der gegenwärtigen, gesetzt. Die ganze Aufgabe, welche die Staats- wirthschaft zu lösen hat, ist, diesen Gegensatz verschwinden zu machen: Alle sollen Sparer, Alle sollen Eigenthümer werden, Begüterte und Unbegüterte nicht mehr in ewigem Kampfe gegen einander bleiben. Die Frage ist nur, wie das zu machen? Die Formen der Arbeit haben wir hererzählt: Theilung der Arbeit, Maschinen, Concurrenz, Monopol, Steuer, freien Handel, Credit. Wenn alle diese Erleichterungen der Arbeit die Mittel des Reich- thums erzeugten, so erzeugten diese Mittel wieder neues Elend, weil die Arbeit falsch gegliedert war. Aller Vortheil schlug nur für die Begüterten, der Nachtheil für die Besitzlosen aus. Für jene wurde der Wohlstand immer größer, für diese die Arbeit; und so geräth, wie ein großer Denker sagt, die bürgerliche Ge- sellschaft, bei dem größten Reichthum und dem größten Ueberfluß, in den größten Mangel und die größte Armuth. Unsere Arbeit macht unsere Dürftigkeit immer dürftiger. Von Formel zu For- mel, von Einrichtung zu Einrichtung sucht die Gesellschaft jenes Gleichgewicht, das ihr immer entgeht, und bei jedem neuen Ver- suche ihren Luxus und ihr Elend gleichmäßig steigert.
Wir enden mit dem vollständigen Widerspruche. Die Noth- wendigkeit des Elends auf dieser Erde scheint unzweifelhaft. Und die Diener der Religion wollen an die Stelle der Lehrer der Staatswirthschaft treten, um die Lösung des Widerspruchs ins Jenseit zu verlegen, da sie diesseits sich nicht auffinden lassen will. Der Stoicismus hat zwar noch ein diesseitiges Jen- seits: nämlich die innere Zufriedenheit, die dem Menschen unent- reißbar sei, wenn er auch von äußerem Unglück überall betroffen wird. Aber das Proletariat, den Hunger kennt das Alterthum nicht; die Arbeit war an Sklaven vertheilt, welche von ihren Herren schon aus deren eigenem Vortheil gut ernährt wurden, damit diese nicht an ihrem Eigenthum, der Arbeitskraft des Skla- ven, Schaden litten. Auch im Mittelalter hatten die geschlossenen Zünfte und der Zufluchtsort der Klöster jenen Erbfeind der Menschheit zu entfernen gewußt. Nachdem aber in den letzten Jahrhunderten die Selbstständigkeit des Einzelnen an die Spitze der Europäischen Bildung gestellt und die Staatswirthschaft ge- gründet worden war, ist die eigene Sorge eines Jeden für seine
der gegenwärtigen, geſetzt. Die ganze Aufgabe, welche die Staats- wirthſchaft zu löſen hat, iſt, dieſen Gegenſatz verſchwinden zu machen: Alle ſollen Sparer, Alle ſollen Eigenthümer werden, Begüterte und Unbegüterte nicht mehr in ewigem Kampfe gegen einander bleiben. Die Frage iſt nur, wie das zu machen? Die Formen der Arbeit haben wir hererzählt: Theilung der Arbeit, Maſchinen, Concurrenz, Monopol, Steuer, freien Handel, Credit. Wenn alle dieſe Erleichterungen der Arbeit die Mittel des Reich- thums erzeugten, ſo erzeugten dieſe Mittel wieder neues Elend, weil die Arbeit falſch gegliedert war. Aller Vortheil ſchlug nur für die Begüterten, der Nachtheil für die Beſitzloſen aus. Für jene wurde der Wohlſtand immer größer, für dieſe die Arbeit; und ſo geräth, wie ein großer Denker ſagt, die bürgerliche Ge- ſellſchaft, bei dem größten Reichthum und dem größten Ueberfluß, in den größten Mangel und die größte Armuth. Unſere Arbeit macht unſere Dürftigkeit immer dürftiger. Von Formel zu For- mel, von Einrichtung zu Einrichtung ſucht die Geſellſchaft jenes Gleichgewicht, das ihr immer entgeht, und bei jedem neuen Ver- ſuche ihren Luxus und ihr Elend gleichmäßig ſteigert.
