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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Erzeugniß gegen Erzeugniß getauscht werden, weil ich nur so viel
kaufen kann, als ich verkaufe. Jede Waare hat nach dem Grade
ihrer Brauchbarkeit einen bestimmten Nutzwerth. Es ist aber sehr
die Frage, ob der, welchem ich sie anbiete, um durch Tausch meine
Bedürfnisse befriedigen zu können, sie auch braucht. Mit andern
Worten: ob der Tauschwerth auch so groß ist, als der Nutzwerth.
Jst dies nicht der Fall, so kann ich beim größten Reichthum ver-
hungern, wenn meine Waare keine Abnehmer findet. Wenn also
im einsiedlerischen Leben die Arbeit immer genügt, um mir Genuß
zu verschaffen, so ist das im gesellschaftlichen Leben nicht immer
so. Jch arbeite vielleicht, ohne daß meine Arbeit einen Erfolg
habe, ohne daß für meine Arbeit mir ein entsprechender Er-
werb werde.

Aber es ist noch eine dritte Frage vorhanden. Wie sich eine
Arbeit denken läßt, auf die kein Erwerb folgt, so läßt sich auch
eine Arbeit denken, der kein Eigenthum vorhergeht. Wo alles
Eigenthum in einem ausgebildeten Gemeinwesen schon ergriffen
ist, da kann bei steigender Bevölkerung sich eine große Anzahl Ein-
wohner bilden, und sie bildet sich, die besitzlos ist. Man nennt
sie "Proletarier," von dem lateinischen Ausdruck proles, die Nach-
kommenschaft, gewissermaßen weil sie blos ihre Nachkommenschaft
als das Jhrige wissen. Es sind die Männer der eigentlichen Ar-
beit. Sie bearbeiten die Roh-Erzeugnisse, welche ihnen die
Eigenthümer liefern, und erhalten dafür von diesen einen entspre-
chenden Lohn. Vom gelösten Tauschwerth der Waare erhält also
Arbeiter und Eigenthümer jeder einen Theil. Der Arbeiter ist
indessen auch Eigenthümer. Seine Arbeitskraft ist sein Eigen-
thum; ja man hat gesagt, die Arbeit ist das mächtigste Capital:
ein Vorschuß, den der Mensch der Natur macht, ehe sie ihn be-
zahlt. Wenn nun aber zu viel Arbeitskräfte vorhanden sind, sie
also nicht alle gebraucht werden, dann tritt für dies Eigenthum
derselbe Fall ein, den wir vorhin bei den Waaren sahen. Der
Tauschwerth entspricht dem Nutzwerth nicht; und der Arbeiter
kann seine Bedürfnisse nicht befriedigen, weil er sein Eigenthum
nicht verwerthen kann. Zu diesem Aeußersten der Männer, die
ohne Besitz, Arbeit und Erwerb sind, bilden, nach der Eintheilung
eines bekannten hiesigen Volksschriftstellers, diejenigen das andere

Erzeugniß gegen Erzeugniß getauſcht werden, weil ich nur ſo viel
kaufen kann, als ich verkaufe. Jede Waare hat nach dem Grade
ihrer Brauchbarkeit einen beſtimmten Nutzwerth. Es iſt aber ſehr
die Frage, ob der, welchem ich ſie anbiete, um durch Tauſch meine
Bedürfniſſe befriedigen zu können, ſie auch braucht. Mit andern
Worten: ob der Tauſchwerth auch ſo groß iſt, als der Nutzwerth.
Jſt dies nicht der Fall, ſo kann ich beim größten Reichthum ver-
hungern, wenn meine Waare keine Abnehmer findet. Wenn alſo
im einſiedleriſchen Leben die Arbeit immer genügt, um mir Genuß
zu verſchaffen, ſo iſt das im geſellſchaftlichen Leben nicht immer
ſo. Jch arbeite vielleicht, ohne daß meine Arbeit einen Erfolg
habe, ohne daß für meine Arbeit mir ein entſprechender Er-
werb werde.

