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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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III. Handwerkerbildungsvereine -- weitere mnemotechnische Krücken.
schaften der deutschen Nation würden sich auch im Hand-
werkerstande nun immer allgemeiner geltend machen. Schon
jetzt erkenne man, daß er sich mehr als früher beeifere, nicht
nur mit der Hand zu wirken, sondern den Kopf zu Hilfe zu
nehmen; auch sei nicht zu befürchten, daß sich der größere
und bessere Theil der Arbeiter und Gewerbsleute den Thor-
heiten und Träumereien hingebe, zu denen sie gewisse Schran-
zen am Hofe der Volkssouveränetät verführen möchten. Ein
sehr geeignetes Thema für Vorträge in Hand-
werkerbildungsvereinen
wäre übrigens: "die Lügen-
pest, oder Versprechen und Nichtworthalten." Viele sonst
brave Gewerbsmänner können leider noch nicht von dem ge-
polsterten Lehnstuhle lassen, auf dem ihr Großvater und Vater
selig gesessen, obwohl der alte Lederüberzug an vielen Stellen
zerplatzt, die weiche Unterlage herausgefallen ist und die
engen Armlehnen sie in der Arbeit hindern.

Weitere Gedächtnißkrücken: Vor Verlusten durch Liegen-
lassen bei eiliger Abreise schütze ich mich u. A. dadurch, daß
ich in Gasthöfen Abends meine kleinen Effecten unverdeckt,
augenfällig und nahe bei einander lege, nicht in die dafür
anberaumten Deckelbüchsen, Toilettenkasten und Nachttische,
das Nachthemd werfe ich morgens nicht auf's Bett, sondern
lege Alles, z. B. auch die Seife, vor und nach dem Gebrauche
auf die Commode neben die übrigen Sachen. Um meine
Garnitur von Plaidnadeln, die ihren Nachtdienst (vgl. S. 38)
verrichtet hat, morgens bei der Abreise nicht zu vergessen,
pflege ich die Weste mit in den großen Verband zu ziehen.

Muß außergewöhnlich früh aufgebrochen werden, so ge-
stattet der Touristencodex in seinem Anhang, gewisse Toiletten-
geschäfte, z. B. Waschen und Zähneputzen, Abends vor
Schlafengehen zu beseitigen, ferner, wenn beim Aufstehen
das gestern ausgezogene Paar Schuhe noch ungewichst dasteht
und nicht reichlich Zeit ist, sie in diesem Zustande anzulegen,
bevor dieselben Friedrich der Verschlafene mit der Versicherung,
sie "auf der Stelle" wiederzubringen, mitnehmen kann. Um

III. Handwerkerbildungsvereine — weitere mnemotechniſche Krücken.
ſchaften der deutſchen Nation würden ſich auch im Hand-
werkerſtande nun immer allgemeiner geltend machen. Schon
jetzt erkenne man, daß er ſich mehr als früher beeifere, nicht
nur mit der Hand zu wirken, ſondern den Kopf zu Hilfe zu
nehmen; auch ſei nicht zu befürchten, daß ſich der größere
und beſſere Theil der Arbeiter und Gewerbsleute den Thor-
heiten und Träumereien hingebe, zu denen ſie gewiſſe Schran-
zen am Hofe der Volksſouveränetät verführen möchten. Ein
ſehr geeignetes Thema für Vorträge in Hand-
werkerbildungsvereinen
wäre übrigens: „die Lügen-
peſt, oder Verſprechen und Nichtworthalten.“ Viele ſonſt
brave Gewerbsmänner können leider noch nicht von dem ge-
polſterten Lehnſtuhle laſſen, auf dem ihr Großvater und Vater
ſelig geſeſſen, obwohl der alte Lederüberzug an vielen Stellen
zerplatzt, die weiche Unterlage herausgefallen iſt und die
engen Armlehnen ſie in der Arbeit hindern.

