Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

rerischer Auftritte in der Hauptstadt zu verhindern, als das von
den Ministern ergriffene, welches ich für ein sehr gefährliches
halte. Und jemehr sich nun das Volk und seine Vertreter auf
den Boden des Rechts zurückzogen, desto mehr ließ sich die Ver-
waltung zu immer größeren Gewaltmaßregeln fortreißen, ohne
ihnen durch einen thätigen Widerstand der Massen eine scheinbare
Rechtfertigung gewähren zu können. "Der Kampf," sagt Herr
von Unruh, "mit der entfesselten öffentlichen Meinung beginnt;
der gefährliche Kampf zwischen Krone und Volk, der Schein-Con-
stitutionalismus, die Mutter der Revolutionen, der Vorläufer der
Republik tritt ein."

Die Verfassungsgründende Versammlung, welche am 11. No-
vember das Schauspielhaus verschlossen fand, hielt an dem Tage
Sitzungen im Hotel de Russie und im Schützenhause, und er-
klärte die Auflösung der Bürgerwehr für eine ungesetzliche Maß-
regel. Am 12. erneuerte sie die Wahl ihres Vorsitzers. Die
Zustimmungs-Ansprachen, darunter mehrere von deutschen Stände-
Versammlungen, häuften sich immer mehr. Die bewaffnete Schützen-
Gilde hatten die Versammlung unter ihren Schutz genommen,
nachdem auch die Stadtverordneten von Berlin ihr ihren Sitzungs-
saal angeboten hatten. Eine waffenlose Versammlung, die für
ihr gutes Recht Verwahrung einlegte, war immer kein Aufruhr
noch weniger ein Kriegszustand; wodurch allein ein Belagerungs-
zustand gerechtfertigt erscheint. Aber Berlin war doch nun ein-
mal sein Belagerungszustand zugedacht, wie Paris, Frankfurt und
Wien ihn bekommen hatte. Und die Minister ließen ihn am
Abend des 12. November verkünden. Die Volksvertretung er-
klärte ihn in einer Abendsitzung für ungesetzlich. Die Minister
der Preußischen Krone aber erklärten der friedlichen Hauptstadt
der Erblande den Krieg. Der Belagerungszustand kann doch
höchstens den Sinn haben, einen Aufruhr zu unterdrücken. Wird
aber ein gefürchteter schon dazu benutzt, den Belagerungszustand
auszusprechen, dann liegt es überhaupt in der Willkür jedes Mi-
nisteriums, alle Volksfreiheiten so lange aufzuheben, als ihm be-
liebt. Der Belagerungszustand war auch offenbar nur ein Vor-
wand, die Presse zu beschränken, das Versammlungs- und Ver-
einsrecht aufzuheben, den "Klub-Unruh," wie die Rückschritts-

reriſcher Auftritte in der Hauptſtadt zu verhindern, als das von
den Miniſtern ergriffene, welches ich für ein ſehr gefährliches
halte. Und jemehr ſich nun das Volk und ſeine Vertreter auf
den Boden des Rechts zurückzogen, deſto mehr ließ ſich die Ver-
waltung zu immer größeren Gewaltmaßregeln fortreißen, ohne
ihnen durch einen thätigen Widerſtand der Maſſen eine ſcheinbare
Rechtfertigung gewähren zu können. „Der Kampf,‟ ſagt Herr
von Unruh, „mit der entfeſſelten öffentlichen Meinung beginnt;
der gefährliche Kampf zwiſchen Krone und Volk, der Schein-Con-
ſtitutionalismus, die Mutter der Revolutionen, der Vorläufer der
Republik tritt ein.‟

Die Verfaſſungsgründende Verſammlung, welche am 11. No-
vember das Schauſpielhaus verſchloſſen fand, hielt an dem Tage
Sitzungen im Hotel de Ruſſie und im Schützenhauſe, und er-
klärte die Auflöſung der Bürgerwehr für eine ungeſetzliche Maß-
regel. Am 12. erneuerte ſie die Wahl ihres Vorſitzers. Die
Zuſtimmungs-Anſprachen, darunter mehrere von deutſchen Stände-
