Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VII. Volksleben -- Lord B. nummern, die man aus der Tasche zieht und mit dem Ge-fährten theilt. Nach der jetzigen Posteinrichtung kann man unter geringer Extravergütung auch mitten im Quartal seine gewohnten Blätter an den neuen Aufenthaltsort nachschicken lassen und ich versäume dies nicht leicht, unter Anderem auch, um bei günstigem Wetter im Freien zu beliebiger Zeit lesen zu können und von den öffentlichen Localen, die häufig überfüllt, dumpfig, verräuchert, schlecht beleuchtet sind, minder abhängig zu sein. In meiner Portraitssammlung könnte ich noch viel umher- 15*
VII. Volksleben — Lord B. nummern, die man aus der Taſche zieht und mit dem Ge-fährten theilt. Nach der jetzigen Poſteinrichtung kann man unter geringer Extravergütung auch mitten im Quartal ſeine gewohnten Blätter an den neuen Aufenthaltsort nachſchicken laſſen und ich verſäume dies nicht leicht, unter Anderem auch, um bei günſtigem Wetter im Freien zu beliebiger Zeit leſen zu können und von den öffentlichen Localen, die häufig überfüllt, dumpfig, verräuchert, ſchlecht beleuchtet ſind, minder abhängig zu ſein. In meiner Portraitsſammlung könnte ich noch viel umher- 15*
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VII. Volksleben — Lord B.
nummern, die man aus der Taſche zieht und mit dem Ge-
fährten theilt. Nach der jetzigen Poſteinrichtung kann man
unter geringer Extravergütung auch mitten im Quartal ſeine
gewohnten Blätter an den neuen Aufenthaltsort nachſchicken
laſſen und ich verſäume dies nicht leicht, unter Anderem auch,
um bei günſtigem Wetter im Freien zu beliebiger Zeit leſen
zu können und von den öffentlichen Localen, die häufig
überfüllt, dumpfig, verräuchert, ſchlecht beleuchtet ſind,
minder abhängig zu ſein.
In meiner Portraitsſammlung könnte ich noch viel umher-
führen, in Galerien verweilt aber der Touriſt nicht gern ſehr
lange, weil das wüſten Kopf und müde Beine macht, treten
wir deshalb hinaus, nähern uns den Einheimiſchen, miſchen
uns unter’s „Volk“. Wir ſind nicht ſo thöricht, wie Lord B.
da oben, der nur von ſeinem Balcon oder Wagen aus das
Treiben der Straße, des Hafens, eines Feſtes durch’s Opern-
glas betrachtet. Für ihn exiſtiren nur bewegte Gruppen und
Maſſen, hier und da trifft ſein Blick auf eine beſonders auf-
fällige Geſtalt, von den Einzelnen, aus denen dieſe Gruppen
und Maſſen zuſammengeſetzt ſind, von ihrem Thun und Trei-
ben, Empfinden und Denken ſieht und fühlt er nichts. Um
das Leben des Volks kennen zu lernen, begnügen wir uns
nicht mit Anſichten aus der Vogelperſpective, — ſo vortreff-
lich dieſe ſich auch eignet zur graphiſchen Darſtellung von
Städten und Landſchaften, Panoramen, halb Bild, halb
Plan — ſondern ſtellen uns auf gleichen Boden mit ihm,
fahren letzte Claſſe Eiſenbahn und Dampfſchiff, benutzen
Stell- und Bauerwagen, ſetzen uns zu Landvolk und Hand-
werksburſchen, alles den Bücherrathſchlägen gemäß. Da tritt
nun aber gleich eine Schwierigkeit hervor. Die drei Haupt-
ſprachen ſind uns geläufig, auch italieniſch einigermaßen, vom
„Volke“ wird jedoch immer dieſer oder jener Dialekt ge-
ſprochen; um aus dem Vollen zu ſchöpfen, müſſen wir ihn
erlernen, ſo viel Zeit und Mühe verwendet aber ein Touriſt,
der nicht etwa ein Buch ſchreiben will, nicht leicht. Abgeſehen
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