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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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IV. Alpen- und Tigermilch.
in Ostindien beliebtes Getränk der Art führt den Namen
"Tigermilch"; es wird bereitet, indem man der Milch Ma-
deira oder Arak, ferner ein paar Eidotter, auf Citronenschale
abgeriebenen Zucker und ein wenig Cardamom oder Vanille
zusetzt. -- In einer aus verschiedenen Nationen gemischten
Gesellschaft, die sich in einem schweizer Gasthof zusammen-
gefunden hatte, war einst die Rede auf englische Küche ge-
kommen, und die anwesenden Franzosen, Russen und Deut-
schen hatten einstimmig den Stab über sie gebrochen. An
rohem Fleische, hieß es, könnten nur reißende Thiere Geschmack
finden, der Erfinder der Plumpuddings verdiente in seinen
Rumsaucen zu brennen, und die Bereitung der Gemüse in
England sei die unverhüllte Barbarei. Für den nächsten
Tag war eine gemeinsame Partie nach einer benachbarten
Sennhütte verabredet. Da kam mir der Einfall, die nöthigen
Zuthaten zu jenem Getränk hinaufzuschicken und oben ganz
verstohlen eine Bowle davon zu machen. Nach dem Kaffee
wurde die Tigermilch aufgetragen und jeder Person eine
Tasse voll credenzt. Große Ueberraschung. Man schien
einen Schabernack zu vermuthen und Niemand wollte an-
fangs versuchen. "Ob ich dieses neue Nahrungsmittel aus
Indien mitgebracht, etwa condensirt, oder ob ich es aus einer
Menagerie bezogen hätte," und mehr dergleichen Fragen be-
kam ich zu hören, bis endlich eine junge Russin Muth faßte,
zu kosten, und in Lobeserhebungen ausbrach. Einer nach dem
Andern folgte und bald war Alles einig darüber, daß ein
Mischkrug der Art von Göttern getrunken und von Homer
besungen zu werden verdiene. Es wurde der Beschluß ge-
faßt, künftig nicht mehr abzusprechen über Engländer und
reißende Thiere.

Einige Worte der Polemik mögen hier einer Begriffs-
verwechslung gewidmet werden, die schon viel Unheil in der
Touristenwelt angerichtet hat und deren Ursprung sich viel-
leicht auf die alten Paßbeamten zurückführen läßt. Diese
vom heutigen freizügigen Geschlecht nur noch wenig gekannte,

IV. Alpen- und Tigermilch.
in Oſtindien beliebtes Getränk der Art führt den Namen
„Tigermilch“; es wird bereitet, indem man der Milch Ma-
deira oder Arak, ferner ein paar Eidotter, auf Citronenſchale
abgeriebenen Zucker und ein wenig Cardamom oder Vanille
zuſetzt. — In einer aus verſchiedenen Nationen gemiſchten
Geſellſchaft, die ſich in einem ſchweizer Gaſthof zuſammen-
gefunden hatte, war einſt die Rede auf engliſche Küche ge-
kommen, und die anweſenden Franzoſen, Ruſſen und Deut-
ſchen hatten einſtimmig den Stab über ſie gebrochen. An
rohem Fleiſche, hieß es, könnten nur reißende Thiere Geſchmack
finden, der Erfinder der Plumpuddings verdiente in ſeinen
Rumſaucen zu brennen, und die Bereitung der Gemüſe in
England ſei die unverhüllte Barbarei. Für den nächſten
Tag war eine gemeinſame Partie nach einer benachbarten
Sennhütte verabredet. Da kam mir der Einfall, die nöthigen
Zuthaten zu jenem Getränk hinaufzuſchicken und oben ganz
verſtohlen eine Bowle davon zu machen. Nach dem Kaffee
wurde die Tigermilch aufgetragen und jeder Perſon eine
Taſſe voll credenzt. Große Ueberraſchung. Man ſchien
einen Schabernack zu vermuthen und Niemand wollte an-
fangs verſuchen. „Ob ich dieſes neue Nahrungsmittel aus
Indien mitgebracht, etwa condenſirt, oder ob ich es aus einer
Menagerie bezogen hätte,“ und mehr dergleichen Fragen be-
kam ich zu hören, bis endlich eine junge Ruſſin Muth faßte,
zu koſten, und in Lobeserhebungen ausbrach. Einer nach dem
Andern folgte und bald war Alles einig darüber, daß ein
Miſchkrug der Art von Göttern getrunken und von Homer
beſungen zu werden verdiene. Es wurde der Beſchluß ge-
faßt, künftig nicht mehr abzuſprechen über Engländer und
reißende Thiere.

Einige Worte der Polemik mögen hier einer Begriffs-
verwechslung gewidmet werden, die ſchon viel Unheil in der
Touriſtenwelt angerichtet hat und deren Urſprung ſich viel-
leicht auf die alten Paßbeamten zurückführen läßt. Dieſe
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[92/0106] IV. Alpen- und Tigermilch. in Oſtindien beliebtes Getränk der Art führt den Namen „Tigermilch“; es wird bereitet, indem man der Milch Ma- deira oder Arak, ferner ein paar Eidotter, auf Citronenſchale abgeriebenen Zucker und ein wenig Cardamom oder Vanille zuſetzt. — In einer aus verſchiedenen Nationen gemiſchten Geſellſchaft, die ſich in einem ſchweizer Gaſthof zuſammen- gefunden hatte, war einſt die Rede auf engliſche Küche ge- kommen, und die anweſenden Franzoſen, Ruſſen und Deut- ſchen hatten einſtimmig den Stab über ſie gebrochen. An rohem Fleiſche, hieß es, könnten nur reißende Thiere Geſchmack finden, der Erfinder der Plumpuddings verdiente in ſeinen Rumſaucen zu brennen, und die Bereitung der Gemüſe in England ſei die unverhüllte Barbarei. Für den nächſten Tag war eine gemeinſame Partie nach einer benachbarten Sennhütte verabredet. Da kam mir der Einfall, die nöthigen Zuthaten zu jenem Getränk hinaufzuſchicken und oben ganz verſtohlen eine Bowle davon zu machen. Nach dem Kaffee wurde die Tigermilch aufgetragen und jeder Perſon eine Taſſe voll credenzt. Große Ueberraſchung. Man ſchien einen Schabernack zu vermuthen und Niemand wollte an- fangs verſuchen. „Ob ich dieſes neue Nahrungsmittel aus Indien mitgebracht, etwa condenſirt, oder ob ich es aus einer Menagerie bezogen hätte,“ und mehr dergleichen Fragen be- kam ich zu hören, bis endlich eine junge Ruſſin Muth faßte, zu koſten, und in Lobeserhebungen ausbrach. Einer nach dem Andern folgte und bald war Alles einig darüber, daß ein Miſchkrug der Art von Göttern getrunken und von Homer beſungen zu werden verdiene. Es wurde der Beſchluß ge- faßt, künftig nicht mehr abzuſprechen über Engländer und reißende Thiere. Einige Worte der Polemik mögen hier einer Begriffs- verwechslung gewidmet werden, die ſchon viel Unheil in der Touriſtenwelt angerichtet hat und deren Urſprung ſich viel- leicht auf die alten Paßbeamten zurückführen läßt. Dieſe vom heutigen freizügigen Geſchlecht nur noch wenig gekannte,

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/106>, abgerufen am 24.11.2024.