Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Englische Touristen -- Subtractionsexempel.
gibt noch weniger als anderwärts Bürgschaft für einen ge-
wissen socialen Bildungsgrad. Das Verhältniß stellt sich
jedoch um so günstiger, je weiter wir uns entfernen von den
großen touristischen Tummelplätzen: vorzüglich volle Körner
sind es, die weiter fliegen, die Spreu fällt meist früher zu
Boden. Gerade in den Gegenden also, wo der Deutsche am
seltensten Landsleute und am häufigsten Briten trifft, ist auch
die größte Wahrscheinlichkeit, bei ihnen die wünschenswerthen
Elemente zu finden. Unter Weitergereisten herrschen in der
Regel wissenschaftliche und andere ernste Bestrebungen vor,
mit denen auch gediegene, den Verkehr lohnende Eigenschaften
verbunden sind. Wenigstens muß ich gestehen, daß, seitdem
ich meine ursprünglichen Vorurtheile abgeworfen, diese Ueber-
zeugung sich mir immer mehr aufdrängte, und daß ich dem
aus ihr hervorgegangenen Benehmen eine Reihe von Be-
kanntschaften verdanke, die unter meine liebsten Reiseerlebnisse
zählen. Von Deutschen, die in den letzten beiden Jahr-
zehnden jenseits des Canals den Wohnsitz nahmen, hört und
liest man das vielfach bestätigen und versichern, daß der
Gentleman an einer geschlossenen Freundschaft mit Zähigkeit
festhalte; um so weniger ist es zu erwarten, daß er bei der
Anknüpfung rasch zu Werke gehe. So liebt er denn auch
nicht, sein Haus und seine Person herauszuputzen, er will
nicht locken, blenden, schmeicheln, wie es z. B. dem Franzosen
eigen ist, welcher ihn allerdings an Glätte, Geschmeidigkeit,
Anmuth der Form, lebhaften, rasch gewinnendem Wesen
übertrifft. Dort sehen wir mehr Stolz, hier mehr Eitelkeit
und Koketterie. Ziehen wir das Nationelle mit seinen Licht-
und Schattenseiten vom Individuellen ab, so stellt sich dort
das Exempel für den Einzelnen durch die Bank günstiger,
in andren Worten: nähere Bekanntschaften mit Engländern
sind schwerer gemacht, aber durchschnittlich lohnender und
dauernder, als mit Franzosen und Südeuropäern. Daß der
Kern jenes Stammes weder ein unedler noch ein dürftiger
sein kann, sondern daß in ihm alle wichtigen Eigenschaften

VII. Engliſche Touriſten — Subtractionsexempel.
gibt noch weniger als anderwärts Bürgſchaft für einen ge-
wiſſen ſocialen Bildungsgrad. Das Verhältniß ſtellt ſich
jedoch um ſo günſtiger, je weiter wir uns entfernen von den
großen touriſtiſchen Tummelplätzen: vorzüglich volle Körner
ſind es, die weiter fliegen, die Spreu fällt meiſt früher zu
Boden. Gerade in den Gegenden alſo, wo der Deutſche am
ſeltenſten Landsleute und am häufigſten Briten trifft, iſt auch
die größte Wahrſcheinlichkeit, bei ihnen die wünſchenswerthen
Elemente zu finden. Unter Weitergereiſten herrſchen in der
Regel wiſſenſchaftliche und andere ernſte Beſtrebungen vor,
mit denen auch gediegene, den Verkehr lohnende Eigenſchaften
verbunden ſind. Wenigſtens muß ich geſtehen, daß, ſeitdem
ich meine urſprünglichen Vorurtheile abgeworfen, dieſe Ueber-
zeugung ſich mir immer mehr aufdrängte, und daß ich dem
aus ihr hervorgegangenen Benehmen eine Reihe von Be-
kanntſchaften verdanke, die unter meine liebſten Reiſeerlebniſſe
zählen. Von Deutſchen, die in den letzten beiden Jahr-
