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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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betrachtet, der durch Entziehung der allgemeinen Achtung bestraft
werden müsse. Der zweite Hauptgrundsatz der Saint-Simoni-
sten war daher: "Alles durch, Alles für den Gewerbfleiß." Der
König muß der erste Gewerbtreibende des Staats werden, sagte
Saint-Simon; und dadurch, daß er den Staat zum Leiter alles
Gewerbfleißes machte, wollte er die möglichst schnelle "Verbesse-
rung der zahlreichsten und ärmsten Klasse der Gesellschaft" herbei-
führen. Das wahre Christenthum, das "neue Christenthum," das
er predigte, bestand nach ihm darin, daß die Menschen nicht allein
im Himmel, sondern auf Erden glücklich gemacht würden. Die
zu lösende Aufgabe war nur die, wie jeder durch seine Arbeit
und durch seine Fähigkeiten zu diesem irdischen Glücke gelan-
gen könne.

Dieser Zusammenhang wurde besonders nach Saint-Simons
Tode von seinen Schülern genauer aufgesucht. Der Fähigste
unter Allen sollte der Vater sein, der also an die Stelle des
Königs oder Papstes trat, und dessen wichtigste Aufgabe die sein
sollte, allen anderen Fähigkeiten in der Gesellschaft ihren Platz zu
bestimmen, und danach die Arbeit und durch eigene dazu ein-
gerichtete Banken das gemeinsame Eigenthum zu vertheilen.
Mit dem Eigenthum als einem vom Vater auf den Sohn über-
gehenden Besitze hoben die Saint-Simonisten denn auch die Fa-
milie auf. Das Weib trat in der Lehre Enfantin's von ihrer
"Emancipation" als ein dem Manne gleiches Wesen auf, während
der Meister selbst nur sagte, die Frau muß Antheil am Völker-
leben haben. Wie schon bei den bisherigen Gemeinschaftslehrern,
war auch hier jeder Arbeiter ein Staatsdiener, und das Amt
wurde nun bei den Saint-Simonisten durch das Paar geübt,
dessen Mitglieder aber wechseln konnten, wodurch die Beständig-
keit der Ehe aufgehoben und die Freigebung des geschlechtlichen
Verhältnisses eingeführt werden sollte; und an dieser Lehre schei-
terte dann der Saint-Simonismus.

Wir können nicht läugnen, Saint-Simon hat; durch diese
Vertheilung des Ueberflusses der Müßigen an die bedürftigen Ar-
beiter, die gesellschaftliche Frage auf seine Weise gelöst. Alle Ar-
beitskräfte sind beschäftigt, sie erhalten den verdienten Lohn, die
unnützen Drohnen sind aus dem Kreise der fleißigen Bienen ent-

betrachtet, der durch Entziehung der allgemeinen Achtung beſtraft
werden müſſe. Der zweite Hauptgrundſatz der Saint-Simoni-
ſten war daher: „Alles durch, Alles für den Gewerbfleiß.‟ Der
König muß der erſte Gewerbtreibende des Staats werden, ſagte
Saint-Simon; und dadurch, daß er den Staat zum Leiter alles
Gewerbfleißes machte, wollte er die möglichſt ſchnelle „Verbeſſe-
rung der zahlreichſten und ärmſten Klaſſe der Geſellſchaft‟ herbei-
führen. Das wahre Chriſtenthum, das „neue Chriſtenthum,‟ das
er predigte, beſtand nach ihm darin, daß die Menſchen nicht allein
im Himmel, ſondern auf Erden glücklich gemacht würden. Die
zu löſende Aufgabe war nur die, wie jeder durch ſeine Arbeit
und durch ſeine Fähigkeiten zu dieſem irdiſchen Glücke gelan-
gen könne.

