auf Monate und nach Memel unter den Schutz russischer Bajonette verlegt werden.
Nun aber kommt die letzte That der Versammlung, die ein- zige, die nicht rechtskräftig geworden ist, da sie nicht, wie die vor- hergehenden Dringlichkeitsanträge, in der Sitzung vom 14. im Saale der Stadtverordneten, zweimal, sondern nur einmal ange- nommen wurde, -- die Steuerverweigerung vom 15. November, oder vielmehr nur der Ausspruch, daß "das Ministerium Bran- denburg nicht berechtigt sei, Steuern zu erheben und Staats- gelder zu verwenden, bis die hohe National-Versammlung wieder in Berlin in Sicherheit ihre Pflichten erfüllen kann." Auch dieser Beschluß, obgleich er eine geringere Mehrheit hatte, ist immer noch von einer beschlußfähigen Mehrheit, von 226 gegen- wärtigen Mitgliedern gefaßt worden. Dieser Beschluß ist eigent- lich eine sich von selbst verstehende Folge der Anklage gegen die Minister. Denn der Minister, dessen von der Krone bewilligte Verantwortlichkeit von der Volksvertretung in Anspruch genom- men worden ist, darf nicht mehr der Verwaltung vorstehen. Es ist das Aeußerste, bis wohin die Volksvertretung auf dem Wege des gesetzlichen, leidenden Widerstands, den sie vom Lande ver- langte, selbst gegangen ist. Nichts Ungesetzliches zu thun, hatte sie sich aufs Feierlichste vorgenommen, aber auch das Gesetzliche ganz und vollständig. Hingedrängt wurde sie aber zu diesem Aeußersten der gesetzlich ihr zustehenden Mittel, theils dadurch, daß schon viele Ansprachen es verlangt hatten, theils durch die äußerste Gewaltthat des Ministeriums, welches endlich die ganze Versammlung mit Bajonetten auseinander trieb, während bisher nur einzelne Beamte und Mitglieder derselben angegriffen worden waren. Der Vorsitzer wollte schon die Sitzung aufheben, bevor ein Beschluß gefaßt war. Aber die ganze Versammlung, die beschluß- fähige Mehrheit, eingedenk der Worte Mirabeau's: "Sag' dei- nem Herrn, wir sitzen hier Kraft des Volkswillens, und werden nur den Bajonetten weichen;" -- ja mehr als Mirabeau, 226 Mirabeau riefen aus: "Wir weichen nicht einmal den Bajonet- ten." Die Erbitterung über diese äußerste Rechtsverletzung -- zum Theil auch wohl die Weigerung des Staatsanwalts, die An- klage einzuleiten -- ließ sie zu diesem Aeußersten ihrer Rechte
auf Monate und nach Memel unter den Schutz ruſſiſcher Bajonette verlegt werden.
Nun aber kommt die letzte That der Verſammlung, die ein- zige, die nicht rechtskräftig geworden iſt, da ſie nicht, wie die vor- hergehenden Dringlichkeitsanträge, in der Sitzung vom 14. im Saale der Stadtverordneten, zweimal, ſondern nur einmal ange- nommen wurde, — die Steuerverweigerung vom 15. November, oder vielmehr nur der Ausſpruch, daß „das Miniſterium Bran- denburg nicht berechtigt ſei, Steuern zu erheben und Staats- gelder zu verwenden, bis die hohe National-Verſammlung wieder in Berlin in Sicherheit ihre Pflichten erfüllen kann.‟ Auch dieſer Beſchluß, obgleich er eine geringere Mehrheit hatte, iſt immer noch von einer beſchlußfähigen Mehrheit, von 226 gegen- wärtigen Mitgliedern gefaßt worden. Dieſer Beſchluß iſt eigent- lich eine ſich von ſelbſt verſtehende Folge der Anklage gegen die Miniſter. Denn der Miniſter, deſſen von der Krone bewilligte Verantwortlichkeit von der Volksvertretung in Anſpruch genom- men worden iſt, darf nicht mehr der Verwaltung vorſtehen. Es iſt das Aeußerſte, bis wohin die Volksvertretung auf dem Wege des geſetzlichen, leidenden Widerſtands, den ſie vom Lande ver- langte, ſelbſt gegangen iſt. Nichts Ungeſetzliches