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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Ewiges Einerlei -- geistige Alpenregion -- Sammler.

-- Der rechte Tourist reist natürlich mit offnem Auge
und Ohr, doch nur sofern er seiner Aufmerksamkeit eine
bestimmte Richtung gibt, werden die in den Bereich derselben
fallenden Dinge ihn auf die Dauer anregen und belehren,
im andern Falle, wenn er, nach dem Beispiele des großen
Schwarms, sie umherflattern läßt, wird er unfehlbar sich
zersplittern und abstumpfen.

-- Sollte nicht vielmehr durch das "ewige Einerlei"
das Interesse gleich von Haus aus verscheucht werden,
während es durch reiche Abwechslung wenigstens eine Zeit
lang rege geblieben wäre?

-- Zögling, Sie scheinen nicht gut geschlafen zu haben:
Ihr Urtheilsvermögen steckt wieder einmal in schweren, zu eng
benagelten Schuhen, genau so beschaffenen, wie sie es für
die Beschreitung der geistigen Alpenregion nicht sein dürfen.
Von Diesem und Verwandtem haben wir schon gesprochen
und ich hoffte, Ihnen ein Verständniß eröffnet zu haben.
Betrachten Sie doch nur die Sammler. In Italien heißt
man den Sammler mezzo matto, halbverrückt, womit der
Volkswitz nur sagen will: ich begreife nicht, wie dieser Mensch
an seinem Kram einen solchen "Narren gefressen" haben kann.
Auch die deutsche Sprache hat den Ausdruck "Sammelwuth".
Jeder, der selbst Sammler ist, begreift sehr wohl und lächelt
blos über die Seltsamkeit, die an einer andern Art von
Sammlung als der seinigen Freude finden kann. Noch mehr:
die öffentliche Meinung, die in diesem Stücke möglicherweise
Recht hat, hält dafür, daß nicht jedem Sammler, möge er auch
in allem Uebrigen, Großen und Kleinen, der gewissenhafteste
Mann sein, durchaus zu trauen sei, wenn es sich um Anfertigung
seines Katalogs, Austausch von Dubletten, Beurtheilung von
Nebenbuhlern etc., kurz, um seine Specialität handelt. Ich
sage mir nun: kann nach alledem das Sammeln so leicht
zur Liebhaberei, unter Umständen zur wilden Passion werden,
so muß es doch wohl ein geeignetes Mittel sein, die Lange-
weile zu verscheuchen, und es kommt nur auf dreierlei an,

VIII. Ewiges Einerlei — geiſtige Alpenregion — Sammler.

— Der rechte Touriſt reist natürlich mit offnem Auge
und Ohr, doch nur ſofern er ſeiner Aufmerkſamkeit eine
beſtimmte Richtung gibt, werden die in den Bereich derſelben
fallenden Dinge ihn auf die Dauer anregen und belehren,
im andern Falle, wenn er, nach dem Beiſpiele des großen
Schwarms, ſie umherflattern läßt, wird er unfehlbar ſich
zerſplittern und abſtumpfen.

— Sollte nicht vielmehr durch das „ewige Einerlei“
das Intereſſe gleich von Haus aus verſcheucht werden,
während es durch reiche Abwechslung wenigſtens eine Zeit
lang rege geblieben wäre?

