Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.IV. Außergewöhnliche Ersteigungen. ist ein prahlerisches Narrenwagniß, dessen Ihr Euchselbst im Falle des Gelingens mit nichten zu rühmen, son- dern lediglich zu schämen habt. -- Diese Apostrophe, welche beweisen mag, daß ich frivole IV. Außergewöhnliche Erſteigungen. iſt ein prahleriſches Narrenwagniß, deſſen Ihr Euchſelbſt im Falle des Gelingens mit nichten zu rühmen, ſon- dern lediglich zu ſchämen habt. — Dieſe Apoſtrophe, welche beweiſen mag, daß ich frivole <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0094" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Außergewöhnliche Erſteigungen.</fw><lb/> iſt ein prahleriſches <hi rendition="#g">Narrenwagniß</hi>, deſſen Ihr Euch<lb/> ſelbſt im Falle des Gelingens mit nichten zu rühmen, ſon-<lb/> dern lediglich zu ſchämen habt. —</p><lb/> <p><choice><sic>Dieſer</sic><corr>Dieſe</corr></choice> Apoſtrophe, welche beweiſen mag, daß ich frivole<lb/> Klettereien keineswegs zu vertheidigen ſuche, ſeien aber nun<lb/> noch ein paar Worte <hi rendition="#aq">pro domo</hi> angeſchloſſen, die ich in aller<lb/> Beſcheidenheit blos als meine perſönliche Anſicht hinſtelle,<lb/> gegenüber den Stimmen, welche nur zu wiſſenſchaftlichen<lb/> oder künſtleriſchen Zwecken <hi rendition="#g">außergewöhnliche Erſtei-<lb/> gungen</hi> gelten laſſen und jede von einfachen Touriſten<lb/> unternommene als Eitelkeit verſpotten oder als leichtſinnig<lb/> verdammen. — Woher wißt Ihr ſtrengen Richter denn, daß<lb/> es uns ohne Ausnahme allein auf das „Sagenkönnen“ an-<lb/> kommt, oder daß lediglich banale Neugier, blinder Nach-<lb/> ahmungstrieb oder eitel Langeweile es iſt, die uns hinauf-<lb/> treibt in’s Reich der Erſtarrung? — Vom Reiz der Gefahr<lb/> will ich nicht ſprechen, denn Ihr würdet ohne Weiteres auf<lb/> Blaſirtheit und ſchnöde Emotionsſucht erkennen. Sagt mir<lb/> aber doch, findet Ihr es ſo lächerlich, wenn Einer das Ver-<lb/> langen hat, Bilder zu ſehen, die kein Griffel und kein Pinſel<lb/> wiederzugeben vermag, Naturſcenen, die ihn erheben und be-<lb/> glücken, deren Eindruck ihm bis in’s Greiſenalter treu<lb/> bleibt? — Und findet Ihr es unſittlich, wenn es uns ver-<lb/> langt, die Kraft unſrer Muskeln und unſres Willens, Muth,<lb/> Ausdauer, Geiſtesgegenwart, — alles Eigenſchaften, die in<lb/> unſrem weichlichen Stadtleben ſo leicht verkümmern, aber<lb/> doch dem Einzelnen und dem Ganzen vielfach zu Statten<lb/> kommen, zuweilen unentbehrlich ſind — an würdigen Gegen-<lb/> ſtänden zu verſuchen, zu üben, zu ſteigern, mit dem Geſichts-<lb/> kreis auch das Herz zu erweitern? — „Auf einen Berg ſteigt<lb/> der Menſch, wie das Kind auf einen Stuhl, um näher am<lb/> Angeſicht der unendlichen Mutter zu ſtehen und ſie zu er-<lb/> langen mit ſeiner kleinen Umarmung.“ (<persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557211">Jean Paul</persName>.) „Das<lb/> Gefühl geiſtiger Kraft iſt es, das die Menſchen durchglüht<lb/> und die todten Schrecken der Materie zu überwinden treibt;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [80/0094]
IV. Außergewöhnliche Erſteigungen.
iſt ein prahleriſches Narrenwagniß, deſſen Ihr Euch
ſelbſt im Falle des Gelingens mit nichten zu rühmen, ſon-
dern lediglich zu ſchämen habt. —
Dieſe Apoſtrophe, welche beweiſen mag, daß ich frivole
Klettereien keineswegs zu vertheidigen ſuche, ſeien aber nun
noch ein paar Worte pro domo angeſchloſſen, die ich in aller
Beſcheidenheit blos als meine perſönliche Anſicht hinſtelle,
gegenüber den Stimmen, welche nur zu wiſſenſchaftlichen
oder künſtleriſchen Zwecken außergewöhnliche Erſtei-
gungen gelten laſſen und jede von einfachen Touriſten
unternommene als Eitelkeit verſpotten oder als leichtſinnig
verdammen. — Woher wißt Ihr ſtrengen Richter denn, daß
es uns ohne Ausnahme allein auf das „Sagenkönnen“ an-
kommt, oder daß lediglich banale Neugier, blinder Nach-
ahmungstrieb oder eitel Langeweile es iſt, die uns hinauf-
treibt in’s Reich der Erſtarrung? — Vom Reiz der Gefahr
will ich nicht ſprechen, denn Ihr würdet ohne Weiteres auf
Blaſirtheit und ſchnöde Emotionsſucht erkennen. Sagt mir
aber doch, findet Ihr es ſo lächerlich, wenn Einer das Ver-
langen hat, Bilder zu ſehen, die kein Griffel und kein Pinſel
wiederzugeben vermag, Naturſcenen, die ihn erheben und be-
glücken, deren Eindruck ihm bis in’s Greiſenalter treu
bleibt? — Und findet Ihr es unſittlich, wenn es uns ver-
langt, die Kraft unſrer Muskeln und unſres Willens, Muth,
Ausdauer, Geiſtesgegenwart, — alles Eigenſchaften, die in
unſrem weichlichen Stadtleben ſo leicht verkümmern, aber
doch dem Einzelnen und dem Ganzen vielfach zu Statten
kommen, zuweilen unentbehrlich ſind — an würdigen Gegen-
ſtänden zu verſuchen, zu üben, zu ſteigern, mit dem Geſichts-
kreis auch das Herz zu erweitern? — „Auf einen Berg ſteigt
der Menſch, wie das Kind auf einen Stuhl, um näher am
Angeſicht der unendlichen Mutter zu ſtehen und ſie zu er-
langen mit ſeiner kleinen Umarmung.“ (Jean Paul.) „Das
Gefühl geiſtiger Kraft iſt es, das die Menſchen durchglüht
und die todten Schrecken der Materie zu überwinden treibt;
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