Verſammlungen, häuften ſich immer mehr. Die bewaffnete Schützen-
Gilde hatten die Verſammlung unter ihren Schutz genommen,
nachdem auch die Stadtverordneten von Berlin ihr ihren Sitzungs-
ſaal angeboten hatten. Eine waffenloſe Verſammlung, die für
ihr gutes Recht Verwahrung einlegte, war immer kein Aufruhr
noch weniger ein Kriegszuſtand; wodurch allein ein Belagerungs-
zuſtand gerechtfertigt erſcheint. Aber Berlin war doch nun ein-
mal ſein Belagerungszuſtand zugedacht, wie Paris, Frankfurt und
Wien ihn bekommen hatte. Und die Miniſter ließen ihn am
Abend des 12. November verkünden. Die Volksvertretung er-
klärte ihn in einer Abendſitzung für ungeſetzlich. Die Miniſter
der Preußiſchen Krone aber erklärten der friedlichen Hauptſtadt
der Erblande den Krieg. Der Belagerungszuſtand kann doch
höchſtens den Sinn haben, einen Aufruhr zu unterdrücken. Wird
aber ein gefürchteter ſchon dazu benutzt, den Belagerungszuſtand
auszuſprechen, dann liegt es überhaupt in der Willkür jedes Mi-
niſteriums, alle Volksfreiheiten ſo lange aufzuheben, als ihm be-
liebt. Der Belagerungszuſtand war auch offenbar nur ein Vor-
wand, die Preſſe zu beſchränken, das Verſammlungs- und Ver-
einsrecht aufzuheben, den „Klub-Unruh,‟ wie die Rückſchritts-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="15"/>
reri&#x017F;cher Auftritte in der Haupt&#x017F;tadt zu verhindern, als das von<lb/>
den Mini&#x017F;tern ergriffene, welches ich für ein &#x017F;ehr gefährliches<lb/>
halte. Und jemehr &#x017F;ich nun das Volk und &#x017F;eine Vertreter auf<lb/>
den Boden des Rechts zurückzogen, de&#x017F;to mehr ließ &#x017F;ich die Ver-<lb/>
waltung zu immer größeren Gewaltmaßregeln fortreißen, ohne<lb/>
ihnen durch einen thätigen Wider&#x017F;tand der Ma&#x017F;&#x017F;en eine &#x017F;cheinbare<lb/>
Rechtfertigung gewähren zu können. &#x201E;Der Kampf,&#x201F; &#x017F;agt Herr<lb/>
von <hi rendition="#g">Unruh,</hi> &#x201E;mit der entfe&#x017F;&#x017F;elten öffentlichen Meinung beginnt;<lb/>
der gefährliche Kampf zwi&#x017F;chen Krone und Volk, der Schein-Con-<lb/>
&#x017F;titutionalismus, die Mutter der Revolutionen, der Vorläufer der<lb/>
Republik tritt ein.&#x201F;</p><lb/>
        <p>Die Verfa&#x017F;&#x017F;ungsgründende Ver&#x017F;ammlung, welche am 11. No-<lb/>
vember das Schau&#x017F;pielhaus ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en fand, hielt an dem Tage<lb/>
Sitzungen im Hotel de Ru&#x017F;&#x017F;ie und im Schützenhau&#x017F;e, und er-<lb/>
klärte die Auflö&#x017F;ung der Bürgerwehr für eine unge&#x017F;etzliche Maß-<lb/>
regel. Am 12. erneuerte &#x017F;ie die Wahl ihres Vor&#x017F;itzers. Die<lb/>
Zu&#x017F;timmungs-An&#x017F;prachen, darunter mehrere von deut&#x017F;chen Stände-<lb/>
Ver&#x017F;ammlungen, häuften &#x017F;ich immer mehr. Die bewaffnete Schützen-<lb/>
Gilde hatten die Ver&#x017F;ammlung unter ihren Schutz genommen,<lb/>
nachdem auch die Stadtverordneten von Berlin ihr ihren Sitzungs-<lb/>
&#x017F;aal angeboten hatten. Eine waffenlo&#x017F;e Ver&#x017F;ammlung, die für<lb/>
ihr gutes Recht Verwahrung einlegte, war immer kein Aufruhr<lb/>
noch weniger ein Kriegszu&#x017F;tand; wodurch allein ein Belagerungs-<lb/>
zu&#x017F;tand gerechtfertigt er&#x017F;cheint. Aber Berlin war doch nun ein-<lb/>
mal &#x017F;ein Belagerungszu&#x017F;tand zugedacht, wie Paris, Frankfurt und<lb/>
Wien ihn bekommen hatte. Und die Mini&#x017F;ter ließen ihn am<lb/>
