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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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der Arbeit Herren (magistri). Der Staat, der blos das Gefäß
und die Form für den lebensvollen Jnhalt der Gesellschaft wer-
den soll, muß damit aufhören, die Ausbeutung der Regierten
durch die Regierenden zu sein. Das ist der Grund, warum
gründliche Umwälzungen und die endliche Befestigung der staatlichen
Lage nicht eher eintreten können, als bis die gesellschaftliche Frage
gelöst ist. So lange die Macht und das Ansehen der Regierung
das Volk beherrschen, und die Beamten- und Adels-Herrschaft kei-
nen Fuß breit weicht, sind Sparsamkeit in den Ausgaben, gerechte
Vertheilung in der Steuer, Unentgeltlichkeit des Unterrichtes in
dem unglücklichen Europa Hirngespinnste. Aus dem Herzen des
Volks, aus den Tiefen der Arbeit wird ein größeres Ansehen,
eine mächtigere Thatsache hervorgehen, welche Capital und
Staat umschlingt, und sie sich unterwirft. Aber zu dem Ende
muß nicht nur der Arbeiter für die leiblichen Bedürfnisse allein
von der Kraft seiner Thätigkeit abhangen; sondern außer den Aerzten
und Rechtsanwalten, den Lehrern und Geistlichen, von denen wir
dies bereits verlangten, müssen auch die Männer der Ver-
waltung selbst nicht länger der Augendienerei nach Oben ihr leib-
liches Wohlsein verdanken. Dies geschieht eben durch die Ein-
führung des Wahlrechts, wie es oben z. B. für die verschiedenen
Räthe angegeben worden und durch alle Arbeiter-Verbände hindurch-
geführt werden muß. Nur so kann das Beamtenthum, der Geheime-
Raths-Dünkel gebrochen werden; wobei dann in der immer durch die
Mehrheiten in der gesetzgebenden Versammlung bedingten Ernennung
der Minister durch die ausübende Gewalt die nothwendige Anerkennung
nicht ausgeschlossen ist, daß diese für die Wahl ihrer unmittelbaren
Vertreter in den verschiedenen Zweigen der staatlichen und gesell-
schaftlichen Thätigkeiten denn doch auch ein Wort mitzusprechen habe.

Erst wenn der Lohn der Arbeit nicht mehr eine Gunst, eine
Gnade sein wird, -- sei es, daß der Arbeiter sie vom Capitalisten
als das, was dieser von seinem Gewinn aufopfern will, sei es,
daß der Beamte sie als Staatsdiener für seine Regierungsan-
hänglichkeit von dem großen Capitalisten, Staat genannt, erhal-
te, -- wird die unumschränkte Persönlichkeit des Menschen er-
reicht sein. Sie ist nicht die bloße Gleichheit der Rechtsperson
vor dem Gesetze, noch das gleiche Menschsein in der Welt der

der Arbeit Herren (magistri). Der Staat, der blos das Gefäß
und die Form für den lebensvollen Jnhalt der Geſellſchaft wer-
den ſoll, muß damit aufhören, die Ausbeutung der Regierten
durch die Regierenden zu ſein. Das iſt der Grund, warum
gründliche Umwälzungen und die endliche Befeſtigung der ſtaatlichen
Lage nicht eher eintreten können, als bis die geſellſchaftliche Frage
gelöſt iſt. So lange die Macht und das Anſehen der Regierung
das Volk beherrſchen, und die Beamten- und Adels-Herrſchaft kei-
nen Fuß breit weicht, ſind Sparſamkeit in den Ausgaben, gerechte
Vertheilung in der Steuer, Unentgeltlichkeit des Unterrichtes in
dem unglücklichen Europa Hirngeſpinnſte. Aus dem Herzen des
Volks, aus den Tiefen der Arbeit wird ein größeres Anſehen,
eine mächtigere Thatſache hervorgehen, welche Capital und
Staat umſchlingt, und ſie ſich unterwirft. Aber zu dem Ende
muß nicht nur der Arbeiter für die leiblichen Bedürfniſſe allein
von der Kraft ſeiner Thätigkeit abhangen; ſondern außer den Aerzten
und Rechtsanwalten, den Lehrern und Geiſtlichen, von denen wir
dies bereits verlangten, müſſen auch die Männer der Ver-
waltung ſelbſt nicht länger der Augendienerei nach Oben ihr leib-
liches Wohlſein verdanken. Dies geſchieht eben durch die Ein-
führung des Wahlrechts, wie es oben z. B. für die verſchiedenen
Räthe angegeben worden und durch alle Arbeiter-Verbände hindurch-
geführt werden muß. Nur ſo kann das Beamtenthum, der Geheime-
Raths-Dünkel gebrochen werden; wobei dann in der immer durch die
Mehrheiten in der geſetzgebenden Verſammlung bedingten Ernennung
der Miniſter durch die ausübende Gewalt die nothwendige Anerkennung
nicht ausgeſchloſſen iſt, daß dieſe für die Wahl ihrer unmittelbaren
Vertreter in den verſchiedenen Zweigen der ſtaatlichen und geſell-
ſchaftlichen Thätigkeiten denn doch auch ein Wort mitzuſprechen habe.

