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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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bei den Genüssen der Arbeiter-Vereine jeder Einzelne auch Ar-
beiter anderer Zweige zu diesen Zusammenkünften der Arbeitsge-
nossen einladen. Jndem die öffentliche Geselligkeit sich so aus-
drücklich an die doppelte öffentliche Arbeit, die staatliche Aller, die
eigenthümliche jedes Arbeiterzweiges anschließt, wie oft wird da in
dieselbe nicht auch noch die Arbeit und ihre Erinnerung dringen!
Wenn die Frauen bei der Einrichtung der gemeinschaftlichen Ge-
nüsse als die Haupt-Theilnehmerinnen erscheinen müssen, so sollen
sie als Zuhörerinnen von den geschäftlichen Berathungen der Män-
ner nicht ausgeschlossen sein.

Besonders die ländliche Geselligkeit muß befördert wer-
den durch die erwähnte Erweiterung und Zusammenlegung der
Dorfgemeinden, durch gemeinschaftliche Anstalten wie in den
Städten, damit das an Einsamkeit gewöhnte Landleben verschwinde
und der erhöhte Lebensgenuß die Landleute nicht mehr so sehr zur
Stadt ziehe. Wie wäre es, wenn die im Sommer zerstreut in
mehreren Gemeinden wohnenden Landbauer für die Winterge-
schäfte in einem gemeinsamen Wirthschaftshause, wenn wir auch
nicht an das Phalansterium Fouriers denken wollen, zum Theil
zusammenzögen, da ja ohnehin Gesellschaftsräume, Schule, städti-
sche Gewerbe immer daselbst vereint sein müßten? Kurz der Un-
terschied der Bildung von Stadt und Land muß, wie bei den am
meisten vorgeschrittenen Völkern, je mehr und mehr verschwinden:
auch der geringste Arbeiter zu geistigen Genüssen herangezogen
werden.

Jndem so Alles in Staat, Arbeit und Genuß unterschieden
und doch eins ist, jeder frei sich verbindend und frei sich aus-
schließend, wird die wahre volksthümliche Staatsverfas-
sung
eintreten. Denn durch die Allgewährleistung wird der Friede
zwischen Bürger und Proletarier geschlossen sein. Der zum Diener
der Arbeit und des Capitals gewordene Staat gehorcht, statt zu
befehlen; er ist nicht die Summe, sondern das Band der öffent-
lichen Thätigkeiten. Die Volksoberhoheit zu verwirklichen, ist
die Hauptaufgabe. Nur in einem solchen Staate wird die ge-
sellschaftliche Frage gelöst werden können. Einen solchen nur wird
ihre Lösung hervorbringen und noch ferner dulden.

Nicht nur Arbeitskräfte und Erzeugnisse, auch Meinungen

bei den Genüſſen der Arbeiter-Vereine jeder Einzelne auch Ar-
beiter anderer Zweige zu dieſen Zuſammenkünften der Arbeitsge-
noſſen einladen. Jndem die öffentliche Geſelligkeit ſich ſo aus-
drücklich an die doppelte öffentliche Arbeit, die ſtaatliche Aller, die
eigenthümliche jedes Arbeiterzweiges anſchließt, wie oft wird da in
dieſelbe nicht auch noch die Arbeit und ihre Erinnerung dringen!
Wenn die Frauen bei der Einrichtung der gemeinſchaftlichen Ge-
nüſſe als die Haupt-Theilnehmerinnen erſcheinen müſſen, ſo ſollen
ſie als Zuhörerinnen von den geſchäftlichen Berathungen der Män-
ner nicht ausgeſchloſſen ſein.

Beſonders die ländliche Geſelligkeit muß befördert wer-
den durch die erwähnte Erweiterung und Zuſammenlegung der
Dorfgemeinden, durch gemeinſchaftliche Anſtalten wie in den
Städten, damit das an Einſamkeit gewöhnte Landleben verſchwinde
und der erhöhte Lebensgenuß die Landleute nicht mehr ſo ſehr zur
Stadt ziehe. Wie wäre es, wenn die im Sommer zerſtreut in
mehreren Gemeinden wohnenden Landbauer für die Winterge-
ſchäfte in einem gemeinſamen Wirthſchaftshauſe, wenn wir auch
nicht an das Phalanſterium Fouriers denken wollen, zum Theil
zuſammenzögen, da ja ohnehin Geſellſchaftsräume, Schule, ſtädti-
ſche Gewerbe immer daſelbſt vereint ſein müßten? Kurz der Un-
terſchied der Bildung von Stadt und Land muß, wie bei den am
meiſten vorgeſchrittenen Völkern, je mehr und mehr verſchwinden:
auch der geringſte Arbeiter zu geiſtigen Genüſſen herangezogen
werden.

