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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
viele der glänzendsten Beispiele einer starken und gerechten Re-
gierung gegeben. Jm Mittelalter, wo der Abstand zwischen den
höheren und niederen Ständen größer war als selbst der zwischen
Männern und Frauen, und wo die Frauen der bevorzugten Classe,
obwohl der Willkür der Männer derselben Classe unterworfen,
ihnen doch näher standen als irgend wer anderer, und sie oftmals
während ihrer Abwesenheit in ihrer Thätigkeit und ihrer Autorität
vertraten, haben viele heldenhafte Burgfrauen wie Jeanne von
Montfort, oder die große Gräfin Derby selbst in so später
Zeit, wie die von Karl I., sich nicht nur durch politische, sondern
auch durch kriegerische Tüchtigkeit hervorgethan. Jn den Jahr-
hunderten unmittelbar vor und nach der Reformation standen
Damen von königlichem Geblüt als Diplomatinnen, als Statt-
halterinnen von ganzen Provinzen oder als vertrauliche Rath-
geberinnen von Fürsten nicht hinter den ersten Staatsmännern
ihrer Zeit zurück, und der Vertrag von Cambray, welcher Europa
den Frieden wiedergab, wurde in Conferenzen, denen kein Dritter
beiwohnte, von der Tante des Kaisers Karl V. und der Mutter
Franz I. abgeschlossen.

Was also die Eignung der Frauen für das öffentliche Leben
betrifft, so kann darüber keine Frage sein; aber der Streit wird
sich wahrscheinlich mehr um die Eignung des öffentlichen Lebens
für die Frauen drehen. Wenn man die Gründe, welche für die
Ausschließung der Frauen vom thätigen Leben in all seinen wich-
tigeren Gebieten angeführt werden, ihres declamatorischen Auf-
putzes entkleidet und sie auf den einfachen Ausdruck eines Ge-
dankens zurückführt, so scheinen ihrer hauptsächlich drei zu sein:
für's erste die Unverträglichkeit des thätigen Lebens mit den Mutter-
pflichten und mit der Besorgung eines Haushaltes, zweitens dessen
angeblich verhärtender Einfluß auf den Charakter, und drittens
die Unzweckmäßigkeit einer Steigerung des ohnehin schon über-
mäßigen Druckes der Concurrenz in jedem Zweige des Berufs-
oder Erwerbslebens.

Das erste Argument, das der Mutterpflichten, wird gewöhn-
lich besonders betont, obwohl - es ist fast unnöthig das zu sagen -
dieser Grund, wenn er einer ist, sich nur auf Mütter beziehen
kann. Es ist aber weder nothwendig, noch gerecht, die Frauen in
die Zwangslage zu versetzen, daß sie entweder Mütter oder gar
nichts sein müssen, oder daß sie, wenn sie einmal Mütter ge-
wesen sind, ihr ganzes übriges Leben nichts anderes sein dürfen.
Weder für Frauen noch für Männer bedarf es eines Gesetzes,
um sie von einer Beschäftigung auszuschließen, wenn sie sich

Ueber Frauenemancipation.
viele der glänzendsten Beispiele einer starken und gerechten Re-
gierung gegeben. Jm Mittelalter, wo der Abstand zwischen den
höheren und niederen Ständen größer war als selbst der zwischen
Männern und Frauen, und wo die Frauen der bevorzugten Classe,
obwohl der Willkür der Männer derselben Classe unterworfen,
ihnen doch näher standen als irgend wer anderer, und sie oftmals
während ihrer Abwesenheit in ihrer Thätigkeit und ihrer Autorität
vertraten, haben viele heldenhafte Burgfrauen wie Jeanne von
Montfort, oder die große Gräfin Derby selbst in so später
Zeit, wie die von Karl I., sich nicht nur durch politische, sondern
auch durch kriegerische Tüchtigkeit hervorgethan. Jn den Jahr-
hunderten unmittelbar vor und nach der Reformation standen
Damen von königlichem Geblüt als Diplomatinnen, als Statt-
halterinnen von ganzen Provinzen oder als vertrauliche Rath-
geberinnen von Fürsten nicht hinter den ersten Staatsmännern
ihrer Zeit zurück, und der Vertrag von Cambray, welcher Europa
den Frieden wiedergab, wurde in Conferenzen, denen kein Dritter
beiwohnte, von der Tante des Kaisers Karl V. und der Mutter
Franz I. abgeschlossen.

