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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Hochsommerglut -- für und gegen große und kleine Bäder.
verzichten, droben in der Höhe dagegen sich auf viel rauhes
Wetter gefaßt machen und darf Gehölz höchstens in der
Vogelschau erwarten. Wählt er ein niedrig gelegenes Wald-
revier, sei es das ausgedehnteste, so hat er, wenn der Sommer
heiß ausfällt, darunter zu leiden, trotz allem Schatten, im
entgegengesetzten Falle von langen Regenperioden und Kälte.
Beide Extreme, dauernde Glut oder anhaltender Regen,
kommen am Seestrande fast nie vor, und gerade beim böse-
sten Wetter ist das Meer am glorreichsten und der Wellen-
schlag am kräftigsten; dort ist man aber wieder vor plötzlichen
Ueberraschungen keine Stunde sicher und muß öde Sanddünen
oder kahle Felsen in den Kauf nehmen. Vollkommenes gibt's
eben nicht unter der Sonne.

Wer die Wahl unter vielen Punkten hat, mag ferner vor
seiner Entscheidung Folgendes erwägen. In Bädern ersten
Ranges ist für Bedürfnisse, Bequemlichkeit, Luxus, Zer-
streuung am reichlichsten gesorgt, die besten Wohnungen, die
meiste Aussicht, unter den vielen Gästen Bekannte zu treffen;
der gesellige Ton ist aber der nordisch großstädtische, d. h.
wenn nicht besondere Umstände vermittelnd eintreten, bleibt
man einander fremd, die zufälligen Berührungen sind flüch-
tigster Natur. Ganz kleine Sommerstationen mit sehr wohl-
feilen Preisen sind hingegen in der Regel nur von der nächsten
Nachbarschaft besucht und gestatten keine Auswahl der ge-
selligen Elemente, ebensowenig, wenn man sich nicht ganz
einsam halten will, Vermeidung der unliebsamsten. Der
Einzelne, der Werth auf Ansprache legt, hat deshalb immer
noch die meiste Anwartschaft darauf, wenn er ein Bad mitt-
lerer Größe (und zwar vor Eintritt der hohen Saison) auf-
sucht, er kann sich dann der Gruppe oder den Einzelnen
anschließen, denen er sich wahlverwandt fühlt. In Bade-
orten, in denen ein Arzt, der zugleich Unternehmer ist, den
Mittelpunkt der Gesellschaft bildet, z. B. Kaltwasseranstalten,
kommt auf dessen Persönlichkeit viel an. Hat er den Takt
und die Muße, in der richtigen Weise und mit leiser Hand

V. Hochſommerglut — für und gegen große und kleine Bäder.
verzichten, droben in der Höhe dagegen ſich auf viel rauhes
Wetter gefaßt machen und darf Gehölz höchſtens in der
Vogelſchau erwarten. Wählt er ein niedrig gelegenes Wald-
revier, ſei es das ausgedehnteſte, ſo hat er, wenn der Sommer
heiß ausfällt, darunter zu leiden, trotz allem Schatten, im
entgegengeſetzten Falle von langen Regenperioden und Kälte.
Beide Extreme, dauernde Glut oder anhaltender Regen,
kommen am Seeſtrande faſt nie vor, und gerade beim böſe-
ſten Wetter iſt das Meer am glorreichſten und der Wellen-
ſchlag am kräftigſten; dort iſt man aber wieder vor plötzlichen
Ueberraſchungen keine Stunde ſicher und muß öde Sanddünen
oder kahle Felſen in den Kauf nehmen. Vollkommenes gibt’s
eben nicht unter der Sonne.

