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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Culinarische Erziehung -- Ein Professeur der Gourmandise.
Freund wird, wenn sie bei gutem Appetite sind, ein paar Gold-
stücke betragen, die Sitzung sehr lange dauern (sofern sie
nicht gleich anfangs durch einen Bleistiftzettel ihr Programm
entwarfen), weil zwischen Bestellung und Erscheinung der
Gerichte starke Pausen eintreten, und wahrscheinlich werden
beide Herren nicht viel Genuß und Belehrung davontragen,
denn sie müssen schon besonderes Glück haben, wenn sie nur
die glänzenden Seiten der französischen Küche zu schmecken
bekämen. Besser dürften sie gefahren sein, hätten sie die-
selbe Summe verwendet, um nach einander die Table d'hote
einiger Hotels comme il faut durchzumachen. Aber auch das
sind nur Stümpereien. Jeder, dem es um ernstere gastro-
sophische Studien zu thun ist, macht diese weder auf eigene
Faust noch nach Büchern, sondern sucht sich einen professeur
(nicht mit "Professor" zu übersetzen, denn die deutsche Sprache
verbindet damit einen andern Begriff) von bewährtem Rufe,
der ihm die Anfangsgründe beibringt, ihn renseignirt, wer
die zeitweilig besten Kochvirtuosen, welches die starken Seiten
eines jeden sind, und ihn oft begleitet. Ein Professeur der
Gourmandise wird vor Allem den Künstlern, die er durch
seine Kundschaft auszeichnet, so viel Ehrfurcht vor seiner
Kennerschaft eingeflößt haben, daß Keiner wagt, ihm Mittel-
mäßiges vorzusetzen, im Gegentheil wird man ihn bescheiden
warnen, sofern er etwas bestellt, das in der Zubereitung nicht
völlig gelungen oder im Material mangelhaft ist. Gesetzt
er verlangte ein Stück von einem Reh, das seine Laufbahn
um ein Jahr zu spät oder um einen Tag zu früh für seinen
Nachruhm beschlossen, im ersten Falle also zähes Fleisch hätte,
im zweiten zuviel haut goaut, oder seine Wahl fiel auf ge-
trüffelten Truthahn, die letzte Sendung des edlen Pilzes aus
Perigord hätte jedoch einen leisen Schimmelgeschmack, oder
der Ernährungsproceß des unvergleichlichen Vogels wäre
nicht in erwünschter Weise vor sich gegangen, so würde ent-
weder schon der Kellner bei der Bestellung mit der Unterlippe
leise zucken, als Zeichen, daß eine andre Wahl räthlich, oder

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VI. Culinariſche Erziehung — Ein Profeſſeur der Gourmandiſe.
Freund wird, wenn ſie bei gutem Appetite ſind, ein paar Gold-
ſtücke betragen, die Sitzung ſehr lange dauern (ſofern ſie
nicht gleich anfangs durch einen Bleiſtiftzettel ihr Programm
entwarfen), weil zwiſchen Beſtellung und Erſcheinung der
Gerichte ſtarke Pauſen eintreten, und wahrſcheinlich werden
beide Herren nicht viel Genuß und Belehrung davontragen,
denn ſie müſſen ſchon beſonderes Glück haben, wenn ſie nur
die glänzenden Seiten der franzöſiſchen Küche zu ſchmecken
bekämen. Beſſer dürften ſie gefahren ſein, hätten ſie die-
ſelbe Summe verwendet, um nach einander die Table d’hôte
einiger Hôtels comme il faut durchzumachen. Aber auch das
ſind nur Stümpereien. Jeder, dem es um ernſtere gaſtro-
ſophiſche Studien zu thun iſt, macht dieſe weder auf eigene
Fauſt noch nach Büchern, ſondern ſucht ſich einen professeur
(nicht mit „Profeſſor“ zu überſetzen, denn die deutſche Sprache
verbindet damit einen andern Begriff) von bewährtem Rufe,