Was also die Eignung der Frauen für das öffentliche Leben
betrifft, so kann darüber keine Frage sein; aber der Streit wird
sich wahrscheinlich mehr um die Eignung des öffentlichen Lebens
für die Frauen drehen. Wenn man die Gründe, welche für die
Ausschließung der Frauen vom thätigen Leben in all seinen wich-
tigeren Gebieten angeführt werden, ihres declamatorischen Auf-
putzes entkleidet und sie auf den einfachen Ausdruck eines Ge-
dankens zurückführt, so scheinen ihrer hauptsächlich drei zu sein:
für's erste die Unverträglichkeit des thätigen Lebens mit den Mutter-
pflichten und mit der Besorgung eines Haushaltes, zweitens dessen
angeblich verhärtender Einfluß auf den Charakter, und drittens
die Unzweckmäßigkeit einer Steigerung des ohnehin schon über-
mäßigen Druckes der Concurrenz in jedem Zweige des Berufs-
oder Erwerbslebens.

Das erste Argument, das der Mutterpflichten, wird gewöhn-
lich besonders betont, obwohl – es ist fast unnöthig das zu sagen –
dieser Grund, wenn er einer ist, sich nur auf Mütter beziehen
kann. Es ist aber weder nothwendig, noch gerecht, die Frauen in
die Zwangslage zu versetzen, daß sie entweder Mütter oder gar
nichts sein müssen, oder daß sie, wenn sie einmal Mütter ge-
wesen sind, ihr ganzes übriges Leben nichts anderes sein dürfen.
Weder für Frauen noch für Männer bedarf es eines Gesetzes,
um sie von einer Beschäftigung auszuschließen, wenn sie sich

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[11/0011] Ueber Frauenemancipation. viele der glänzendsten Beispiele einer starken und gerechten Re- gierung gegeben. Jm Mittelalter, wo der Abstand zwischen den höheren und niederen Ständen größer war als selbst der zwischen Männern und Frauen, und wo die Frauen der bevorzugten Classe, obwohl der Willkür der Männer derselben Classe unterworfen, ihnen doch näher standen als irgend wer anderer, und sie oftmals während ihrer Abwesenheit in ihrer Thätigkeit und ihrer Autorität vertraten, haben viele heldenhafte Burgfrauen wie Jeanne von Montfort, oder die große Gräfin Derby selbst in so später Zeit, wie die von Karl I., sich nicht nur durch politische, sondern auch durch kriegerische Tüchtigkeit hervorgethan. Jn den Jahr- hunderten unmittelbar vor und nach der Reformation standen Damen von königlichem Geblüt als Diplomatinnen, als Statt- halterinnen von ganzen Provinzen oder als vertrauliche Rath- geberinnen von Fürsten nicht hinter den ersten Staatsmännern ihrer Zeit zurück, und der Vertrag von Cambray, welcher Europa den Frieden wiedergab, wurde in Conferenzen, denen kein Dritter beiwohnte, von der Tante des Kaisers Karl V. und der Mutter Franz I. abgeschlossen. Was also die Eignung der Frauen für das öffentliche Leben betrifft, so kann darüber keine Frage sein; aber der Streit wird sich wahrscheinlich mehr um die Eignung des öffentlichen Lebens für die Frauen drehen. Wenn man die Gründe, welche für die Ausschließung der Frauen vom thätigen Leben in all seinen wich- tigeren Gebieten angeführt werden, ihres declamatorischen Auf- putzes entkleidet und sie auf den einfachen Ausdruck eines Ge- dankens zurückführt, so scheinen ihrer hauptsächlich drei zu sein: für's erste die Unverträglichkeit des thätigen Lebens mit den Mutter- pflichten und mit der Besorgung eines Haushaltes, zweitens dessen angeblich verhärtender Einfluß auf den Charakter, und drittens die Unzweckmäßigkeit einer Steigerung des ohnehin schon über- mäßigen Druckes der Concurrenz in jedem Zweige des Berufs- oder Erwerbslebens. Das erste Argument, das der Mutterpflichten, wird gewöhn- lich besonders betont, obwohl – es ist fast unnöthig das zu sagen – dieser Grund, wenn er einer ist, sich nur auf Mütter beziehen kann. Es ist aber weder nothwendig, noch gerecht, die Frauen in die Zwangslage zu versetzen, daß sie entweder Mütter oder gar nichts sein müssen, oder daß sie, wenn sie einmal Mütter ge- wesen sind, ihr ganzes übriges Leben nichts anderes sein dürfen. Weder für Frauen noch für Männer bedarf es eines Gesetzes, um sie von einer Beschäftigung auszuschließen, wenn sie sich

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Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-07-09T17:21:46Z)

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/11>, abgerufen am 28.04.2024.