Abend des 12. November verkünden. Die Volksvertretung er-<lb/>
klärte ihn in einer Abend&#x017F;itzung für unge&#x017F;etzlich. Die Mini&#x017F;ter<lb/>
der Preußi&#x017F;chen Krone aber erklärten der friedlichen Haupt&#x017F;tadt<lb/>
der Erblande den Krieg. Der Belagerungszu&#x017F;tand kann doch<lb/>
höch&#x017F;tens den Sinn haben, einen Aufruhr zu unterdrücken. Wird<lb/>
aber ein gefürchteter &#x017F;chon dazu benutzt, den Belagerungszu&#x017F;tand<lb/>
auszu&#x017F;prechen, dann liegt es überhaupt in der Willkür jedes Mi-<lb/>
ni&#x017F;teriums, alle Volksfreiheiten &#x017F;o lange aufzuheben, als ihm be-<lb/>
liebt. Der Belagerungszu&#x017F;tand war auch offenbar nur ein Vor-<lb/>
wand, die Pre&#x017F;&#x017F;e zu be&#x017F;chränken, das Ver&#x017F;ammlungs- und Ver-<lb/>
einsrecht aufzuheben, den &#x201E;Klub-Unruh,&#x201F; wie die Rück&#x017F;chritts-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] reriſcher Auftritte in der Hauptſtadt zu verhindern, als das von den Miniſtern ergriffene, welches ich für ein ſehr gefährliches halte. Und jemehr ſich nun das Volk und ſeine Vertreter auf den Boden des Rechts zurückzogen, deſto mehr ließ ſich die Ver- waltung zu immer größeren Gewaltmaßregeln fortreißen, ohne ihnen durch einen thätigen Widerſtand der Maſſen eine ſcheinbare Rechtfertigung gewähren zu können. „Der Kampf,‟ ſagt Herr von Unruh, „mit der entfeſſelten öffentlichen Meinung beginnt; der gefährliche Kampf zwiſchen Krone und Volk, der Schein-Con- ſtitutionalismus, die Mutter der Revolutionen, der Vorläufer der Republik tritt ein.‟ Die Verfaſſungsgründende Verſammlung, welche am 11. No- vember das Schauſpielhaus verſchloſſen fand, hielt an dem Tage Sitzungen im Hotel de Ruſſie und im Schützenhauſe, und er- klärte die Auflöſung der Bürgerwehr für eine ungeſetzliche Maß- regel. Am 12. erneuerte ſie die Wahl ihres Vorſitzers. Die Zuſtimmungs-Anſprachen, darunter mehrere von deutſchen Stände- Verſammlungen, häuften ſich immer mehr. Die bewaffnete Schützen- Gilde hatten die Verſammlung unter ihren Schutz genommen, nachdem auch die Stadtverordneten von Berlin ihr ihren Sitzungs- ſaal angeboten hatten. Eine waffenloſe Verſammlung, die für ihr gutes Recht Verwahrung einlegte, war immer kein Aufruhr noch weniger ein Kriegszuſtand; wodurch allein ein Belagerungs- zuſtand gerechtfertigt erſcheint. Aber Berlin war doch nun ein- mal ſein Belagerungszuſtand zugedacht, wie Paris, Frankfurt und Wien ihn bekommen hatte. Und die Miniſter ließen ihn am Abend des 12. November verkünden. Die Volksvertretung er- klärte ihn in einer Abendſitzung für ungeſetzlich. Die Miniſter der Preußiſchen Krone aber erklärten der friedlichen Hauptſtadt der Erblande den Krieg. Der Belagerungszuſtand kann doch höchſtens den Sinn haben, einen Aufruhr zu unterdrücken. Wird aber ein gefürchteter ſchon dazu benutzt, den Belagerungszuſtand auszuſprechen, dann liegt es überhaupt in der Willkür jedes Mi- niſteriums, alle Volksfreiheiten ſo lange aufzuheben, als ihm be- liebt. Der Belagerungszuſtand war auch offenbar nur ein Vor- wand, die Preſſe zu beſchränken, das Verſammlungs- und Ver- einsrecht aufzuheben, den „Klub-Unruh,‟ wie die Rückſchritts-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/25
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/25>, abgerufen am 19.04.2024.