Aber es iſt noch eine dritte Frage vorhanden. Wie ſich eine
Arbeit denken läßt, auf die kein Erwerb folgt, ſo läßt ſich auch
eine Arbeit denken, der kein Eigenthum vorhergeht. Wo alles
Eigenthum in einem ausgebildeten Gemeinweſen ſchon ergriffen
iſt, da kann bei ſteigender Bevölkerung ſich eine große Anzahl Ein-
wohner bilden, und ſie bildet ſich, die beſitzlos iſt. Man nennt
ſie „Proletarier,‟ von dem lateiniſchen Ausdruck proles, die Nach-
kommenſchaft, gewiſſermaßen weil ſie blos ihre Nachkommenſchaft
als das Jhrige wiſſen. Es ſind die Männer der eigentlichen Ar-
beit. Sie bearbeiten die Roh-Erzeugniſſe, welche ihnen die
Eigenthümer liefern, und erhalten dafür von dieſen einen entſpre-
chenden Lohn. Vom gelöſten Tauſchwerth der Waare erhält alſo
Arbeiter und Eigenthümer jeder einen Theil. Der Arbeiter iſt
indeſſen auch Eigenthümer. Seine Arbeitskraft iſt ſein Eigen-
thum; ja man hat geſagt, die Arbeit iſt das mächtigſte Capital:
ein Vorſchuß, den der Menſch der Natur macht, ehe ſie ihn be-
zahlt. Wenn nun aber zu viel Arbeitskräfte vorhanden ſind, ſie
alſo nicht alle gebraucht werden, dann tritt für dies Eigenthum
derſelbe Fall ein, den wir vorhin bei den Waaren ſahen. Der
Tauſchwerth entſpricht dem Nutzwerth nicht; und der Arbeiter
kann ſeine Bedürfniſſe nicht befriedigen, weil er ſein Eigenthum
nicht verwerthen kann. Zu dieſem Aeußerſten der Männer, die
ohne Beſitz, Arbeit und Erwerb ſind, bilden, nach der Eintheilung
eines bekannten hieſigen Volksſchriftſtellers, diejenigen das andere

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[45/0055] Erzeugniß gegen Erzeugniß getauſcht werden, weil ich nur ſo viel kaufen kann, als ich verkaufe. Jede Waare hat nach dem Grade ihrer Brauchbarkeit einen beſtimmten Nutzwerth. Es iſt aber ſehr die Frage, ob der, welchem ich ſie anbiete, um durch Tauſch meine Bedürfniſſe befriedigen zu können, ſie auch braucht. Mit andern Worten: ob der Tauſchwerth auch ſo groß iſt, als der Nutzwerth. Jſt dies nicht der Fall, ſo kann ich beim größten Reichthum ver- hungern, wenn meine Waare keine Abnehmer findet. Wenn alſo im einſiedleriſchen Leben die Arbeit immer genügt, um mir Genuß zu verſchaffen, ſo iſt das im geſellſchaftlichen Leben nicht immer ſo. Jch arbeite vielleicht, ohne daß meine Arbeit einen Erfolg habe, ohne daß für meine Arbeit mir ein entſprechender Er- werb werde. Aber es iſt noch eine dritte Frage vorhanden. Wie ſich eine Arbeit denken läßt, auf die kein Erwerb folgt, ſo läßt ſich auch eine Arbeit denken, der kein Eigenthum vorhergeht. Wo alles Eigenthum in einem ausgebildeten Gemeinweſen ſchon ergriffen iſt, da kann bei ſteigender Bevölkerung ſich eine große Anzahl Ein- wohner bilden, und ſie bildet ſich, die beſitzlos iſt. Man nennt ſie „Proletarier,‟ von dem lateiniſchen Ausdruck proles, die Nach- kommenſchaft, gewiſſermaßen weil ſie blos ihre Nachkommenſchaft als das Jhrige wiſſen. Es ſind die Männer der eigentlichen Ar- beit. Sie bearbeiten die Roh-Erzeugniſſe, welche ihnen die Eigenthümer liefern, und erhalten dafür von dieſen einen entſpre- chenden Lohn. Vom gelöſten Tauſchwerth der Waare erhält alſo Arbeiter und Eigenthümer jeder einen Theil. Der Arbeiter iſt indeſſen auch Eigenthümer. Seine Arbeitskraft iſt ſein Eigen- thum; ja man hat geſagt, die Arbeit iſt das mächtigſte Capital: ein Vorſchuß, den der Menſch der Natur macht, ehe ſie ihn be- zahlt. Wenn nun aber zu viel Arbeitskräfte vorhanden ſind, ſie alſo nicht alle gebraucht werden, dann tritt für dies Eigenthum derſelbe Fall ein, den wir vorhin bei den Waaren ſahen. Der Tauſchwerth entſpricht dem Nutzwerth nicht; und der Arbeiter kann ſeine Bedürfniſſe nicht befriedigen, weil er ſein Eigenthum nicht verwerthen kann. Zu dieſem Aeußerſten der Männer, die ohne Beſitz, Arbeit und Erwerb ſind, bilden, nach der Eintheilung eines bekannten hieſigen Volksſchriftſtellers, diejenigen das andere

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/55>, abgerufen am 28.11.2024.