Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VI. Unser schwarzes Register. sein sollte, daß -- um aus unsrem schwarzen Register hiernur dessen zu erwähnen, was mit Wirthshausangelegenheiten in Verbindung steht -- sogar einzelne es arg treiben. Manche demoralisirt der Gedanke, daß sie an der Stelle zum ersten und letzten Male sind, in verschiedener Weise und steigert die üblen Seiten ihres Naturells oder ihrer Erziehung, denen sie zu Hause Zügel anlegen mußten. Viele, angeregt durch die Reise und ihre Eindrücke, welche so leicht Herz und Hand öffnet, werden verschwenderisch, oder werfen aus Prahlerei mit Geld um sich, was daheim nicht durchzuführen wäre, dulden die offenbarsten Uebervortheilungen, weil "sie sich nicht ärgern wollen", oder weil sie fürchten, für arm, geizig, klein- lich, zänkisch gehalten zu werden. Die Mehrzahl der Er- holungs- und Lustreisenden gilt überhaupt für reich, so ge- wöhnen sich die Leute, um sicher zu gehen und keinen Anstoß zu geben, gleich alle wie Standespersonen zu behandeln, für die keine festen Preise existiren, sondern die nach Belieben zahlen, nur nicht nach ihrem eigenen Belieben. Die meisten erscheinen und verschwinden, auf Seite der Ansässigen fällt also auch die Aussicht auf Erwerbung treuer Kunden weg. Uebt ihr keine Treue, so üben wir keine Redlichkeit, denkt man, und beutet sie aus. Hinzukommt, daß der Reisestrom naturgemäß aus dem theuren Norden nach dem wohlfeilen Süden gerichtet ist, aus den Thaler-, Pfundsterling- und Rubelländern in die Gulden-, Franken- und Lireländer, daß die Ankömmlinge über die Niedrigkeit der Preise staunen und auch vor den Einheimischen kein Hehl daraus machen; endlich daß Touristen überwiegend männlichen Geschlechts sind, wel- ches weniger Anlage zur Sparsamkeit hat, auch für schlechter bewandert gilt in Preisen der täglichen Bedürfnisse, als Frauen. Manche werden durch unerwartete Ausgaben schäbig karg, quälen die Kellner, brutalisiren das Gesinde, hadern und nörgeln, verderben Zimmergeräth etc. Kränkliche sind auch Viele unter der Masse, Mancher macht eine "Erholungs- reise" für seine Familie und seinen Arzt, d. h. dieser schickt VI. Unſer ſchwarzes Regiſter. ſein ſollte, daß — um aus unſrem ſchwarzen Regiſter hiernur deſſen zu erwähnen, was mit Wirthshausangelegenheiten in Verbindung ſteht — ſogar einzelne es arg treiben. Manche demoraliſirt der Gedanke, daß ſie an der Stelle zum erſten und letzten Male ſind, in verſchiedener Weiſe und ſteigert die üblen Seiten ihres Naturells oder ihrer Erziehung, denen ſie zu Hauſe Zügel anlegen mußten. Viele, angeregt durch die Reiſe und ihre Eindrücke, welche ſo leicht Herz und Hand öffnet, werden verſchwenderiſch, oder werfen aus Prahlerei mit Geld um ſich, was daheim nicht durchzuführen wäre, dulden die offenbarſten Uebervortheilungen, weil „ſie ſich nicht ärgern wollen“, oder weil ſie fürchten, für arm, geizig, klein- lich, zänkiſch gehalten zu werden. Die Mehrzahl der Er- holungs- und Luſtreiſenden gilt überhaupt für reich, ſo ge- wöhnen ſich die Leute, um ſicher zu gehen und keinen Anſtoß zu geben, gleich alle wie Standesperſonen zu behandeln, für die keine feſten Preiſe exiſtiren, ſondern die nach Belieben zahlen, nur nicht nach ihrem eigenen Belieben. Die meiſten erſcheinen und verſchwinden, auf Seite der Anſäſſigen fällt alſo auch die Ausſicht auf Erwerbung treuer Kunden weg. Uebt ihr keine Treue, ſo üben wir keine Redlichkeit, denkt man, und beutet ſie aus. Hinzukommt, daß der Reiſeſtrom naturgemäß aus dem