der ihm die Anfangsgründe beibringt, ihn renſeignirt, wer
die zeitweilig beſten Kochvirtuoſen, welches die ſtarken Seiten
eines jeden ſind, und ihn oft begleitet. Ein Profeſſeur der
Gourmandiſe wird vor Allem den Künſtlern, die er durch
ſeine Kundſchaft auszeichnet, ſo viel Ehrfurcht vor ſeiner
Kennerſchaft eingeflößt haben, daß Keiner wagt, ihm Mittel-
mäßiges vorzuſetzen, im Gegentheil wird man ihn beſcheiden
warnen, ſofern er etwas beſtellt, das in der Zubereitung nicht
völlig gelungen oder im Material mangelhaft iſt. Geſetzt
er verlangte ein Stück von einem Reh, das ſeine Laufbahn
um ein Jahr zu ſpät oder um einen Tag zu früh für ſeinen
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im zweiten zuviel haut goût, oder ſeine Wahl fiel auf ge-
trüffelten Truthahn, die letzte Sendung des edlen Pilzes aus
Périgord hätte jedoch einen leiſen Schimmelgeſchmack, oder
der Ernährungsproceß des unvergleichlichen Vogels wäre
nicht in erwünſchter Weiſe vor ſich gegangen, ſo würde ent-
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[177/0191] VI. Culinariſche Erziehung — Ein Profeſſeur der Gourmandiſe. Freund wird, wenn ſie bei gutem Appetite ſind, ein paar Gold- ſtücke betragen, die Sitzung ſehr lange dauern (ſofern ſie nicht gleich anfangs durch einen Bleiſtiftzettel ihr Programm entwarfen), weil zwiſchen Beſtellung und Erſcheinung der Gerichte ſtarke Pauſen eintreten, und wahrſcheinlich werden beide Herren nicht viel Genuß und Belehrung davontragen, denn ſie müſſen ſchon beſonderes Glück haben, wenn ſie nur die glänzenden Seiten der franzöſiſchen Küche zu ſchmecken bekämen. Beſſer dürften ſie gefahren ſein, hätten ſie die- ſelbe Summe verwendet, um nach einander die Table d’hôte einiger Hôtels comme il faut durchzumachen. Aber auch das ſind nur Stümpereien. Jeder, dem es um ernſtere gaſtro- ſophiſche Studien zu thun iſt, macht dieſe weder auf eigene Fauſt noch nach Büchern, ſondern ſucht ſich einen professeur (nicht mit „Profeſſor“ zu überſetzen, denn die deutſche Sprache verbindet damit einen andern Begriff) von bewährtem Rufe, der ihm die Anfangsgründe beibringt, ihn renſeignirt, wer die zeitweilig beſten Kochvirtuoſen, welches die ſtarken Seiten eines jeden ſind, und ihn oft begleitet. Ein Profeſſeur der Gourmandiſe wird vor Allem den Künſtlern, die er durch ſeine Kundſchaft auszeichnet, ſo viel Ehrfurcht vor ſeiner Kennerſchaft eingeflößt haben, daß Keiner wagt, ihm Mittel- mäßiges vorzuſetzen, im Gegentheil wird man ihn beſcheiden warnen, ſofern er etwas beſtellt, das in der Zubereitung nicht völlig gelungen oder im Material mangelhaft iſt. Geſetzt er verlangte ein Stück von einem Reh, das ſeine Laufbahn um ein Jahr zu ſpät oder um einen Tag zu früh für ſeinen Nachruhm beſchloſſen, im erſten Falle alſo zähes Fleiſch hätte, im zweiten zuviel haut goût, oder ſeine Wahl fiel auf ge- trüffelten Truthahn, die letzte Sendung des edlen Pilzes aus Périgord hätte jedoch einen leiſen Schimmelgeſchmack, oder der Ernährungsproceß des unvergleichlichen Vogels wäre nicht in erwünſchter Weiſe vor ſich gegangen, ſo würde ent- weder ſchon der Kellner bei der Beſtellung mit der Unterlippe leiſe zucken, als Zeichen, daß eine andre Wahl räthlich, oder 12

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/191>, abgerufen am 22.11.2024.