Wer die Wahl unter vielen Punkten hat, mag ferner vor
ſeiner Entſcheidung Folgendes erwägen. In Bädern erſten
Ranges iſt für Bedürfniſſe, Bequemlichkeit, Luxus, Zer-
ſtreuung am reichlichſten geſorgt, die beſten Wohnungen, die
meiſte Ausſicht, unter den vielen Gäſten Bekannte zu treffen;
der geſellige Ton iſt aber der nordiſch großſtädtiſche, d. h.
wenn nicht beſondere Umſtände vermittelnd eintreten, bleibt
man einander fremd, die zufälligen Berührungen ſind flüch-
tigſter Natur. Ganz kleine Sommerſtationen mit ſehr wohl-
feilen Preiſen ſind hingegen in der Regel nur von der nächſten
Nachbarſchaft beſucht und geſtatten keine Auswahl der ge-
ſelligen Elemente, ebenſowenig, wenn man ſich nicht ganz
einſam halten will, Vermeidung der unliebſamſten. Der
Einzelne, der Werth auf Anſprache legt, hat deshalb immer
noch die meiſte Anwartſchaft darauf, wenn er ein Bad mitt-
lerer Größe (und zwar vor Eintritt der hohen Saiſon) auf-
ſucht, er kann ſich dann der Gruppe oder den Einzelnen
anſchließen, denen er ſich wahlverwandt fühlt. In Bade-
orten, in denen ein Arzt, der zugleich Unternehmer iſt, den
Mittelpunkt der Geſellſchaft bildet, z. B. Kaltwaſſeranſtalten,
kommt auf deſſen Perſönlichkeit viel an. Hat er den Takt
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[117/0131] V. Hochſommerglut — für und gegen große und kleine Bäder. verzichten, droben in der Höhe dagegen ſich auf viel rauhes Wetter gefaßt machen und darf Gehölz höchſtens in der Vogelſchau erwarten. Wählt er ein niedrig gelegenes Wald- revier, ſei es das ausgedehnteſte, ſo hat er, wenn der Sommer heiß ausfällt, darunter zu leiden, trotz allem Schatten, im entgegengeſetzten Falle von langen Regenperioden und Kälte. Beide Extreme, dauernde Glut oder anhaltender Regen, kommen am Seeſtrande faſt nie vor, und gerade beim böſe- ſten Wetter iſt das Meer am glorreichſten und der Wellen- ſchlag am kräftigſten; dort iſt man aber wieder vor plötzlichen Ueberraſchungen keine Stunde ſicher und muß öde Sanddünen oder kahle Felſen in den Kauf nehmen. Vollkommenes gibt’s eben nicht unter der Sonne. Wer die Wahl unter vielen Punkten hat, mag ferner vor ſeiner Entſcheidung Folgendes erwägen. In Bädern erſten Ranges iſt für Bedürfniſſe, Bequemlichkeit, Luxus, Zer- ſtreuung am reichlichſten geſorgt, die beſten Wohnungen, die meiſte Ausſicht, unter den vielen Gäſten Bekannte zu treffen; der geſellige Ton iſt aber der nordiſch großſtädtiſche, d. h. wenn nicht beſondere Umſtände vermittelnd eintreten, bleibt man einander fremd, die zufälligen Berührungen ſind flüch- tigſter Natur. Ganz kleine Sommerſtationen mit ſehr wohl- feilen Preiſen ſind hingegen in der Regel nur von der nächſten Nachbarſchaft beſucht und geſtatten keine Auswahl der ge- ſelligen Elemente, ebenſowenig, wenn man ſich nicht ganz einſam halten will, Vermeidung der unliebſamſten. Der Einzelne, der Werth auf Anſprache legt, hat deshalb immer noch die meiſte Anwartſchaft darauf, wenn er ein Bad mitt- lerer Größe (und zwar vor Eintritt der hohen Saiſon) auf- ſucht, er kann ſich dann der Gruppe oder den Einzelnen anſchließen, denen er ſich wahlverwandt fühlt. In Bade- orten, in denen ein Arzt, der zugleich Unternehmer iſt, den Mittelpunkt der Geſellſchaft bildet, z. B. Kaltwaſſeranſtalten, kommt auf deſſen Perſönlichkeit viel an. Hat er den Takt und die Muße, in der richtigen Weiſe und mit leiſer Hand

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/131>, abgerufen am 22.11.2024.