theuren Norden nach dem wohlfeilen Süden gerichtet iſt, aus den Thaler-, Pfundſterling- und Rubelländern in die Gulden-, Franken- und Lireländer, daß die Ankömmlinge über die Niedrigkeit der Preiſe ſtaunen und auch vor den Einheimiſchen kein Hehl daraus machen; endlich daß Touriſten überwiegend männlichen Geſchlechts ſind, wel- ches weniger Anlage zur Sparſamkeit hat, auch für ſchlechter bewandert gilt in Preiſen der täglichen Bedürfniſſe, als Frauen. Manche werden durch unerwartete Ausgaben ſchäbig karg, quälen die Kellner, brutaliſiren das Geſinde, hadern und nörgeln, verderben Zimmergeräth ꝛc. Kränkliche ſind auch Viele unter der Maſſe, Mancher macht eine „Erholungs- reiſe“ für ſeine Familie und ſeinen Arzt, d. h. dieſer ſchickt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0196" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Unſer ſchwarzes Regiſter.</fw><lb/> ſein ſollte, daß — um aus unſrem ſchwarzen Regiſter hier<lb/> nur deſſen zu erwähnen, was mit Wirthshausangelegenheiten<lb/> in Verbindung ſteht — ſogar einzelne es arg treiben. Manche<lb/> demoraliſirt der Gedanke, daß ſie an der Stelle zum erſten<lb/> und letzten Male ſind, in verſchiedener Weiſe und ſteigert die<lb/> üblen Seiten ihres Naturells oder ihrer Erziehung, denen ſie<lb/> zu Hauſe Zügel anlegen mußten. 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VI. Unſer ſchwarzes Regiſter.
ſein ſollte, daß — um aus unſrem ſchwarzen Regiſter hier
nur deſſen zu erwähnen, was mit Wirthshausangelegenheiten
in Verbindung ſteht — ſogar einzelne es arg treiben. Manche
demoraliſirt der Gedanke, daß ſie an der Stelle zum erſten
und letzten Male ſind, in verſchiedener Weiſe und ſteigert die
üblen Seiten ihres Naturells oder ihrer Erziehung, denen ſie
zu Hauſe Zügel anlegen mußten. Viele, angeregt durch die
Reiſe und ihre Eindrücke, welche ſo leicht Herz und Hand
öffnet, werden verſchwenderiſch, oder werfen aus Prahlerei
mit Geld um ſich, was daheim nicht durchzuführen wäre,
dulden die offenbarſten Uebervortheilungen, weil „ſie ſich nicht
ärgern wollen“, oder weil ſie fürchten, für arm, geizig, klein-
lich, zänkiſch gehalten zu werden. Die Mehrzahl der Er-
holungs- und Luſtreiſenden gilt überhaupt für reich, ſo ge-
wöhnen ſich die Leute, um ſicher zu gehen und keinen Anſtoß
zu geben, gleich alle wie Standesperſonen zu behandeln, für
die keine feſten Preiſe exiſtiren, ſondern die nach Belieben
zahlen, nur nicht nach ihrem eigenen Belieben. Die meiſten
erſcheinen und verſchwinden, auf Seite der Anſäſſigen fällt
alſo auch die Ausſicht auf Erwerbung treuer Kunden weg.
Uebt ihr keine Treue, ſo üben wir keine Redlichkeit, denkt
man, und beutet ſie aus. Hinzukommt, daß der Reiſeſtrom
naturgemäß aus dem theuren Norden nach dem wohlfeilen
Süden gerichtet iſt, aus den Thaler-, Pfundſterling- und
Rubelländern in die Gulden-, Franken- und Lireländer, daß
die Ankömmlinge über die Niedrigkeit der Preiſe ſtaunen und
auch vor den Einheimiſchen kein Hehl daraus machen; endlich
daß Touriſten überwiegend männlichen Geſchlechts ſind, wel-
ches weniger Anlage zur Sparſamkeit hat, auch für ſchlechter
bewandert gilt in Preiſen der täglichen Bedürfniſſe, als
Frauen. Manche werden durch unerwartete Ausgaben ſchäbig
karg, quälen die Kellner, brutaliſiren das Geſinde, hadern
und nörgeln, verderben Zimmergeräth ꝛc. Kränkliche ſind
auch Viele unter der Maſſe, Mancher macht eine „Erholungs-
reiſe“ für ſeine Familie und ſeinen Arzt, d. h. dieſer ſchickt
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