Weitere Gedächtnißkrücken: Vor Verluſten durch Liegen-
laſſen bei eiliger Abreiſe ſchütze ich mich u. A. dadurch, daß
ich in Gaſthöfen Abends meine kleinen Effecten unverdeckt,
augenfällig und nahe bei einander lege, nicht in die dafür
anberaumten Deckelbüchſen, Toilettenkaſten und Nachttiſche,
das Nachthemd werfe ich morgens nicht auf’s Bett, ſondern
lege Alles, z. B. auch die Seife, vor und nach dem Gebrauche
auf die Commode neben die übrigen Sachen. Um meine
Garnitur von Plaidnadeln, die ihren Nachtdienſt (vgl. S. 38)
verrichtet hat, morgens bei der Abreiſe nicht zu vergeſſen,
pflege ich die Weſte mit in den großen Verband zu ziehen.

Muß außergewöhnlich früh aufgebrochen werden, ſo ge-
ſtattet der Touriſtencodex in ſeinem Anhang, gewiſſe Toiletten-
geſchäfte, z. B. Waſchen und Zähneputzen, Abends vor
Schlafengehen zu beſeitigen, ferner, wenn beim Aufſtehen
das geſtern ausgezogene Paar Schuhe noch ungewichſt daſteht
und nicht reichlich Zeit iſt, ſie in dieſem Zuſtande anzulegen,
bevor dieſelben Friedrich der Verſchlafene mit der Verſicherung,
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[55/0069] III. Handwerkerbildungsvereine — weitere mnemotechniſche Krücken. ſchaften der deutſchen Nation würden ſich auch im Hand- werkerſtande nun immer allgemeiner geltend machen. Schon jetzt erkenne man, daß er ſich mehr als früher beeifere, nicht nur mit der Hand zu wirken, ſondern den Kopf zu Hilfe zu nehmen; auch ſei nicht zu befürchten, daß ſich der größere und beſſere Theil der Arbeiter und Gewerbsleute den Thor- heiten und Träumereien hingebe, zu denen ſie gewiſſe Schran- zen am Hofe der Volksſouveränetät verführen möchten. Ein ſehr geeignetes Thema für Vorträge in Hand- werkerbildungsvereinen wäre übrigens: „die Lügen- peſt, oder Verſprechen und Nichtworthalten.“ Viele ſonſt brave Gewerbsmänner können leider noch nicht von dem ge- polſterten Lehnſtuhle laſſen, auf dem ihr Großvater und Vater ſelig geſeſſen, obwohl der alte Lederüberzug an vielen Stellen zerplatzt, die weiche Unterlage herausgefallen iſt und die engen Armlehnen ſie in der Arbeit hindern. Weitere Gedächtnißkrücken: Vor Verluſten durch Liegen- laſſen bei eiliger Abreiſe ſchütze ich mich u. A. dadurch, daß ich in Gaſthöfen Abends meine kleinen Effecten unverdeckt, augenfällig und nahe bei einander lege, nicht in die dafür anberaumten Deckelbüchſen, Toilettenkaſten und Nachttiſche, das Nachthemd werfe ich morgens nicht auf’s Bett, ſondern lege Alles, z. B. auch die Seife, vor und nach dem Gebrauche auf die Commode neben die übrigen Sachen. Um meine Garnitur von Plaidnadeln, die ihren Nachtdienſt (vgl. S. 38) verrichtet hat, morgens bei der Abreiſe nicht zu vergeſſen, pflege ich die Weſte mit in den großen Verband zu ziehen. Muß außergewöhnlich früh aufgebrochen werden, ſo ge- ſtattet der Touriſtencodex in ſeinem Anhang, gewiſſe Toiletten- geſchäfte, z. B. Waſchen und Zähneputzen, Abends vor Schlafengehen zu beſeitigen, ferner, wenn beim Aufſtehen das geſtern ausgezogene Paar Schuhe noch ungewichſt daſteht und nicht reichlich Zeit iſt, ſie in dieſem Zuſtande anzulegen, bevor dieſelben Friedrich der Verſchlafene mit der Verſicherung, ſie „auf der Stelle“ wiederzubringen, mitnehmen kann. Um

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/69>, abgerufen am 22.11.2024.