Wir enden mit dem vollſtändigen Widerſpruche. Die Noth- wendigkeit des Elends auf dieſer Erde ſcheint unzweifelhaft. Und die Diener der Religion wollen an die Stelle der Lehrer der Staatswirthſchaft treten, um die Löſung des Widerſpruchs ins Jenſeit zu verlegen, da ſie dieſſeits ſich nicht auffinden laſſen will. Der Stoicismus hat zwar noch ein dieſſeitiges Jen- ſeits: nämlich die innere Zufriedenheit, die dem Menſchen unent- reißbar ſei, wenn er auch von äußerem Unglück überall betroffen wird. Aber das Proletariat, den Hunger kennt das Alterthum nicht; die Arbeit war an Sklaven vertheilt, welche von ihren Herren ſchon aus deren eigenem Vortheil gut ernährt wurden, damit dieſe nicht an ihrem Eigenthum, der Arbeitskraft des Skla- ven, Schaden litten. Auch im Mittelalter hatten die geſchloſſenen Zünfte und der Zufluchtsort der Klöſter jenen Erbfeind der Menſchheit zu entfernen gewußt. Nachdem aber in den letzten Jahrhunderten die Selbſtſtändigkeit des Einzelnen an die Spitze der Europäiſchen Bildung geſtellt und die Staatswirthſchaft ge- gründet worden war, iſt die eigene Sorge eines Jeden für ſeine
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der gegenwärtigen, geſetzt. Die ganze Aufgabe, welche die Staats-
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machen: Alle ſollen Sparer, Alle ſollen Eigenthümer werden,
Begüterte und Unbegüterte nicht mehr in ewigem Kampfe gegen
einander bleiben. Die Frage iſt nur, wie das zu machen? Die
Formen der Arbeit haben wir hererzählt: Theilung der Arbeit,
Maſchinen, Concurrenz, Monopol, Steuer, freien Handel, Credit.
Wenn alle dieſe Erleichterungen der Arbeit die Mittel des Reich-
thums erzeugten, ſo erzeugten dieſe Mittel wieder neues Elend,
weil die Arbeit falſch gegliedert war. Aller Vortheil ſchlug nur
für die Begüterten, der Nachtheil für die Beſitzloſen aus. Für
jene wurde der Wohlſtand immer größer, für dieſe die Arbeit;
und ſo geräth, wie ein großer Denker ſagt, die bürgerliche Ge-
ſellſchaft, bei dem größten Reichthum und dem größten Ueberfluß,
in den größten Mangel und die größte Armuth. Unſere Arbeit
macht unſere Dürftigkeit immer dürftiger. Von Formel zu For-
mel, von Einrichtung zu Einrichtung ſucht die Geſellſchaft jenes
Gleichgewicht, das ihr immer entgeht, und bei jedem neuen Ver-
ſuche ihren Luxus und ihr Elend gleichmäßig ſteigert.
Wir enden mit dem vollſtändigen Widerſpruche. Die Noth-
wendigkeit des Elends auf dieſer Erde ſcheint unzweifelhaft. Und
die Diener der Religion wollen an die Stelle der Lehrer der
Staatswirthſchaft treten, um die Löſung des Widerſpruchs
ins Jenſeit zu verlegen, da ſie dieſſeits ſich nicht auffinden
laſſen will. Der Stoicismus hat zwar noch ein dieſſeitiges Jen-
ſeits: nämlich die innere Zufriedenheit, die dem Menſchen unent-
reißbar ſei, wenn er auch von äußerem Unglück überall betroffen
wird. Aber das Proletariat, den Hunger kennt das Alterthum
nicht; die Arbeit war an Sklaven vertheilt, welche von ihren
Herren ſchon aus deren eigenem Vortheil gut ernährt wurden,
damit dieſe nicht an ihrem Eigenthum, der Arbeitskraft des Skla-
ven, Schaden litten. Auch im Mittelalter hatten die geſchloſſenen
Zünfte und der Zufluchtsort der Klöſter jenen Erbfeind der
Menſchheit zu entfernen gewußt. Nachdem aber in den letzten
Jahrhunderten die Selbſtſtändigkeit des Einzelnen an die Spitze
der Europäiſchen Bildung geſtellt und die Staatswirthſchaft ge-
gründet worden war, iſt die eigene Sorge eines Jeden für ſeine
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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/73>, abgerufen am 16.02.2025.
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