Jndem ſo Alles in Staat, Arbeit und Genuß unterſchieden
und doch eins iſt, jeder frei ſich verbindend und frei ſich aus-
ſchließend, wird die wahre volksthümliche Staatsverfaſ-
ſung
eintreten. Denn durch die Allgewährleiſtung wird der Friede
zwiſchen Bürger und Proletarier geſchloſſen ſein. Der zum Diener
der Arbeit und des Capitals gewordene Staat gehorcht, ſtatt zu
befehlen; er iſt nicht die Summe, ſondern das Band der öffent-
lichen Thätigkeiten. Die Volksoberhoheit zu verwirklichen, iſt
die Hauptaufgabe. Nur in einem ſolchen Staate wird die ge-
ſellſchaftliche Frage gelöſt werden können. Einen ſolchen nur wird
ihre Löſung hervorbringen und noch ferner dulden.

Nicht nur Arbeitskräfte und Erzeugniſſe, auch Meinungen

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[126/0136] bei den Genüſſen der Arbeiter-Vereine jeder Einzelne auch Ar- beiter anderer Zweige zu dieſen Zuſammenkünften der Arbeitsge- noſſen einladen. Jndem die öffentliche Geſelligkeit ſich ſo aus- drücklich an die doppelte öffentliche Arbeit, die ſtaatliche Aller, die eigenthümliche jedes Arbeiterzweiges anſchließt, wie oft wird da in dieſelbe nicht auch noch die Arbeit und ihre Erinnerung dringen! Wenn die Frauen bei der Einrichtung der gemeinſchaftlichen Ge- nüſſe als die Haupt-Theilnehmerinnen erſcheinen müſſen, ſo ſollen ſie als Zuhörerinnen von den geſchäftlichen Berathungen der Män- ner nicht ausgeſchloſſen ſein. Beſonders die ländliche Geſelligkeit muß befördert wer- den durch die erwähnte Erweiterung und Zuſammenlegung der Dorfgemeinden, durch gemeinſchaftliche Anſtalten wie in den Städten, damit das an Einſamkeit gewöhnte Landleben verſchwinde und der erhöhte Lebensgenuß die Landleute nicht mehr ſo ſehr zur Stadt ziehe. Wie wäre es, wenn die im Sommer zerſtreut in mehreren Gemeinden wohnenden Landbauer für die Winterge- ſchäfte in einem gemeinſamen Wirthſchaftshauſe, wenn wir auch nicht an das Phalanſterium Fouriers denken wollen, zum Theil zuſammenzögen, da ja ohnehin Geſellſchaftsräume, Schule, ſtädti- ſche Gewerbe immer daſelbſt vereint ſein müßten? Kurz der Un- terſchied der Bildung von Stadt und Land muß, wie bei den am meiſten vorgeſchrittenen Völkern, je mehr und mehr verſchwinden: auch der geringſte Arbeiter zu geiſtigen Genüſſen herangezogen werden. Jndem ſo Alles in Staat, Arbeit und Genuß unterſchieden und doch eins iſt, jeder frei ſich verbindend und frei ſich aus- ſchließend, wird die wahre volksthümliche Staatsverfaſ- ſung eintreten. Denn durch die Allgewährleiſtung wird der Friede zwiſchen Bürger und Proletarier geſchloſſen ſein. Der zum Diener der Arbeit und des Capitals gewordene Staat gehorcht, ſtatt zu befehlen; er iſt nicht die Summe, ſondern das Band der öffent- lichen Thätigkeiten. Die Volksoberhoheit zu verwirklichen, iſt die Hauptaufgabe. Nur in einem ſolchen Staate wird die ge- ſellſchaftliche Frage gelöſt werden können. Einen ſolchen nur wird ihre Löſung hervorbringen und noch ferner dulden. Nicht nur Arbeitskräfte und Erzeugniſſe, auch Meinungen

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/136>, abgerufen am 23.11.2024.