Versammlung einzuschüchtern, indem dieselbe keinesweges das that, was der Volkshaufe von ihr verlangte, und sie auch noch in der Folge gezeigt hat, daß sie sich nicht einmal von -- Bajonetten einschüchtern ließ.
Das Ministerium Pfuel mußte abtreten. Es dauerte in- deß noch eine ganze Woche, bis von der Hof- und Priester-Par- tei vier Männer ausfindig gemacht waren, welche die Verant- wortlichkeit für den beabsichtigten Staatsstreich, oder, wie ein halb- amtlicher Aufsatz mildernd sagte, den "Staats-Act" auf sich nehmen wollten. Die Ereignisse folgten nun rasch auf einander. Eine von allen Theilen der Volksversammlung am 2. November nach Potsdam geschickte Botschaft hatte das Ministerium Branden- burg vom 8. November nicht verhindern können. Schon vorher hatte der Minister Eichmann in einem Anschlage mit Herbeiru- fung der Truppen gedroht, wenn bei neuen Unruhen die Bürger- wehr sich wieder ungenügend erweise. Es entstanden aber keine Unruhen. Am 9. November wurde die Versammlung vom Grafen Brandenburg bis zum 27. vertagt und nach Brandenburg ver- legt, "um ihre Berathungen vor dem Scheine der Einschüchterung zu bewahren" Die Rechte verließ hierauf mit den Ministern den Saal. Die beschlußfähige Mehrheit der Versammlung entschied aber, unter Vorsitz des Regierungsraths v. Unruh, daß sie für jetzt den Sitz ihrer Berathungen nicht ändern wolle; der Krone nicht das Recht zugestehe, sie wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen und aufzulösen; daß sie die Minister für unfähig halte, das Land zu regieren; daß diese sich schwerer Pflichtverletzungen schuldig gemacht haben. Am 10. November beschloß die Ver- sammlung, dies dem Volke in einer Ansprache zu verkünden. Der Sitzungssaal war mit Bürgerwehr umgeben. Unterdessen rückte der General von Wrangel in Berlin mit einem großen Heere ein, und umlagerte den Sitzungssaal, bis die Abgeordneten ihn verließen. Also um die Volksvertreter vor Einschüchterungen zu schützen, wurden Kanonen auf sie gerichtet! Und sind sie nicht noch jetzt gezwungen, wie in einer vom Feinde umzingelten Festung, zu berathen? Die Bürgerwehr, die, zum Schutze der Verfassung eingeführt, dieselbe natürlich nur in ihren Gründern schützen konnte, und daher die von ihr am 10. geforderte Versprengung
Verſammlung einzuſchüchtern, indem dieſelbe keinesweges das that, was der Volkshaufe von ihr verlangte, und ſie auch noch in der Folge gezeigt hat, daß ſie ſich nicht einmal von — Bajonetten einſchüchtern ließ.