zu thun, hatte ſie ſich aufs Feierlichſte vorgenommen, aber auch das Geſetzliche ganz und vollſtändig. Hingedrängt wurde ſie aber zu dieſem Aeußerſten der geſetzlich ihr zuſtehenden Mittel, theils dadurch, daß ſchon viele Anſprachen es verlangt hatten, theils durch die äußerſte Gewaltthat des Miniſteriums, welches endlich die ganze Verſammlung mit Bajonetten auseinander trieb, während bisher nur einzelne Beamte und Mitglieder derſelben angegriffen worden waren. Der Vorſitzer wollte ſchon die Sitzung aufheben, bevor ein Beſchluß gefaßt war. Aber die ganze Verſammlung, die beſchluß- fähige Mehrheit, eingedenk der Worte Mirabeau’s: „Sag’ dei- nem Herrn, wir ſitzen hier Kraft des Volkswillens, und werden nur den Bajonetten weichen;‟ — ja mehr als Mirabeau, 226 Mirabeau riefen aus: „Wir weichen nicht einmal den Bajonet- ten.‟ Die Erbitterung über dieſe äußerſte Rechtsverletzung — zum Theil auch wohl die Weigerung des Staatsanwalts, die An- klage einzuleiten — ließ ſie zu dieſem Aeußerſten ihrer Rechte
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auf Monate und nach Memel unter den Schutz ruſſiſcher Bajonette
verlegt werden.
Nun aber kommt die letzte That der Verſammlung, die ein-
zige, die nicht rechtskräftig geworden iſt, da ſie nicht, wie die vor-
hergehenden Dringlichkeitsanträge, in der Sitzung vom 14. im
Saale der Stadtverordneten, zweimal, ſondern nur einmal ange-
nommen wurde, — die Steuerverweigerung vom 15. November,
oder vielmehr nur der Ausſpruch, daß „das Miniſterium Bran-
denburg nicht berechtigt ſei, Steuern zu erheben und Staats-
gelder zu verwenden, bis die hohe National-Verſammlung wieder
in Berlin in Sicherheit ihre Pflichten erfüllen kann.‟ Auch
dieſer Beſchluß, obgleich er eine geringere Mehrheit hatte, iſt
immer noch von einer beſchlußfähigen Mehrheit, von 226 gegen-
wärtigen Mitgliedern gefaßt worden. Dieſer Beſchluß iſt eigent-
lich eine ſich von ſelbſt verſtehende Folge der Anklage gegen die
Miniſter. Denn der Miniſter, deſſen von der Krone bewilligte
Verantwortlichkeit von der Volksvertretung in Anſpruch genom-
men worden iſt, darf nicht mehr der Verwaltung vorſtehen. Es
iſt das Aeußerſte, bis wohin die Volksvertretung auf dem Wege
des geſetzlichen, leidenden Widerſtands, den ſie vom Lande ver-
langte, ſelbſt gegangen iſt. Nichts Ungeſetzliches zu thun, hatte
ſie ſich aufs Feierlichſte vorgenommen, aber auch das Geſetzliche
ganz und vollſtändig. Hingedrängt wurde ſie aber zu dieſem
Aeußerſten der geſetzlich ihr zuſtehenden Mittel, theils dadurch,
daß ſchon viele Anſprachen es verlangt hatten, theils durch die
äußerſte Gewaltthat des Miniſteriums, welches endlich die ganze
Verſammlung mit Bajonetten auseinander trieb, während bisher
nur einzelne Beamte und Mitglieder derſelben angegriffen worden
waren. Der Vorſitzer wollte ſchon die Sitzung aufheben, bevor ein
Beſchluß gefaßt war. Aber die ganze Verſammlung, die beſchluß-
fähige Mehrheit, eingedenk der Worte Mirabeau’s: „Sag’ dei-
nem Herrn, wir ſitzen hier Kraft des Volkswillens, und werden
nur den Bajonetten weichen;‟ — ja mehr als Mirabeau, 226
Mirabeau riefen aus: „Wir weichen nicht einmal den Bajonet-
ten.‟ Die Erbitterung über dieſe äußerſte Rechtsverletzung —
zum Theil auch wohl die Weigerung des Staatsanwalts, die An-
klage einzuleiten — ließ ſie zu dieſem Aeußerſten ihrer Rechte
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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/28>, abgerufen am 16.07.2024.
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