Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergessen von zehn Touristen neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen beruht diese statistische Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich sie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geschichtchen. Im Frühling 186[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber'- schen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer gemeinschaftlichen Besteigung des Vesuvs zusammen. Der Wagen nach Resina stand vor der Thür, unsren Imbiß von kaltem Geflügel hatten wir eben eingesteckt, am Schenktisch ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus saßen, dem herkömmlichen Speisesaal der Besteiger des Aschenkegels, in dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Besucher, zeigte sich, daß keiner von allen diesen cum grano salis war, und ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager schleckten, das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor- rath verdankten, mit dem Antrag, unser Salzmonopol nicht selbstsüchtig auszubeuten, sondern bedürftigen Nebenmenschen davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen Kreise ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige willkommene Bekanntschaften; die wenigen Messerspitzen Salz hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte sonst nur an einem Tische gemeinsam verzehrte Scheffel haben sollen. Seit der Zeit vergesse ich den Artikel nicht mehr.
Vor und während schweren Tagewerks viel zu trin- ken, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben- sowenig ist aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das entgegengesetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern so oft geschieht; denn allerdings schwitzt man bei strenger Ent- haltung und stoischer Ertragung des Durstes nicht leicht, doch keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers, welche hierdurch nur um so heißer und unbehaglicher werden, während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt sollten
IV. Cum grano salis — Veſuv — Durſt.
Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen von zehn Touriſten neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen. Im Frühling 186[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber’- ſchen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer gemeinſchaftlichen Beſteigung des Veſuvs zuſammen. Der Wagen nach Reſina ſtand vor der Thür, unſren Imbiß von kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte ſich, daß keiner von allen dieſen cum grano salis war, und ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten, das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor- rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr.
Vor und während ſchweren Tagewerks viel zu trin- ken, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben- ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent- haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers, welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden, während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt ſollten
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0103"n="89"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV. Cum grano salis</hi>—<placeName>Veſuv</placeName>— Durſt.</fw><lb/><p>Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen<lb/>
von zehn Touriſten neun, <hirendition="#g">Salz</hi> mitzunehmen. Auf Tabellen<lb/>
beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich<lb/>ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen.<lb/>
Im Frühling 186<gapreason="lost"unit="chars"quantity="1"/>. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber’-<lb/>ſchen Kaffeehaus in <placeName>Neapel</placeName> mit drei Anderen zum Zweck einer<lb/>
gemeinſchaftlichen Beſteigung des <placeName>Veſuvs</placeName> zuſammen. Der<lb/>
Wagen nach <placeName>Reſina</placeName>ſtand vor der Thür, unſren Imbiß von<lb/>
kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch<lb/>
ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder<lb/>
der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben<lb/>
in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem<lb/>
herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in<lb/>
dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte<lb/>ſich, daß keiner von allen dieſen <hirendition="#aq">cum grano salis</hi> war, und<lb/>
ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten,<lb/>
das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich<lb/>
mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor-<lb/>
rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht<lb/>ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen<lb/>
davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen<lb/>
Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige<lb/>
willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz<lb/>
hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte<lb/>ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben<lb/>ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr.</p><lb/><p>Vor und während ſchweren Tagewerks <hirendition="#g">viel zu trin-<lb/>
ken</hi>, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben-<lb/>ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das<lb/>
entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft<lb/>
geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent-<lb/>
haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch<lb/>
keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers,<lb/>
welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden,<lb/>
während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt ſollten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[89/0103]
IV. Cum grano salis — Veſuv — Durſt.
Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen
von zehn Touriſten neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen
beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich
ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen.
Im Frühling 186_. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber’-
ſchen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer
gemeinſchaftlichen Beſteigung des Veſuvs zuſammen. Der
Wagen nach Reſina ſtand vor der Thür, unſren Imbiß von
kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch
ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder
der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben
in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem
herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in
dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte
ſich, daß keiner von allen dieſen cum grano salis war, und
ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten,
das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich
mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor-
rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht
ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen
davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen
Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige
willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz
hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte
ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben
ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr.
Vor und während ſchweren Tagewerks viel zu trin-
ken, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben-
ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das
entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft
geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent-
haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch
keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers,
welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden,
während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt ſollten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/103>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.