Das Miniſterium Pfuel mußte abtreten. Es dauerte in- deß noch eine ganze Woche, bis von der Hof- und Prieſter-Par- tei vier Männer ausfindig gemacht waren, welche die Verant- wortlichkeit für den beabſichtigten Staatsſtreich, oder, wie ein halb- amtlicher Aufſatz mildernd ſagte, den „Staats-Act‟ auf ſich nehmen wollten. Die Ereigniſſe folgten nun raſch auf einander. Eine von allen Theilen der Volksverſammlung am 2. November nach Potsdam geſchickte Botſchaft hatte das Miniſterium Branden- burg vom 8. November nicht verhindern können. Schon vorher hatte der Miniſter Eichmann in einem Anſchlage mit Herbeiru- fung der Truppen gedroht, wenn bei neuen Unruhen die Bürger- wehr ſich wieder ungenügend erweiſe. Es entſtanden aber keine Unruhen. Am 9. November wurde die Verſammlung vom Grafen Brandenburg bis zum 27. vertagt und nach Brandenburg ver- legt, „um ihre Berathungen vor dem Scheine der Einſchüchterung zu bewahren‟ Die Rechte verließ hierauf mit den Miniſtern den Saal. Die beſchlußfähige Mehrheit der Verſammlung entſchied aber, unter Vorſitz des Regierungsraths v. Unruh, daß ſie für jetzt den Sitz ihrer Berathungen nicht ändern wolle; der Krone nicht das Recht zugeſtehe, ſie wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen und aufzulöſen; daß ſie die Miniſter für unfähig halte, das Land zu regieren; daß dieſe ſich ſchwerer Pflichtverletzungen ſchuldig gemacht haben. Am 10. November beſchloß die Ver- ſammlung, dies dem Volke in einer Anſprache zu verkünden. Der Sitzungsſaal war mit Bürgerwehr umgeben. Unterdeſſen rückte der General von Wrangel in Berlin mit einem großen Heere ein, und umlagerte den Sitzungsſaal, bis die Abgeordneten ihn verließen. Alſo um die Volksvertreter vor Einſchüchterungen zu ſchützen, wurden Kanonen auf ſie gerichtet! Und ſind ſie nicht noch jetzt gezwungen, wie in einer vom Feinde umzingelten Feſtung, zu berathen? Die Bürgerwehr, die, zum Schutze der Verfaſſung eingeführt, dieſelbe natürlich nur in ihren Gründern ſchützen konnte, und daher die von ihr am 10. geforderte Verſprengung
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="13"/>
Verſammlung einzuſchüchtern, indem dieſelbe keinesweges das that,<lb/>
was der Volkshaufe von ihr verlangte, und ſie auch noch in der<lb/>
Folge gezeigt hat, daß ſie ſich nicht einmal von — Bajonetten<lb/>
einſchüchtern ließ.</p><lb/><p>Das Miniſterium Pfuel mußte abtreten. Es dauerte in-<lb/>
deß noch eine ganze Woche, bis von der Hof- und Prieſter-Par-<lb/>
tei vier Männer ausfindig gemacht waren, welche die Verant-<lb/>
wortlichkeit für den beabſichtigten Staatsſtreich, oder, wie ein halb-<lb/>
amtlicher Aufſatz mildernd ſagte, den „Staats-Act‟ auf ſich nehmen<lb/>
wollten. Die Ereigniſſe folgten nun raſch auf einander. Eine<lb/>
von allen Theilen der Volksverſammlung am 2. November nach<lb/>
Potsdam geſchickte Botſchaft hatte das Miniſterium <hirendition="#g">Branden-<lb/>
burg</hi> vom 8. November nicht verhindern können. Schon vorher<lb/>
hatte der Miniſter <hirendition="#g">Eichmann</hi> in einem Anſchlage mit Herbeiru-<lb/>
fung der Truppen gedroht, wenn bei neuen Unruhen die Bürger-<lb/>
wehr ſich wieder ungenügend erweiſe. Es entſtanden aber keine<lb/>
Unruhen. Am 9. November wurde die Verſammlung vom Grafen<lb/>
Brandenburg bis zum 27. vertagt und nach Brandenburg ver-<lb/>
legt, „um ihre Berathungen vor dem Scheine der Einſchüchterung<lb/>
zu bewahren‟ Die Rechte verließ hierauf mit den Miniſtern den<lb/>
Saal. Die beſchlußfähige Mehrheit der Verſammlung entſchied<lb/>