zehnden jenſeits des Canals den Wohnſitz nahmen, hört und
lieſt man das vielfach beſtätigen und verſichern, daß der
Gentleman an einer geſchloſſenen Freundſchaft mit Zähigkeit
feſthalte; um ſo weniger iſt es zu erwarten, daß er bei der
Anknüpfung raſch zu Werke gehe. So liebt er denn auch
nicht, ſein Haus und ſeine Perſon herauszuputzen, er will
nicht locken, blenden, ſchmeicheln, wie es z. B. dem Franzoſen
eigen iſt, welcher ihn allerdings an Glätte, Geſchmeidigkeit,
Anmuth der Form, lebhaften, raſch gewinnendem Weſen
übertrifft. Dort ſehen wir mehr Stolz, hier mehr Eitelkeit
und Koketterie. Ziehen wir das Nationelle mit ſeinen Licht-
und Schattenſeiten vom Individuellen ab, ſo ſtellt ſich dort
das Exempel für den Einzelnen durch die Bank günſtiger,
in andren Worten: nähere Bekanntſchaften mit Engländern
ſind ſchwerer gemacht, aber durchſchnittlich lohnender und
dauernder, als mit Franzoſen und Südeuropäern. Daß der
Kern jenes Stammes weder ein unedler noch ein dürftiger
ſein kann, ſondern daß in ihm alle wichtigen Eigenſchaften

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0224" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Engli&#x017F;che Touri&#x017F;ten &#x2014; Subtractionsexempel.</fw><lb/>
gibt noch weniger als anderwärts Bürg&#x017F;chaft für einen ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ocialen Bildungsgrad. Das Verhältniß &#x017F;tellt &#x017F;ich<lb/>
jedoch um &#x017F;o gün&#x017F;tiger, je weiter wir uns entfernen von den<lb/>
großen touri&#x017F;ti&#x017F;chen Tummelplätzen: vorzüglich volle Körner<lb/>
&#x017F;ind es, die weiter fliegen, die Spreu fällt mei&#x017F;t früher zu<lb/>
Boden. Gerade in den Gegenden al&#x017F;o, wo der Deut&#x017F;che am<lb/>
&#x017F;elten&#x017F;ten Landsleute und am häufig&#x017F;ten Briten trifft, i&#x017F;t auch<lb/>
die größte Wahr&#x017F;cheinlichkeit, bei ihnen die wün&#x017F;chenswerthen<lb/>
Elemente zu finden. Unter Weitergerei&#x017F;ten herr&#x017F;chen in der<lb/>
Regel wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche und andere ern&#x017F;te Be&#x017F;trebungen vor,<lb/>
mit denen auch gediegene, den Verkehr lohnende Eigen&#x017F;chaften<lb/>
verbunden &#x017F;ind. Wenig&#x017F;tens muß ich ge&#x017F;tehen, daß, &#x017F;eitdem<lb/>
ich meine ur&#x017F;prünglichen Vorurtheile abgeworfen, die&#x017F;e Ueber-<lb/>
zeugung &#x017F;ich mir immer mehr aufdrängte, und daß ich dem<lb/>
aus ihr hervorgegangenen Benehmen eine Reihe von Be-<lb/>
kannt&#x017F;chaften verdanke, die unter meine lieb&#x017F;ten Rei&#x017F;eerlebni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zählen. Von Deut&#x017F;chen, die in den letzten beiden Jahr-<lb/>
zehnden jen&#x017F;eits des <placeName>Canals</placeName> den Wohn&#x017F;itz nahmen, hört und<lb/>
lie&#x017F;t man das vielfach be&#x017F;tätigen und ver&#x017F;ichern, daß der<lb/>
Gentleman an einer ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Freund&#x017F;chaft mit Zähigkeit<lb/>
fe&#x017F;thalte; um &#x017F;o weniger i&#x017F;t es zu erwarten, daß er bei der<lb/>
Anknüpfung ra&#x017F;ch zu Werke gehe. So liebt er denn auch<lb/>
nicht, &#x017F;ein Haus und &#x017F;eine Per&#x017F;on herauszuputzen, er will<lb/>
