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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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linge aus Europa, aber der ungeheure Reichthum der Naturer-
zeugnisse genügt noch immer für diese steigende Bevölkerung; und
diese hat noch lange nicht die Höhe erreicht, wo sie wie in Eu-
ropa durch Ueberfülle Elend stiften könnte. Dem Credit und dem
Capital ist es daher dort noch nicht gelungen, den Arbeiter dienst-
bar zu machen und zu Grunde zu richten. Die Arbeit hat viel-
mehr bisher den Sieg davon getragen; und jene sind oft daran
zu Grunde gegangen. Der Arbeitslohn ist wegen der Seltenheit
der Hände daselbst sehr hoch. Jeder, der da nur arbeiten will,
findet Arbeit. Die Arbeit bezahlt sich selbst, weil Riemanden der
Boden fehlt. Amerika hat so in der Arbeit und Gleichheit sein
Glück gesucht. Jn Amerika schreiten Waaren-Erzeugung und Be-
völkerung gleichmäßig vorwärts. So hat dies Land sich weder
nach einem Jenseits der Erde, noch nach einem Jenseits der
Staatswirthschaft umzusehen brauchen, um das irdische Glück, das
Ziel der Staatswirthschaft, für Alle zu erreichen. Aber in man-
chen Theilen Amerika's beginnt bereits die Annäherung an
Europäische Verhältnisse. Jn den nördlichen Staaten, die
ohne Sklaverei sind, fängt das Fabrikwesen bereits an,
ein Proletariat zu erzeugen; der Arbeitslohn beginnt zu
sinken, und das Eigenthum, der Gott Amerika's, den jetzt noch
alle gleichmäßig erringen können, wird bald auch zu einem Vor-
recht eines Theils werden. Dann wird Amerika die Lösung der
gesellschaftlichen Frage auch bei sich versuchen müssen, wie es jetzt
diesseits das Weltmeeres geschieht.

Um diese Lösung möglich zu machen, sind nun in Europa
viele Lehren aufgestellt worden, welche an die Stelle eines jensei-
tigen Hirngespinnstes, an die Stelle einer Auswanderung nach einem
diesseitigen Jenseits ein diesseitiges Traumbild stellten, dabei aber
den Grundsatz der Volkswirthschaft, die Freiheit des Einzellebens,
weil es eben die Quelle aller Widersprüche war, an der Wurzel
verletzten. Das sind die unter dem Namen "Communismus" oder
"Socialismus" berüchtigt gewordenen Lehren. Die wahrhafte Lö-
sung muß jene freie Grundlage der Staatswirthschaft allerdings
im Auge behalten, zugleich aber nicht verkennen, was für eine
Wahrheit auch in diesen so verschrieenen Hirngespinnsten ent-
halten sei.

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linge aus Europa, aber der ungeheure Reichthum der Naturer-
zeugniſſe genügt noch immer für dieſe ſteigende Bevölkerung; und
dieſe hat noch lange nicht die Höhe erreicht, wo ſie wie in Eu-
ropa durch Ueberfülle Elend ſtiften könnte. Dem Credit und dem
Capital iſt es daher dort noch nicht gelungen, den Arbeiter dienſt-
bar zu machen und zu Grunde zu richten. Die Arbeit hat viel-
mehr bisher den Sieg davon getragen; und jene ſind oft daran
zu Grunde gegangen. Der Arbeitslohn iſt wegen der Seltenheit
der Hände daſelbſt ſehr hoch. Jeder, der da nur arbeiten will,
findet Arbeit. Die Arbeit bezahlt ſich ſelbſt, weil Riemanden der
Boden fehlt. Amerika hat ſo in der Arbeit und Gleichheit ſein
Glück geſucht. Jn Amerika ſchreiten Waaren-Erzeugung und Be-
völkerung gleichmäßig vorwärts. So hat dies Land ſich weder
nach einem Jenſeits der Erde, noch nach einem Jenſeits der
Staatswirthſchaft umzuſehen brauchen, um das irdiſche Glück, das
Ziel der Staatswirthſchaft, für Alle zu erreichen. Aber in man-
chen Theilen Amerika’s beginnt bereits die Annäherung an
Europäiſche Verhältniſſe. Jn den nördlichen Staaten, die
ohne Sklaverei ſind, fängt das Fabrikweſen bereits an,
ein Proletariat zu erzeugen; der Arbeitslohn beginnt zu
ſinken, und das Eigenthum, der Gott Amerika’s, den jetzt noch
alle gleichmäßig erringen können, wird bald auch zu einem Vor-
recht eines Theils werden. Dann wird Amerika die Löſung der
geſellſchaftlichen Frage auch bei ſich verſuchen müſſen, wie es jetzt
dieſſeits das Weltmeeres geſchieht.