aber, unter Vorſitz des Regierungsraths v. <hirendition="#g">Unruh,</hi> daß ſie für<lb/>
jetzt den Sitz ihrer Berathungen nicht ändern wolle; der Krone<lb/>
nicht das Recht zugeſtehe, ſie wider ihren Willen zu vertagen, zu<lb/>
verlegen und aufzulöſen; daß ſie die Miniſter für unfähig halte,<lb/>
das Land zu regieren; daß dieſe ſich ſchwerer Pflichtverletzungen<lb/>ſchuldig gemacht haben. Am 10. November beſchloß die Ver-<lb/>ſammlung, dies dem Volke in einer Anſprache zu verkünden. Der<lb/>
Sitzungsſaal war mit Bürgerwehr umgeben. Unterdeſſen rückte<lb/>
der General von Wrangel in Berlin mit einem großen Heere<lb/>
ein, und umlagerte den Sitzungsſaal, bis die Abgeordneten ihn<lb/>
verließen. Alſo um die Volksvertreter vor Einſchüchterungen zu<lb/>ſchützen, wurden Kanonen auf ſie gerichtet! Und ſind ſie nicht<lb/>
noch jetzt gezwungen, wie in einer vom Feinde umzingelten Feſtung,<lb/>
zu berathen? Die Bürgerwehr, die, zum Schutze der Verfaſſung<lb/>
eingeführt, dieſelbe natürlich nur in ihren Gründern ſchützen<lb/>
konnte, und daher die von ihr am 10. geforderte Verſprengung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[13/0023]
Verſammlung einzuſchüchtern, indem dieſelbe keinesweges das that,
was der Volkshaufe von ihr verlangte, und ſie auch noch in der
Folge gezeigt hat, daß ſie ſich nicht einmal von — Bajonetten
einſchüchtern ließ.
Das Miniſterium Pfuel mußte abtreten. Es dauerte in-
deß noch eine ganze Woche, bis von der Hof- und Prieſter-Par-
tei vier Männer ausfindig gemacht waren, welche die Verant-
wortlichkeit für den beabſichtigten Staatsſtreich, oder, wie ein halb-
amtlicher Aufſatz mildernd ſagte, den „Staats-Act‟ auf ſich nehmen
wollten. Die Ereigniſſe folgten nun raſch auf einander. Eine
von allen Theilen der Volksverſammlung am 2. November nach
Potsdam geſchickte Botſchaft hatte das Miniſterium Branden-
burg vom 8. November nicht verhindern können. Schon vorher
hatte der Miniſter Eichmann in einem Anſchlage mit Herbeiru-
fung der Truppen gedroht, wenn bei neuen Unruhen die Bürger-
wehr ſich wieder ungenügend erweiſe. Es entſtanden aber keine
Unruhen. Am 9. November wurde die Verſammlung vom Grafen
Brandenburg bis zum 27. vertagt und nach Brandenburg ver-
legt, „um ihre Berathungen vor dem Scheine der Einſchüchterung
zu bewahren‟ Die Rechte verließ hierauf mit den Miniſtern den
Saal. Die beſchlußfähige Mehrheit der Verſammlung entſchied
aber, unter Vorſitz des Regierungsraths v. Unruh, daß ſie für
jetzt den Sitz ihrer Berathungen nicht ändern wolle; der Krone
nicht das Recht zugeſtehe, ſie wider ihren Willen zu vertagen, zu
verlegen und aufzulöſen; daß ſie die Miniſter für unfähig halte,
das Land zu regieren; daß dieſe ſich ſchwerer Pflichtverletzungen
ſchuldig gemacht haben. Am 10. November beſchloß die Ver-
ſammlung, dies dem Volke in einer Anſprache zu verkünden. Der
Sitzungsſaal war mit Bürgerwehr umgeben. Unterdeſſen rückte
der General von Wrangel in Berlin mit einem großen Heere
ein, und umlagerte den Sitzungsſaal, bis die Abgeordneten ihn
verließen. Alſo um die Volksvertreter vor Einſchüchterungen zu
ſchützen, wurden Kanonen auf ſie gerichtet! Und ſind ſie nicht
noch jetzt gezwungen, wie in einer vom Feinde umzingelten Feſtung,
zu berathen? Die Bürgerwehr, die, zum Schutze der Verfaſſung
eingeführt, dieſelbe natürlich nur in ihren Gründern ſchützen
konnte, und daher die von ihr am 10. geforderte Verſprengung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/23>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.