armes abwehren mußte. Die Frauen, und desgleichen die Priester, mögen dadurch, daß sie von solchen Ver- pflichtungen und theilweise von den sie begleitenden Gefahren be- freit waren, damals im Stande gewesen sein einen wohlthätigen

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/14>, abgerufen am 28.04.2024.