Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.V. Rentiers und Sinecuristen -- Trösteinsamkeit. Schründen und Klüfte -- solltet Ihr dereinst einmal in denFall kommen, Euren Beruf verlassen zu müssen und zum Rentierleben verurtheilt zu sein, so beschwöre ich Euch, ver- sucht nicht, den Stier bei den Hörnern zu fassen, bemüht Euch nicht, die Zeit zu "vertreiben", sondern trachtet, sie auszu- füllen. Sucht alsdann zuerst unter den ernsten, mühsamen, unbeliebten Dingen, laßt Euch nicht abschrecken, wenn sie ein- förmig aussehen, ermüdet nicht, wenn sie anfangs wenig an- ziehen und fesseln, bedenkt, daß auch das Berufsgeschäft, als wir es einst erlernten, keineswegs immer wie Marzipan schmeckte, und doch waren wir zu der Zeit noch in den Lehr- jahren, in denen es sich leicht lernt, leicht arbeitet, leicht vor- lieb genommen wird. Später, wo es sich darum handelt, einen Ersatz dafür zu schaffen, wo unsere Kräfte halbirt sind, dürfen wir doch unmöglich die Ansprüche verdoppeln und verlangen, daß das Surrogat besser munde als einst das Echte! -- Und so gar übel schmeckt auch jenes nicht einmal, wenn nur erst die Gewohnheit, unsere alte Trösterin, heran- gehinkt ist, deren Amt seit jeher war, die Thorheiten und Uebereilungen unsrer Phantasie und unsres Urtheils wieder gut zu machen. Wer in der Jugend sich übte, geistig zu produciren, stelle V. Rentiers und Sinecuriſten — Tröſteinſamkeit. Schründen und Klüfte — ſolltet Ihr dereinſt einmal in denFall kommen, Euren Beruf verlaſſen zu müſſen und zum Rentierleben verurtheilt zu ſein, ſo beſchwöre ich Euch, ver- ſucht nicht, den Stier bei den Hörnern zu faſſen, bemüht Euch nicht, die Zeit zu „vertreiben“, ſondern trachtet, ſie auszu- füllen. Sucht alsdann zuerſt unter den ernſten, mühſamen, unbeliebten Dingen, laßt Euch nicht abſchrecken, wenn ſie ein- förmig ausſehen, ermüdet nicht, wenn ſie anfangs wenig an- ziehen und feſſeln, bedenkt, daß auch das Berufsgeſchäft, als wir es einſt erlernten, keineswegs immer wie Marzipan ſchmeckte, und doch waren wir zu der Zeit noch in den Lehr- jahren, in denen es ſich leicht lernt, leicht arbeitet, leicht vor- lieb genommen wird. Später, wo es ſich darum handelt, einen Erſatz dafür zu ſchaffen, wo unſere Kräfte halbirt ſind, dürfen wir doch unmöglich die Anſprüche verdoppeln und verlangen, daß das Surrogat beſſer munde als einſt das Echte! — Und ſo gar übel ſchmeckt auch jenes nicht einmal, wenn nur erſt die Gewohnheit, unſere alte Tröſterin, heran- gehinkt iſt, deren Amt ſeit jeher war, die Thorheiten und Uebereilungen unſrer Phantaſie und unſres Urtheils wieder gut zu machen. Wer in der Jugend ſich übte, geiſtig zu produciren, ſtelle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="158"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Rentiers und Sinecuriſten — Tröſteinſamkeit.</fw><lb/> Schründen und Klüfte — ſolltet Ihr dereinſt einmal in den<lb/> Fall kommen, Euren Beruf verlaſſen zu müſſen und zum<lb/> Rentierleben verurtheilt zu ſein, ſo beſchwöre ich Euch, ver-<lb/> ſucht nicht, den Stier bei den Hörnern zu faſſen, bemüht Euch<lb/> nicht, die Zeit zu „vertreiben“, ſondern trachtet, ſie auszu-<lb/> füllen. 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Solche Thätigkeit bietet<lb/> noch den Nebenvortheil, daß ſie keine weitſchichtige Zurüſtung<lb/> erheiſcht und weder an Oertlichkeiten noch an Jahreszeiten<lb/> gebunden iſt, paßt mithin ſo recht als Tröſteinſamkeit für<lb/> das Exil in entlegenen Geſundheitsſtationen. Will’s nicht<lb/> glücken, Eigenes zu ſchaffen, ſo findet ſich doch wahrſcheinlich<lb/> im weiten Gebiet der Reproduction ein Feld der Thätigkeit,<lb/> wie z. B. Ueberſetzungen oder Bearbeitungen aus fremden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [158/0172]
V. Rentiers und Sinecuriſten — Tröſteinſamkeit.
Schründen und Klüfte — ſolltet Ihr dereinſt einmal in den
Fall kommen, Euren Beruf verlaſſen zu müſſen und zum
Rentierleben verurtheilt zu ſein, ſo beſchwöre ich Euch, ver-
ſucht nicht, den Stier bei den Hörnern zu faſſen, bemüht Euch
nicht, die Zeit zu „vertreiben“, ſondern trachtet, ſie auszu-
füllen. Sucht alsdann zuerſt unter den ernſten, mühſamen,
unbeliebten Dingen, laßt Euch nicht abſchrecken, wenn ſie ein-
förmig ausſehen, ermüdet nicht, wenn ſie anfangs wenig an-
ziehen und feſſeln, bedenkt, daß auch das Berufsgeſchäft, als
wir es einſt erlernten, keineswegs immer wie Marzipan
ſchmeckte, und doch waren wir zu der Zeit noch in den Lehr-
jahren, in denen es ſich leicht lernt, leicht arbeitet, leicht vor-
lieb genommen wird. Später, wo es ſich darum handelt,
einen Erſatz dafür zu ſchaffen, wo unſere Kräfte halbirt ſind,
dürfen wir doch unmöglich die Anſprüche verdoppeln und
verlangen, daß das Surrogat beſſer munde als einſt das
Echte! — Und ſo gar übel ſchmeckt auch jenes nicht einmal,
wenn nur erſt die Gewohnheit, unſere alte Tröſterin, heran-
gehinkt iſt, deren Amt ſeit jeher war, die Thorheiten und
Uebereilungen unſrer Phantaſie und unſres Urtheils wieder
gut zu machen.
Wer in der Jugend ſich übte, geiſtig zu produciren, ſtelle
neue Verſuche damit an. Wohl ihm, wenn es gelingt, einen
unter der Aſche glimmenden poetiſchen Funken zur Flamme
anzufachen. Er componire in Tönen, Farben oder Worten
friſch drauf los, mache Verſe, ſchreibe Novellen, Erzählungen
und was weiß ich alles. Dieſe Kinder der Muße der Oeffent-
lichkeit zu übergeben, hat keine Eile. Solche Thätigkeit bietet
noch den Nebenvortheil, daß ſie keine weitſchichtige Zurüſtung
erheiſcht und weder an Oertlichkeiten noch an Jahreszeiten
gebunden iſt, paßt mithin ſo recht als Tröſteinſamkeit für
das Exil in entlegenen Geſundheitsſtationen. Will’s nicht
glücken, Eigenes zu ſchaffen, ſo findet ſich doch wahrſcheinlich
im weiten Gebiet der Reproduction ein Feld der Thätigkeit,
wie z. B. Ueberſetzungen oder Bearbeitungen aus fremden
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