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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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III. Adressen und Erkundigungen.
der Worte spielen dabei noch andere Umstände ihre Rolle.
In sehr entlegenen Thälern hat die bloße Erscheinung eines
Fremden und seine Anrede schon an und für sich etwas Ver-
blüffendes für die Leute. Zuerst ist ihnen über die Wunder-
erscheinung Hören und Sehen vergangen, auch auf Wieder-
holung der Frage erfolgt vielleicht nur ein "He?", worauf
dann meist der Fremde achselzuckend weitergeht, der Meinung,
der Betreffende sei harthörig oder ein "Trottel". In der-
artigen Fällen beginne ich nicht mit dem Gegenstand, auf den
es mir ankommt, sondern mache nach dem ersten Gruß eine
Bemerkung über's Wetter. Sie ist der Diener, der voraus-
läuft, um für seinen nachfolgenden Herrn Einlaß zu begehren.
Zeigt sich nun aus der Erwiderung, daß der Mann die
schwerbewegliche Pforte seines Geistes mir aufgethan hat, so
rücke ich mit meiner Erkundigung nach Weg und Steg her-
aus, und fasse bei der Trennung Frage und Antwort noch
einmal zusammen, was nicht hindert, dieselbe Frage aber-
mals dem nächst Begegnenden vorzulegen. In Städten er-
kundige ich mich auf der Straße nach örtlichen Dingen, wenn
es sich nicht um Einkäufe handelt, am liebsten bei müßig vor
ihrer Thür stehenden Ladenhaltern oder auch wohlgekleideten,
älteren, nicht zu rasch einherschreitenden Herren, nie aber,
wenn es zu vermeiden ist, bei Dienstmädchen, Soldaten oder
Kindern.

Wer viel reist, hat oft Gelegenheit und stets Ursache,
seine Physiognomik auszubilden, um aus dem Gewimmel
fremder Gesichter die für sein jeweiliges Anliegen geeigneten
Individuen herauszufinden. Ein Freund von mir, zugleich
Kenner von Getränken, versichert, es schlage ihm selten fehl,
den richtigen Mann zu treffen, wenn sich's um eine Frage
der Art handelt. Meistens bedarf es nur weniger Worte.
"Sie können mir gewiß sagen, wo man hier ein gutes
Bier trinkt." -- "Komme Se, bin ebe auf de Weg dahin,
werd' Se führe." Der Bayer pflegt die Entdeckung eines
achtungswerthen Gebräus mit derselben Verschwiegenheit vor

III. Adreſſen und Erkundigungen.
der Worte ſpielen dabei noch andere Umſtände ihre Rolle.
In ſehr entlegenen Thälern hat die bloße Erſcheinung eines
Fremden und ſeine Anrede ſchon an und für ſich etwas Ver-
blüffendes für die Leute. Zuerſt iſt ihnen über die Wunder-
erſcheinung Hören und Sehen vergangen, auch auf Wieder-
holung der Frage erfolgt vielleicht nur ein „He?“, worauf
dann meiſt der Fremde achſelzuckend weitergeht, der Meinung,
der Betreffende ſei harthörig oder ein „Trottel“. In der-
artigen Fällen beginne ich nicht mit dem Gegenſtand, auf den
es mir ankommt, ſondern mache nach dem erſten Gruß eine
Bemerkung über’s Wetter. Sie iſt der Diener, der voraus-
läuft, um für ſeinen nachfolgenden Herrn Einlaß zu begehren.
Zeigt ſich nun aus der Erwiderung, daß der Mann die
ſchwerbewegliche Pforte ſeines Geiſtes mir aufgethan hat, ſo
rücke ich mit meiner Erkundigung nach Weg und Steg her-
aus, und faſſe bei der Trennung Frage und Antwort noch
einmal zuſammen, was nicht hindert, dieſelbe Frage aber-
mals dem nächſt Begegnenden vorzulegen. In Städten er-
kundige ich mich auf der Straße nach örtlichen Dingen, wenn
es ſich nicht um Einkäufe handelt, am liebſten bei müßig vor
ihrer Thür ſtehenden Ladenhaltern oder auch wohlgekleideten,
älteren, nicht zu raſch einherſchreitenden Herren, nie aber,
wenn es zu vermeiden iſt, bei Dienſtmädchen, Soldaten oder
Kindern.

Wer viel reist, hat oft Gelegenheit und ſtets Urſache,
ſeine Phyſiognomik auszubilden, um aus dem Gewimmel
fremder Geſichter die für ſein jeweiliges Anliegen geeigneten
Individuen herauszufinden. Ein Freund von mir, zugleich
Kenner von Getränken, verſichert, es ſchlage ihm ſelten fehl,
den richtigen Mann zu treffen, wenn ſich’s um eine Frage
der Art handelt. Meiſtens bedarf es nur weniger Worte.
„Sie können mir gewiß ſagen, wo man hier ein gutes
Bier trinkt.“ — „Komme Se, bin ebe auf de Weg dahin,
werd’ Se führe.“ Der Bayer pflegt die Entdeckung eines
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[57/0071] III. Adreſſen und Erkundigungen. der Worte ſpielen dabei noch andere Umſtände ihre Rolle. In ſehr entlegenen Thälern hat die bloße Erſcheinung eines Fremden und ſeine Anrede ſchon an und für ſich etwas Ver- blüffendes für die Leute. Zuerſt iſt ihnen über die Wunder- erſcheinung Hören und Sehen vergangen, auch auf Wieder- holung der Frage erfolgt vielleicht nur ein „He?“, worauf dann meiſt der Fremde achſelzuckend weitergeht, der Meinung, der Betreffende ſei harthörig oder ein „Trottel“. In der- artigen Fällen beginne ich nicht mit dem Gegenſtand, auf den es mir ankommt, ſondern mache nach dem erſten Gruß eine Bemerkung über’s Wetter. Sie iſt der Diener, der voraus- läuft, um für ſeinen nachfolgenden Herrn Einlaß zu begehren. Zeigt ſich nun aus der Erwiderung, daß der Mann die ſchwerbewegliche Pforte ſeines Geiſtes mir aufgethan hat, ſo rücke ich mit meiner Erkundigung nach Weg und Steg her- aus, und faſſe bei der Trennung Frage und Antwort noch einmal zuſammen, was nicht hindert, dieſelbe Frage aber- mals dem nächſt Begegnenden vorzulegen. In Städten er- kundige ich mich auf der Straße nach örtlichen Dingen, wenn es ſich nicht um Einkäufe handelt, am liebſten bei müßig vor ihrer Thür ſtehenden Ladenhaltern oder auch wohlgekleideten, älteren, nicht zu raſch einherſchreitenden Herren, nie aber, wenn es zu vermeiden iſt, bei Dienſtmädchen, Soldaten oder Kindern. Wer viel reist, hat oft Gelegenheit und ſtets Urſache, ſeine Phyſiognomik auszubilden, um aus dem Gewimmel fremder Geſichter die für ſein jeweiliges Anliegen geeigneten Individuen herauszufinden. Ein Freund von mir, zugleich Kenner von Getränken, verſichert, es ſchlage ihm ſelten fehl, den richtigen Mann zu treffen, wenn ſich’s um eine Frage der Art handelt. Meiſtens bedarf es nur weniger Worte. „Sie können mir gewiß ſagen, wo man hier ein gutes Bier trinkt.“ — „Komme Se, bin ebe auf de Weg dahin, werd’ Se führe.“ Der Bayer pflegt die Entdeckung eines achtungswerthen Gebräus mit derſelben Verſchwiegenheit vor

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/71>, abgerufen am 22.11.2024.