Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.III. Eine Lebensrettung. sich in meiner Machtsphäre nur noch ein Paar kurze und einPaar lange Wollenstrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht seit jeher die Achtung vor constitutioneller Freiheit höheren Staatsrücksichten, so warf ich mich denn ohne viel Widerstand zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs- maßregeln. Die kurzen Strümpfe wurden über die Stiefe- letten gezogen, die langen vermittelst einiger Plaidnadeln in den Hemdärmeln befestigt und, nachdem sie unten aufgeschlitzt, Hände und Arme durchgesteckt, so daß sie Aermel bildeten. Endlich fand sich noch im Strickbeutel der Frau eine beinahe fertig gestickte Tischdecke, die es sich gefallen lassen mußte, um die Beine des Frierenden gewickelt und mit Bindfaden be- festigt zu werden. Schon während der Vorbereitung hellten sich die Mienen erst des Mannes, dann der jungen Gattin auf, und kaum war dieser durch unsere vereinten Anstren- gungen geborgen, als, zum großen Vortheil der Wärme- entwickelung, ein langathmiges dreistimmiges Gelächter ent- stand. Von Neuem prasselte es auf, als ich, um alles Ver- wendbare auch zu verwenden, zwei rosenrothe Briefe, die sich noch vorfanden, bestimmte, über die weißbaumwollene Hülle der beiden weiblichen Füße geschlagen zu werden. Zuerst hielt man es für Scherz, der Mann machte verschiedene an- zügliche Bemerkungen über unumschränkte Gewalt und ihre Gefahren, wie unwiderstehlich sie zu Mißbräuchen auch sonst gute Menschen reize, demonstrirte, daß Nero, so lange er unter Aufsicht Seneca's gestanden, ein sanfter, liebenswürdiger Jüngling gewesen und erst ein Scheusal geworden sei, als er den ganzen Erdkreis zu seinen Füßen gesehen habe. -- Nicht um Nero's Füße und seine Rettung handelt es sich aber jetzt, unterbrach ich, sondern um die Ihrer Gemahlin. Kraft meiner Dictatorwürde befehle ich, daß Sie die Briefe ihr zu Füßen legen, während ich aus dem Wagenfenster schaue. An den Gesichtern der Gatten, die jetzt sahen, daß es mein Ernst war, konnte ich nicht recht erkennen, ob sie mich für plötzlich verrückt geworden oder nur für sehr läppisch hielten, oder ob III. Eine Lebensrettung. ſich in meiner Machtſphäre nur noch ein Paar kurze und einPaar lange Wollenſtrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht ſeit jeher die Achtung vor conſtitutioneller Freiheit höheren Staatsrückſichten, ſo warf ich mich denn ohne viel Widerſtand zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs- maßregeln. Die kurzen Strümpfe wurden über die Stiefe- letten gezogen, die langen vermittelſt einiger Plaidnadeln in den Hemdärmeln befeſtigt und, nachdem ſie unten aufgeſchlitzt, Hände und Arme durchgeſteckt, ſo daß ſie Aermel bildeten. Endlich fand ſich noch im Strickbeutel der Frau eine beinahe fertig geſtickte Tiſchdecke, die es ſich gefallen laſſen mußte, um die Beine des Frierenden gewickelt und mit Bindfaden be- feſtigt zu werden. Schon während der Vorbereitung hellten ſich die Mienen erſt des Mannes, dann der jungen Gattin auf, und kaum war dieſer durch unſere vereinten Anſtren- gungen geborgen, als, zum großen Vortheil der Wärme- entwickelung, ein langathmiges dreiſtimmiges Gelächter ent- ſtand. Von Neuem praſſelte es auf, als ich, um alles Ver- wendbare auch zu verwenden, zwei roſenrothe Briefe, die ſich noch vorfanden, beſtimmte, über die weißbaumwollene Hülle der beiden weiblichen Füße geſchlagen zu werden. Zuerſt hielt man es für Scherz, der Mann machte verſchiedene