Dieſer Zuſammenhang wurde beſonders nach Saint-Simons
Tode von ſeinen Schülern genauer aufgeſucht. Der Fähigſte
unter Allen ſollte der Vater ſein, der alſo an die Stelle des
Königs oder Papſtes trat, und deſſen wichtigſte Aufgabe die ſein
ſollte, allen anderen Fähigkeiten in der Geſellſchaft ihren Platz zu
beſtimmen, und danach die Arbeit und durch eigene dazu ein-
gerichtete Banken das gemeinſame Eigenthum zu vertheilen.
Mit dem Eigenthum als einem vom Vater auf den Sohn über-
gehenden Beſitze hoben die Saint-Simoniſten denn auch die Fa-
milie auf. Das Weib trat in der Lehre Enfantin’s von ihrer
„Emancipation‟ als ein dem Manne gleiches Weſen auf, während
der Meiſter ſelbſt nur ſagte, die Frau muß Antheil am Völker-
leben haben. Wie ſchon bei den bisherigen Gemeinſchaftslehrern,
war auch hier jeder Arbeiter ein Staatsdiener, und das Amt
wurde nun bei den Saint-Simoniſten durch das Paar geübt,
deſſen Mitglieder aber wechſeln konnten, wodurch die Beſtändig-
keit der Ehe aufgehoben und die Freigebung des geſchlechtlichen
Verhältniſſes eingeführt werden ſollte; und an dieſer Lehre ſchei-
terte dann der Saint-Simonismus.

Wir können nicht läugnen, Saint-Simon hat; durch dieſe
Vertheilung des Ueberfluſſes der Müßigen an die bedürftigen Ar-
beiter, die geſellſchaftliche Frage auf ſeine Weiſe gelöſt. Alle Ar-
beitskräfte ſind beſchäftigt, ſie erhalten den verdienten Lohn, die
unnützen Drohnen ſind aus dem Kreiſe der fleißigen Bienen ent-

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[72/0082] betrachtet, der durch Entziehung der allgemeinen Achtung beſtraft werden müſſe. Der zweite Hauptgrundſatz der Saint-Simoni- ſten war daher: „Alles durch, Alles für den Gewerbfleiß.‟ Der König muß der erſte Gewerbtreibende des Staats werden, ſagte Saint-Simon; und dadurch, daß er den Staat zum Leiter alles Gewerbfleißes machte, wollte er die möglichſt ſchnelle „Verbeſſe- rung der zahlreichſten und ärmſten Klaſſe der Geſellſchaft‟ herbei- führen. Das wahre Chriſtenthum, das „neue Chriſtenthum,‟ das er predigte, beſtand nach ihm darin, daß die Menſchen nicht allein im Himmel, ſondern auf Erden glücklich gemacht würden. Die zu löſende Aufgabe war nur die, wie jeder durch ſeine Arbeit und durch ſeine Fähigkeiten zu dieſem irdiſchen Glücke gelan- gen könne. Dieſer Zuſammenhang wurde beſonders nach Saint-Simons Tode von ſeinen Schülern genauer aufgeſucht. Der Fähigſte unter Allen ſollte der Vater ſein, der alſo an die Stelle des Königs oder Papſtes trat, und deſſen wichtigſte Aufgabe die ſein ſollte, allen anderen Fähigkeiten in der Geſellſchaft ihren Platz zu beſtimmen, und danach die Arbeit und durch eigene dazu ein- gerichtete Banken das gemeinſame Eigenthum zu vertheilen. Mit dem Eigenthum als einem vom Vater auf den Sohn über- gehenden Beſitze hoben die Saint-Simoniſten denn auch die Fa- milie auf. Das Weib trat in der Lehre Enfantin’s von ihrer „Emancipation‟ als ein dem Manne gleiches Weſen auf, während der Meiſter ſelbſt nur ſagte, die Frau muß Antheil am Völker- leben haben. Wie ſchon bei den bisherigen Gemeinſchaftslehrern, war auch hier jeder Arbeiter ein Staatsdiener, und das Amt wurde nun bei den Saint-Simoniſten durch das Paar geübt, deſſen Mitglieder aber wechſeln konnten, wodurch die Beſtändig- keit der Ehe aufgehoben und die Freigebung des geſchlechtlichen Verhältniſſes eingeführt werden ſollte; und an dieſer Lehre ſchei- terte dann der Saint-Simonismus. Wir können nicht läugnen, Saint-Simon hat; durch dieſe Vertheilung des Ueberfluſſes der Müßigen an die bedürftigen Ar- beiter, die geſellſchaftliche Frage auf ſeine Weiſe gelöſt. Alle Ar- beitskräfte ſind beſchäftigt, ſie erhalten den verdienten Lohn, die unnützen Drohnen ſind aus dem Kreiſe der fleißigen Bienen ent-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/82>, abgerufen am 22.11.2024.