Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Das beste Geschäft -- die Reise eine Wohlth bisheriger Weise in kleinstem Stile fortfahren, mein Metiernur als "Zeitvertreib" behandeln, mochte ich nicht, schon des- halb, weil es mir diesen Dienst nicht leistete, im Gegentheile sein Mechanismus kläglich auf mich drückte und meinen Ge- danken verstattete, die allertrübseligsten Wege zu laufen, zu melancholisiren und hypochondrisiren. Vor dem Tode fürchtete ich mich nicht, desto mehr vor dem Leben, hielt Hamlet- Monologe u. s. w. Meine Thätigkeit behufs besserer Unter- haltung auf einen größeren Fuß, dabei mein Vermögen auf's Spiel zu setzen, wagte ich auch nicht. Dieser peinliche Schwebezustand währte Jahre. Viele haben Aehnliches durch- lebt, Manche stürzen sich darüber in's Wasser, Andere in Wein und Bier, noch Andere werden gemüthskrank. Bei Einigen bringt die Krankheit einen Wendepunkt, sie sehen in ihrem verzweifelten Zustande das, was ihnen vorher, als sie noch "bei Troste" waren, verborgen blieb: den Rückweg, schlagen ihn ein und genesen von -- einer verfehlten Lebens- bahn. -- Ich reiste längere Zeit, fand unterwegs mich selbst wieder, Klarheit, Lebensmuth, heilsame Einsichten, Entschlüsse, Ausführungen und Uebungen gingen Hand in Hand, und seitdem betrachte ich die Reise als meine Wohlthäte- rin. Zwar kehren die auch ehedem seltenen rosigen Fär- bungen des Seelenzustandes nicht mehr zurück, ebensowenig aber die sonst so häufigen dunklen Schattirungen, und ich glaube damit das "beste Geschäft" meines Lebens gemacht zu haben. Eine Specialität zu finden, habe ich viele Jahre umhergesucht. Für eigentliches Studium mangeln mir theils gehörige Vor- kenntnisse, theils ist mein Gedächtniß dafür zu alt und spröde, für Naturwissenschaftliches fehlt mir der innere Zug, eine Zeit lang fesselten mich mikroskopische Untersuchungen, meiner Augen wegen mußte ich sie wieder aufgeben, so fiel ich endlich auf eine Sammlung im literarischen Gebiete, die mir nach und nach sehr lieb wurde. Die Hauptsache dabei ist Kärrner- arbeit, vielleicht hilft aber die meinige einmal einem Könige bauen. VIII. Das beſte Geſchäft — die Reiſe eine Wohlth bisheriger Weiſe in kleinſtem Stile fortfahren, mein Metiernur als „Zeitvertreib“ behandeln, mochte ich nicht, ſchon des- halb, weil es mir dieſen Dienſt nicht leiſtete, im Gegentheile ſein Mechanismus kläglich auf mich drückte und meinen Ge- danken verſtattete, die allertrübſeligſten Wege zu laufen, zu melancholiſiren und hypochondriſiren. Vor dem Tode fürchtete ich mich nicht, deſto mehr vor dem Leben, hielt Hamlet- Monologe u. ſ. w. Meine Thätigkeit behufs beſſerer Unter- haltung auf einen größeren Fuß, dabei mein Vermögen auf’s Spiel zu ſetzen, wagte ich auch nicht. Dieſer peinliche Schwebezuſtand währte Jahre. Viele haben Aehnliches durch- lebt, Manche ſtürzen ſich darüber in’s Waſſer, Andere in Wein und Bier, noch Andere werden gemüthskrank. Bei Einigen bringt die Krankheit einen Wendepunkt, ſie ſehen in ihrem verzweifelten Zuſtande das, was ihnen vorher, als ſie noch „bei Troſte“ waren, verborgen blieb: den Rückweg, ſchlagen ihn ein und geneſen von — einer verfehlten Lebens- bahn. — Ich reiſte längere Zeit, fand unterwegs mich ſelbſt wieder, Klarheit, Lebensmuth, heilſame Einſichten, Entſchlüſſe, Ausführungen und Uebungen gingen Hand in Hand, und ſeitdem betrachte ich die Reiſe als meine Wohlthäte- rin. Zwar kehren die auch ehedem ſeltenen roſigen Fär- bungen des Seelenzuſtandes nicht mehr zurück, ebenſowenig aber die ſonſt ſo häufigen dunklen Schattirungen, und ich glaube damit das „beſte Geſchäft“ meines Lebens gemacht zu haben. Eine Specialität zu finden, habe ich viele Jahre umhergeſucht. Für eigentliches Studium mangeln mir theils gehörige Vor- kenntniſſe, theils iſt mein Gedächtniß dafür zu alt und ſpröde, für Naturwiſſenſchaftliches fehlt mir der innere Zug, eine Zeit lang feſſelten mich mikroſkopiſche Unterſuchungen, meiner Augen wegen mußte ich ſie wieder aufgeben, ſo fiel ich endlich auf eine Sammlung im literariſchen Gebiete, die mir nach und nach ſehr lieb wurde. 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halb, weil es mir dieſen Dienſt nicht leiſtete, im Gegentheile
ſein Mechanismus kläglich auf mich drückte und meinen Ge-
danken verſtattete, die allertrübſeligſten Wege zu laufen, zu
melancholiſiren und hypochondriſiren. Vor dem Tode fürchtete
ich mich nicht, deſto mehr vor dem Leben, hielt Hamlet-
Monologe u. ſ. w. Meine Thätigkeit behufs beſſerer Unter-
haltung auf einen größeren Fuß, dabei mein Vermögen auf’s
Spiel zu ſetzen, wagte ich auch nicht. Dieſer peinliche
Schwebezuſtand währte Jahre. Viele haben Aehnliches durch-
lebt, Manche ſtürzen ſich darüber in’s Waſſer, Andere in
Wein und Bier, noch Andere werden gemüthskrank. Bei
Einigen bringt die Krankheit einen Wendepunkt, ſie ſehen in
ihrem verzweifelten Zuſtande das, was ihnen vorher, als ſie
noch „bei Troſte“ waren, verborgen blieb: den Rückweg,
ſchlagen ihn ein und geneſen von — einer verfehlten Lebens-
bahn. — Ich reiſte längere Zeit, fand unterwegs mich ſelbſt
wieder, Klarheit, Lebensmuth, heilſame Einſichten, Entſchlüſſe,
Ausführungen und Uebungen gingen Hand in Hand, und
ſeitdem betrachte ich die Reiſe als meine Wohlthäte-
rin. Zwar kehren die auch ehedem ſeltenen roſigen Fär-
bungen des Seelenzuſtandes nicht mehr zurück, ebenſowenig
aber die ſonſt ſo häufigen dunklen Schattirungen, und ich glaube
damit das „beſte Geſchäft“ meines Lebens gemacht zu haben.
Eine Specialität zu finden, habe ich viele Jahre umhergeſucht.
Für eigentliches Studium mangeln mir theils gehörige Vor-
kenntniſſe, theils iſt mein Gedächtniß dafür zu alt und ſpröde,
für Naturwiſſenſchaftliches fehlt mir der innere Zug, eine
Zeit lang feſſelten mich mikroſkopiſche Unterſuchungen, meiner
Augen wegen mußte ich ſie wieder aufgeben, ſo fiel ich endlich
auf eine Sammlung im literariſchen Gebiete, die mir nach
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