an- zügliche Bemerkungen über unumſchränkte Gewalt und ihre Gefahren, wie unwiderſtehlich ſie zu Mißbräuchen auch ſonſt gute Menſchen reize, demonſtrirte, daß Nero, ſo lange er unter Aufſicht Seneca’s geſtanden, ein ſanfter, liebenswürdiger Jüngling geweſen und erſt ein Scheuſal geworden ſei, als er den ganzen Erdkreis zu ſeinen Füßen geſehen habe. — Nicht um Nero’s Füße und ſeine Rettung handelt es ſich aber jetzt, unterbrach ich, ſondern um die Ihrer Gemahlin. Kraft meiner Dictatorwürde befehle ich, daß Sie die Briefe ihr zu Füßen legen, während ich aus dem Wagenfenſter ſchaue. An den Geſichtern der Gatten, die jetzt ſahen, daß es mein Ernſt war, konnte ich nicht recht erkennen, ob ſie mich für plötzlich verrückt geworden oder nur für ſehr läppiſch hielten, oder ob <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="31"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Eine Lebensrettung.</fw><lb/> ſich in meiner Machtſphäre nur noch ein Paar kurze und ein<lb/> Paar lange Wollenſtrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht<lb/> ſeit jeher die Achtung vor conſtitutioneller Freiheit höheren<lb/> Staatsrückſichten, ſo warf ich mich denn ohne viel Widerſtand<lb/> zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs-<lb/> maßregeln. 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III. Eine Lebensrettung.
ſich in meiner Machtſphäre nur noch ein Paar kurze und ein
Paar lange Wollenſtrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht
ſeit jeher die Achtung vor conſtitutioneller Freiheit höheren
Staatsrückſichten, ſo warf ich mich denn ohne viel Widerſtand
zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs-
maßregeln. Die kurzen Strümpfe wurden über die Stiefe-
letten gezogen, die langen vermittelſt einiger Plaidnadeln in
den Hemdärmeln befeſtigt und, nachdem ſie unten aufgeſchlitzt,
Hände und Arme durchgeſteckt, ſo daß ſie Aermel bildeten.
Endlich fand ſich noch im Strickbeutel der Frau eine beinahe
fertig geſtickte Tiſchdecke, die es ſich gefallen laſſen mußte, um
die Beine des Frierenden gewickelt und mit Bindfaden be-
feſtigt zu werden. Schon während der Vorbereitung hellten
ſich die Mienen erſt des Mannes, dann der jungen Gattin
auf, und kaum war dieſer durch unſere vereinten Anſtren-
gungen geborgen, als, zum großen Vortheil der Wärme-
entwickelung, ein langathmiges dreiſtimmiges Gelächter ent-
ſtand. Von Neuem praſſelte es auf, als ich, um alles Ver-
wendbare auch zu verwenden, zwei roſenrothe Briefe, die ſich
noch vorfanden, beſtimmte, über die weißbaumwollene Hülle
der beiden weiblichen Füße geſchlagen zu werden. Zuerſt
hielt man es für Scherz, der Mann machte verſchiedene an-
zügliche Bemerkungen über unumſchränkte Gewalt und ihre
Gefahren, wie unwiderſtehlich ſie zu Mißbräuchen auch ſonſt
gute Menſchen reize, demonſtrirte, daß Nero, ſo lange er
unter Aufſicht Seneca’s geſtanden, ein ſanfter, liebenswürdiger
Jüngling geweſen und erſt ein Scheuſal geworden ſei, als er
den ganzen Erdkreis zu ſeinen Füßen geſehen habe. — Nicht
um Nero’s Füße und ſeine Rettung handelt es ſich aber jetzt,
unterbrach ich, ſondern um die Ihrer Gemahlin. Kraft meiner
Dictatorwürde befehle ich, daß Sie die Briefe ihr zu Füßen
legen, während ich aus dem Wagenfenſter ſchaue. An den
Geſichtern der Gatten, die jetzt ſahen, daß es mein Ernſt
war, konnte ich nicht recht erkennen, ob ſie mich für plötzlich
verrückt geworden oder nur für ſehr läppiſch hielten, oder ob
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