Um dieſe Löſung möglich zu machen, ſind nun in Europa
viele Lehren aufgeſtellt worden, welche an die Stelle eines jenſei-
tigen Hirngeſpinnſtes, an die Stelle einer Auswanderung nach einem
dieſſeitigen Jenſeits ein dieſſeitiges Traumbild ſtellten, dabei aber
den Grundſatz der Volkswirthſchaft, die Freiheit des Einzellebens,
weil es eben die Quelle aller Widerſprüche war, an der Wurzel
verletzten. Das ſind die unter dem Namen „Communismus‟ oder
„Socialismus‟ berüchtigt gewordenen Lehren. Die wahrhafte Lö-
ſung muß jene freie Grundlage der Staatswirthſchaft allerdings
im Auge behalten, zugleich aber nicht verkennen, was für eine
Wahrheit auch in dieſen ſo verſchrieenen Hirngeſpinnſten ent-
halten ſei.

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[65/0075] linge aus Europa, aber der ungeheure Reichthum der Naturer- zeugniſſe genügt noch immer für dieſe ſteigende Bevölkerung; und dieſe hat noch lange nicht die Höhe erreicht, wo ſie wie in Eu- ropa durch Ueberfülle Elend ſtiften könnte. Dem Credit und dem Capital iſt es daher dort noch nicht gelungen, den Arbeiter dienſt- bar zu machen und zu Grunde zu richten. Die Arbeit hat viel- mehr bisher den Sieg davon getragen; und jene ſind oft daran zu Grunde gegangen. Der Arbeitslohn iſt wegen der Seltenheit der Hände daſelbſt ſehr hoch. Jeder, der da nur arbeiten will, findet Arbeit. Die Arbeit bezahlt ſich ſelbſt, weil Riemanden der Boden fehlt. Amerika hat ſo in der Arbeit und Gleichheit ſein Glück geſucht. Jn Amerika ſchreiten Waaren-Erzeugung und Be- völkerung gleichmäßig vorwärts. So hat dies Land ſich weder nach einem Jenſeits der Erde, noch nach einem Jenſeits der Staatswirthſchaft umzuſehen brauchen, um das irdiſche Glück, das Ziel der Staatswirthſchaft, für Alle zu erreichen. Aber in man- chen Theilen Amerika’s beginnt bereits die Annäherung an Europäiſche Verhältniſſe. Jn den nördlichen Staaten, die ohne Sklaverei ſind, fängt das Fabrikweſen bereits an, ein Proletariat zu erzeugen; der Arbeitslohn beginnt zu ſinken, und das Eigenthum, der Gott Amerika’s, den jetzt noch alle gleichmäßig erringen können, wird bald auch zu einem Vor- recht eines Theils werden. Dann wird Amerika die Löſung der geſellſchaftlichen Frage auch bei ſich verſuchen müſſen, wie es jetzt dieſſeits das Weltmeeres geſchieht. Um dieſe Löſung möglich zu machen, ſind nun in Europa viele Lehren aufgeſtellt worden, welche an die Stelle eines jenſei- tigen Hirngeſpinnſtes, an die Stelle einer Auswanderung nach einem dieſſeitigen Jenſeits ein dieſſeitiges Traumbild ſtellten, dabei aber den Grundſatz der Volkswirthſchaft, die Freiheit des Einzellebens, weil es eben die Quelle aller Widerſprüche war, an der Wurzel verletzten. Das ſind die unter dem Namen „Communismus‟ oder „Socialismus‟ berüchtigt gewordenen Lehren. Die wahrhafte Lö- ſung muß jene freie Grundlage der Staatswirthſchaft allerdings im Auge behalten, zugleich aber nicht verkennen, was für eine Wahrheit auch in dieſen ſo verſchrieenen Hirngeſpinnſten ent- halten ſei. 5

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/75>, abgerufen am 24.11.2024.