ein Cylinderhut und ein Strickkörbchen sehen sehr nieder- gedrückt aus.
Doch genug des Scherzes, wenden wir uns den ernsten Aufgaben des Lebens zu, fuhr unser Reiseprofessor in ver- ändertem Tone fort und legte mir die Frage vor, wo der Weise seine Fahrkarte verwahre, worauf ich etwas verdutzt erwiderte, ich hätte sie gewöhnlich im Portemonnaie oder auch in der Westentasche. -- "Oder auch!" wiederholte er im mildverweisenden Tone eines Lehrers, der eine ungewöhn- lich einfältige Antwort von einem sonst guten Schüler erhält. Ich sehe mit Betrübniß, daß Sie die Moral meines Vortrags mit Illustrationen nicht beherzigt haben und noch Sextaner in der Schule der Erfahrung sind. Die höheren Classen dieser Schule haben das Bahnbillet stets wenigstens an einem und demselben Ort, wie Uhr, Börse, Schnupftuch, damit es immer rasch bei der Hand ist und sie im Falle eines Verlustes sofort wissen, woran sie sind, und die geeigneten Schritte mit Würde thun können. Der Tourist von Fach besitzt dafür ein, dem Stückchen Papier oder Pappe ausschließlich gewidmetes Täschchen innerhalb der Weste, denn das Portemonnaie hat schon genug mit anderen Dingen zu schaffen. Soll dieses letztere gehörig reisemäßig eingerichtet sein, so hat es vier offene und drei, durch verschiedenfarbige Klammern geschlossene Abtheilungen, von letzteren je eine für Gold, Papiergeld und Gepäckschein, so daß auch der letztere immer ein ruhiges Einsiedlerleben führt, fern vom zerstreuenden Welttreiben. Die offenen Abtheilungen befassen sich mit Silber- und Kupfermünze, kleinen Schlüsseln und dergleichen.
Denken wir nun aber auch auf die Sicherheit und gute Unterkunft der großen Reisecasse. Vorhin war die Rede von Taschen und Angriffen auf sie. Unter den Angriffen wurden dort nur die harmlosesten von allen in Betracht ge- zogen: die von den Händen des Besitzers. Wie viele andere schlimmere hat aber die Tasche des Touristen zu bestehen! Die gefährlichsten, die einer gewissen Classe von Gastwirthen,
III. Die verſteckte Fahrkarte — Reiſecaſſe.
ein Cylinderhut und ein Strickkörbchen ſehen ſehr nieder- gedrückt aus.
Doch genug des Scherzes, wenden wir uns den ernſten Aufgaben des Lebens zu, fuhr unſer Reiſeprofeſſor in ver- ändertem Tone fort und legte mir die Frage vor, wo der Weiſe ſeine Fahrkarte verwahre, worauf ich etwas verdutzt erwiderte, ich hätte ſie gewöhnlich im Portemonnaie oder auch in der Weſtentaſche. — „Oder auch!“ wiederholte er im mildverweiſenden Tone eines Lehrers, der eine ungewöhn- lich einfältige Antwort von einem ſonſt guten Schüler erhält. Ich ſehe mit Betrübniß, daß Sie die Moral meines Vortrags mit Illuſtrationen nicht beherzigt haben und noch Sextaner in der Schule der Erfahrung ſind. Die höheren Claſſen dieſer Schule haben das Bahnbillet ſtets wenigſtens an einem und demſelben Ort, wie Uhr, Börſe, Schnupftuch, damit es immer raſch bei der Hand iſt und ſie im Falle eines Verluſtes ſofort wiſſen, woran ſie ſind, und die geeigneten Schritte mit Würde thun können. Der Touriſt von Fach beſitzt dafür ein, dem Stückchen Papier oder Pappe ausſchließlich gewidmetes Täſchchen innerhalb der Weſte, denn das Portemonnaie hat ſchon genug mit anderen Dingen zu ſchaffen. Soll dieſes letztere gehörig reiſemäßig eingerichtet ſein, ſo hat es vier offene und drei, durch verſchiedenfarbige Klammern geſchloſſene Abtheilungen, von letzteren je eine für Gold, Papiergeld und Gepäckſchein, ſo daß auch der letztere immer ein ruhiges Einſiedlerleben führt, fern vom zerſtreuenden Welttreiben. Die offenen Abtheilungen befaſſen ſich mit Silber- und Kupfermünze, kleinen Schlüſſeln und dergleichen.
Denken wir nun aber auch auf die Sicherheit und gute Unterkunft der großen Reiſecaſſe. Vorhin war die Rede von Taſchen und Angriffen auf ſie. Unter den Angriffen wurden dort nur die harmloſeſten von allen in Betracht ge- zogen: die von den Händen des Beſitzers. Wie viele andere ſchlimmere hat aber die Taſche des Touriſten zu beſtehen! Die gefährlichſten, die einer gewiſſen Claſſe von Gaſtwirthen,
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III. Die verſteckte Fahrkarte — Reiſecaſſe.
ein Cylinderhut und ein Strickkörbchen ſehen ſehr nieder-
gedrückt aus.
Doch genug des Scherzes, wenden wir uns den ernſten
Aufgaben des Lebens zu, fuhr unſer Reiſeprofeſſor in ver-
ändertem Tone fort und legte mir die Frage vor, wo der
Weiſe ſeine Fahrkarte verwahre, worauf ich etwas verdutzt
erwiderte, ich hätte ſie gewöhnlich im Portemonnaie oder
auch in der Weſtentaſche. — „Oder auch!“ wiederholte er
im mildverweiſenden Tone eines Lehrers, der eine ungewöhn-
lich einfältige Antwort von einem ſonſt guten Schüler erhält.
Ich ſehe mit Betrübniß, daß Sie die Moral meines Vortrags
mit Illuſtrationen nicht beherzigt haben und noch Sextaner
in der Schule der Erfahrung ſind. Die höheren Claſſen dieſer
Schule haben das Bahnbillet ſtets wenigſtens an einem und
demſelben Ort, wie Uhr, Börſe, Schnupftuch, damit es
immer raſch bei der Hand iſt und ſie im Falle eines Verluſtes
ſofort wiſſen, woran ſie ſind, und die geeigneten Schritte mit
Würde thun können. Der Touriſt von Fach beſitzt dafür ein,
dem Stückchen Papier oder Pappe ausſchließlich gewidmetes
Täſchchen innerhalb der Weſte, denn das Portemonnaie hat
ſchon genug mit anderen Dingen zu ſchaffen. Soll dieſes
letztere gehörig reiſemäßig eingerichtet ſein, ſo hat es vier
offene und drei, durch verſchiedenfarbige Klammern geſchloſſene
Abtheilungen, von letzteren je eine für Gold, Papiergeld und
Gepäckſchein, ſo daß auch der letztere immer ein ruhiges
Einſiedlerleben führt, fern vom zerſtreuenden Welttreiben.
Die offenen Abtheilungen befaſſen ſich mit Silber- und
Kupfermünze, kleinen Schlüſſeln und dergleichen.
Denken wir nun aber auch auf die Sicherheit und gute
Unterkunft der großen Reiſecaſſe. Vorhin war die Rede
von Taſchen und Angriffen auf ſie. Unter den Angriffen
wurden dort nur die harmloſeſten von allen in Betracht ge-
zogen: die von den Händen des Beſitzers. Wie viele andere
ſchlimmere hat aber die Taſche des Touriſten zu beſtehen!
Die gefährlichſten, die einer gewiſſen Claſſe von Gaſtwirthen,
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/61>, abgerufen am 06.07.2024.
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