nicht locken, blenden, &#x017F;chmeicheln, wie es z. B. dem Franzo&#x017F;en<lb/>
eigen i&#x017F;t, welcher ihn allerdings an Glätte, Ge&#x017F;chmeidigkeit,<lb/>
Anmuth der Form, lebhaften, ra&#x017F;ch gewinnendem We&#x017F;en<lb/>
übertrifft. Dort &#x017F;ehen wir mehr Stolz, hier mehr Eitelkeit<lb/>
und Koketterie. Ziehen wir das Nationelle mit &#x017F;einen Licht-<lb/>
und Schatten&#x017F;eiten vom Individuellen ab, &#x017F;o &#x017F;tellt &#x017F;ich dort<lb/>
das Exempel für den Einzelnen durch die Bank gün&#x017F;tiger,<lb/>
in andren Worten: nähere Bekannt&#x017F;chaften mit Engländern<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;chwerer gemacht, aber durch&#x017F;chnittlich lohnender und<lb/>
dauernder, als mit Franzo&#x017F;en und Südeuropäern. Daß der<lb/>
Kern jenes Stammes weder ein unedler noch ein dürftiger<lb/>
&#x017F;ein kann, &#x017F;ondern daß in ihm alle wichtigen Eigen&#x017F;chaften<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0224] VII. Engliſche Touriſten — Subtractionsexempel. gibt noch weniger als anderwärts Bürgſchaft für einen ge- wiſſen ſocialen Bildungsgrad. Das Verhältniß ſtellt ſich jedoch um ſo günſtiger, je weiter wir uns entfernen von den großen touriſtiſchen Tummelplätzen: vorzüglich volle Körner ſind es, die weiter fliegen, die Spreu fällt meiſt früher zu Boden. Gerade in den Gegenden alſo, wo der Deutſche am ſeltenſten Landsleute und am häufigſten Briten trifft, iſt auch die größte Wahrſcheinlichkeit, bei ihnen die wünſchenswerthen Elemente zu finden. Unter Weitergereiſten herrſchen in der Regel wiſſenſchaftliche und andere ernſte Beſtrebungen vor, mit denen auch gediegene, den Verkehr lohnende Eigenſchaften verbunden ſind. Wenigſtens muß ich geſtehen, daß, ſeitdem ich meine urſprünglichen Vorurtheile abgeworfen, dieſe Ueber- zeugung ſich mir immer mehr aufdrängte, und daß ich dem aus ihr hervorgegangenen Benehmen eine Reihe von Be- kanntſchaften verdanke, die unter meine liebſten Reiſeerlebniſſe zählen. Von Deutſchen, die in den letzten beiden Jahr- zehnden jenſeits des Canals den Wohnſitz nahmen, hört und lieſt man das vielfach beſtätigen und verſichern, daß der Gentleman an einer geſchloſſenen Freundſchaft mit Zähigkeit feſthalte; um ſo weniger iſt es zu erwarten, daß er bei der Anknüpfung raſch zu Werke gehe. So liebt er denn auch nicht, ſein Haus und ſeine Perſon herauszuputzen, er will nicht locken, blenden, ſchmeicheln, wie es z. B. dem Franzoſen eigen iſt, welcher ihn allerdings an Glätte, Geſchmeidigkeit, Anmuth der Form, lebhaften, raſch gewinnendem Weſen übertrifft. Dort ſehen wir mehr Stolz, hier mehr Eitelkeit und Koketterie. Ziehen wir das Nationelle mit ſeinen Licht- und Schattenſeiten vom Individuellen ab, ſo ſtellt ſich dort das Exempel für den Einzelnen durch die Bank günſtiger, in andren Worten: nähere Bekanntſchaften mit Engländern ſind ſchwerer gemacht, aber durchſchnittlich lohnender und dauernder, als mit Franzoſen und Südeuropäern. Daß der Kern jenes Stammes weder ein unedler noch ein dürftiger ſein kann, ſondern daß in ihm alle wichtigen Eigenſchaften

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/224
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/224>, abgerufen am 24.11.2024.