— Zögling, Sie ſcheinen nicht gut geſchlafen zu haben:
Ihr Urtheilsvermögen ſteckt wieder einmal in ſchweren, zu eng
benagelten Schuhen, genau ſo beſchaffenen, wie ſie es für
die Beſchreitung der geiſtigen Alpenregion nicht ſein dürfen.
Von Dieſem und Verwandtem haben wir ſchon geſprochen
und ich hoffte, Ihnen ein Verſtändniß eröffnet zu haben.
Betrachten Sie doch nur die Sammler. In Italien heißt
man den Sammler mezzo matto, halbverrückt, womit der
Volkswitz nur ſagen will: ich begreife nicht, wie dieſer Menſch
an ſeinem Kram einen ſolchen „Narren gefreſſen“ haben kann.
Auch die deutſche Sprache hat den Ausdruck „Sammelwuth“.
Jeder, der ſelbſt Sammler iſt, begreift ſehr wohl und lächelt
blos über die Seltſamkeit, die an einer andern Art von
Sammlung als der ſeinigen Freude finden kann. Noch mehr:
die öffentliche Meinung, die in dieſem Stücke möglicherweiſe
Recht hat, hält dafür, daß nicht jedem Sammler, möge er auch
in allem Uebrigen, Großen und Kleinen, der gewiſſenhafteſte
Mann ſein, durchaus zu trauen ſei, wenn es ſich um Anfertigung
ſeines Katalogs, Austauſch von Dubletten, Beurtheilung von
Nebenbuhlern ꝛc., kurz, um ſeine Specialität handelt. Ich
ſage mir nun: kann nach alledem das Sammeln ſo leicht
zur Liebhaberei, unter Umſtänden zur wilden Paſſion werden,
ſo muß es doch wohl ein geeignetes Mittel ſein, die Lange-
weile zu verſcheuchen, und es kommt nur auf dreierlei an,

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[254/0268] VIII. Ewiges Einerlei — geiſtige Alpenregion — Sammler. — Der rechte Touriſt reist natürlich mit offnem Auge und Ohr, doch nur ſofern er ſeiner Aufmerkſamkeit eine beſtimmte Richtung gibt, werden die in den Bereich derſelben fallenden Dinge ihn auf die Dauer anregen und belehren, im andern Falle, wenn er, nach dem Beiſpiele des großen Schwarms, ſie umherflattern läßt, wird er unfehlbar ſich zerſplittern und abſtumpfen. — Sollte nicht vielmehr durch das „ewige Einerlei“ das Intereſſe gleich von Haus aus verſcheucht werden, während es durch reiche Abwechslung wenigſtens eine Zeit lang rege geblieben wäre? — Zögling, Sie ſcheinen nicht gut geſchlafen zu haben: Ihr Urtheilsvermögen ſteckt wieder einmal in ſchweren, zu eng benagelten Schuhen, genau ſo beſchaffenen, wie ſie es für die Beſchreitung der geiſtigen Alpenregion nicht ſein dürfen. Von Dieſem und Verwandtem haben wir ſchon geſprochen und ich hoffte, Ihnen ein Verſtändniß eröffnet zu haben. Betrachten Sie doch nur die Sammler. In Italien heißt man den Sammler mezzo matto, halbverrückt, womit der Volkswitz nur ſagen will: ich begreife nicht, wie dieſer Menſch an ſeinem Kram einen ſolchen „Narren gefreſſen“ haben kann. Auch die deutſche Sprache hat den Ausdruck „Sammelwuth“. Jeder, der ſelbſt Sammler iſt, begreift ſehr wohl und lächelt blos über die Seltſamkeit, die an einer andern Art von Sammlung als der ſeinigen Freude finden kann. Noch mehr: die öffentliche Meinung, die in dieſem Stücke möglicherweiſe Recht hat, hält dafür, daß nicht jedem Sammler, möge er auch in allem Uebrigen, Großen und Kleinen, der gewiſſenhafteſte Mann ſein, durchaus zu trauen ſei, wenn es ſich um Anfertigung ſeines Katalogs, Austauſch von Dubletten, Beurtheilung von Nebenbuhlern ꝛc., kurz, um ſeine Specialität handelt. Ich ſage mir nun: kann nach alledem das Sammeln ſo leicht zur Liebhaberei, unter Umſtänden zur wilden Paſſion werden, ſo muß es doch wohl ein geeignetes Mittel ſein, die Lange- weile zu verſcheuchen, und es kommt nur auf dreierlei an,

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/268>, abgerufen am 15.05.2024.