Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VII. Rücksichten -- Uebergangszustände -- nachgeschickte Zeitungen. zu suchen, dem Hörer immer Spielraum bleibt. Der Touristist oft in der Lage, mit ganz Ungebildeten zu plaudern, wobei er sich am besten steht, wenn er die Rede auf deren Metier- angelegenheiten bringt. Hier ist es jedoch gut, zumal Land- leuten gegenüber, wenn er die Form der directen Frage, die sie leicht mißtrauisch und einsilbig macht, möglichst umgeht. Reise- und Badegefährten, die täglich viel zusammen sind, VII. Rückſichten — Uebergangszuſtände — nachgeſchickte Zeitungen. zu ſuchen, dem Hörer immer Spielraum bleibt. Der Touriſtiſt oft in der Lage, mit ganz Ungebildeten zu plaudern, wobei er ſich am beſten ſteht, wenn er die Rede auf deren Metier- angelegenheiten bringt. Hier iſt es jedoch gut, zumal Land- leuten gegenüber, wenn er die Form der directen Frage, die ſie leicht mißtrauiſch und einſilbig macht, möglichſt umgeht. Reiſe- und Badegefährten, die täglich viel zuſammen ſind, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0240" n="226"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Rückſichten — Uebergangszuſtände — nachgeſchickte Zeitungen.</fw><lb/> zu ſuchen, dem Hörer immer Spielraum bleibt. Der Touriſt<lb/> iſt oft in der Lage, mit ganz Ungebildeten zu plaudern, wobei<lb/> er ſich am beſten ſteht, wenn er die Rede auf deren Metier-<lb/> angelegenheiten bringt. Hier iſt es jedoch gut, zumal Land-<lb/> leuten gegenüber, wenn er die Form der directen Frage,<lb/> die ſie leicht mißtrauiſch und einſilbig macht, möglichſt<lb/> umgeht.</p><lb/> <p>Reiſe- und Badegefährten, die täglich viel zuſammen ſind,<lb/> dürfen ferner anfangs nicht vergeſſen, daß ihr gegenſeitiges<lb/> Verhältniß ein Uebergangszuſtand iſt, der nicht mehr, wie<lb/> das erſte Stadium einer Bekanntſchaft, gewiſſe zarte Rück-<lb/> ſichten bedingt, andrerſeits aber ſich auch noch nicht zu einer<lb/> Freundſchaft befeſtigt hat, welcher ſchon etwas geboten werden<lb/> kann. Jeder Einzelne thut wohl, den letzteren Geſichtspunkt<lb/> für ſein eigenes Betragen, den erſteren hingegen für die Be-<lb/> urtheilung etwaiger kleiner Verſtöße von der andren Seite<lb/> vorherrſchen zu laſſen. Dieſe Ungleichheit von Maaß und<lb/> Gewicht iſt doch nur eine ſcheinbare, in Wirklichkeit die einzig<lb/> billige, richtige, mögliche Grundlage des geſelligen Verkehrs,<lb/> denn Jeder muß von der Ueberzeugung ausgehen, daß er in<lb/> allen perſönlichen Angelegenheiten von Natur aus parteiiſch<lb/> urtheilt. Stellt er ſich auf den Standpunkt der ſtrengen<lb/> „Rechtsſphäre“ und ſucht hiernach die Mein- und Dein-Linie<lb/> zu reguliren, ſo wird er nicht aus dem Kriegs- oder ſchwer-<lb/> bewaffneten Friedenszuſtande herauskommen, weil ihn nie<lb/> das Gefühl verläßt, daß der andere Theil in der Offenſive<lb/> iſt und zur Abwehr herausfordert. Im Gebiete der Ton-<lb/> harmonie macht ſich, wie jeder Muſiker weiß, daſſelbe Geſetz<lb/> geltend: ſind auf einem Claviere die Quinten rein und ſcharf<lb/> geſtimmt, ſo ſtimmen die Octaven nicht und umgekehrt; für<lb/> beide Intervalle muß daher ein Compromiß gefunden werden.<lb/> — Ferner iſt auf Neigungen und Gewohnheiten des Andern<lb/> in Bezug auf viel oder wenig ſprechen, Pauſen, Unterbrechung<lb/> durch Lektüre u. ſ. w. zu achten. Gute Dienſte als Inter-<lb/> mezzo und Ableitung leiſten oft ein paar <hi rendition="#g">Zeitungs-</hi><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [226/0240]
VII. Rückſichten — Uebergangszuſtände — nachgeſchickte Zeitungen.
zu ſuchen, dem Hörer immer Spielraum bleibt. Der Touriſt
iſt oft in der Lage, mit ganz Ungebildeten zu plaudern, wobei
er ſich am beſten ſteht, wenn er die Rede auf deren Metier-
angelegenheiten bringt. Hier iſt es jedoch gut, zumal Land-
leuten gegenüber, wenn er die Form der directen Frage,
die ſie leicht mißtrauiſch und einſilbig macht, möglichſt
umgeht.
Reiſe- und Badegefährten, die täglich viel zuſammen ſind,
dürfen ferner anfangs nicht vergeſſen, daß ihr gegenſeitiges
Verhältniß ein Uebergangszuſtand iſt, der nicht mehr, wie
das erſte Stadium einer Bekanntſchaft, gewiſſe zarte Rück-
ſichten bedingt, andrerſeits aber ſich auch noch nicht zu einer
Freundſchaft befeſtigt hat, welcher ſchon etwas geboten werden
kann. Jeder Einzelne thut wohl, den letzteren Geſichtspunkt
für ſein eigenes Betragen, den erſteren hingegen für die Be-
urtheilung etwaiger kleiner Verſtöße von der andren Seite
vorherrſchen zu laſſen. Dieſe Ungleichheit von Maaß und
Gewicht iſt doch nur eine ſcheinbare, in Wirklichkeit die einzig
billige, richtige, mögliche Grundlage des geſelligen Verkehrs,
denn Jeder muß von der Ueberzeugung ausgehen, daß er in
allen perſönlichen Angelegenheiten von Natur aus parteiiſch
urtheilt. Stellt er ſich auf den Standpunkt der ſtrengen
„Rechtsſphäre“ und ſucht hiernach die Mein- und Dein-Linie
zu reguliren, ſo wird er nicht aus dem Kriegs- oder ſchwer-
bewaffneten Friedenszuſtande herauskommen, weil ihn nie
das Gefühl verläßt, daß der andere Theil in der Offenſive
iſt und zur Abwehr herausfordert. Im Gebiete der Ton-
harmonie macht ſich, wie jeder Muſiker weiß, daſſelbe Geſetz
geltend: ſind auf einem Claviere die Quinten rein und ſcharf
geſtimmt, ſo ſtimmen die Octaven nicht und umgekehrt; für
beide Intervalle muß daher ein Compromiß gefunden werden.
— Ferner iſt auf Neigungen und Gewohnheiten des Andern
in Bezug auf viel oder wenig ſprechen, Pauſen, Unterbrechung
durch Lektüre u. ſ. w. zu achten. Gute Dienſte als Inter-
mezzo und Ableitung leiſten oft ein paar Zeitungs-
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