Erſt wenn der Lohn der Arbeit nicht mehr eine Gunſt, eine
Gnade ſein wird, — ſei es, daß der Arbeiter ſie vom Capitaliſten
als das, was dieſer von ſeinem Gewinn aufopfern will, ſei es,
daß der Beamte ſie als Staatsdiener für ſeine Regierungsan-
hänglichkeit von dem großen Capitaliſten, Staat genannt, erhal-
te, — wird die unumſchränkte Perſönlichkeit des Menſchen er-
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vor dem Geſetze, noch das gleiche Menſchſein in der Welt der

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[103/0113] der Arbeit Herren (magistri). Der Staat, der blos das Gefäß und die Form für den lebensvollen Jnhalt der Geſellſchaft wer- den ſoll, muß damit aufhören, die Ausbeutung der Regierten durch die Regierenden zu ſein. Das iſt der Grund, warum gründliche Umwälzungen und die endliche Befeſtigung der ſtaatlichen Lage nicht eher eintreten können, als bis die geſellſchaftliche Frage gelöſt iſt. So lange die Macht und das Anſehen der Regierung das Volk beherrſchen, und die Beamten- und Adels-Herrſchaft kei- nen Fuß breit weicht, ſind Sparſamkeit in den Ausgaben, gerechte Vertheilung in der Steuer, Unentgeltlichkeit des Unterrichtes in dem unglücklichen Europa Hirngeſpinnſte. Aus dem Herzen des Volks, aus den Tiefen der Arbeit wird ein größeres Anſehen, eine mächtigere Thatſache hervorgehen, welche Capital und Staat umſchlingt, und ſie ſich unterwirft. Aber zu dem Ende muß nicht nur der Arbeiter für die leiblichen Bedürfniſſe allein von der Kraft ſeiner Thätigkeit abhangen; ſondern außer den Aerzten und Rechtsanwalten, den Lehrern und Geiſtlichen, von denen wir dies bereits verlangten, müſſen auch die Männer der Ver- waltung ſelbſt nicht länger der Augendienerei nach Oben ihr leib- liches Wohlſein verdanken. Dies geſchieht eben durch die Ein- führung des Wahlrechts, wie es oben z. B. für die verſchiedenen Räthe angegeben worden und durch alle Arbeiter-Verbände hindurch- geführt werden muß. Nur ſo kann das Beamtenthum, der Geheime- Raths-Dünkel gebrochen werden; wobei dann in der immer durch die Mehrheiten in der geſetzgebenden Verſammlung bedingten Ernennung der Miniſter durch die ausübende Gewalt die nothwendige Anerkennung nicht ausgeſchloſſen iſt, daß dieſe für die Wahl ihrer unmittelbaren Vertreter in den verſchiedenen Zweigen der ſtaatlichen und geſell- ſchaftlichen Thätigkeiten denn doch auch ein Wort mitzuſprechen habe. Erſt wenn der Lohn der Arbeit nicht mehr eine Gunſt, eine Gnade ſein wird, — ſei es, daß der Arbeiter ſie vom Capitaliſten als das, was dieſer von ſeinem Gewinn aufopfern will, ſei es, daß der Beamte ſie als Staatsdiener für ſeine Regierungsan- hänglichkeit von dem großen Capitaliſten, Staat genannt, erhal- te, — wird die unumſchränkte Perſönlichkeit des Menſchen er- reicht ſein. Sie iſt nicht die bloße Gleichheit der Rechtsperſon vor dem Geſetze, noch das gleiche Menſchſein in der Welt der

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/113>, abgerufen am 23.11.2024.