Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

durch einen Seufzer erleichtern. Aber sag mir doch, erwiderte sie mit dem Ton des Vorwurfs und der Klage, wie du zu diesen Einbildungen kommst? Wollen wir denn zusammenkommen, um was Unrechts zu thun? Wir wollen ja mit einander ausmachen, wie wir's anfangen sollen, damit wir Mann und Frau werden; und eine andere Gelegenheit giebt's nun einmal hier nicht! -- Das wohl, versetzte Tobias; aber -- -- Aber? wiederholte das Mädchen. Nun, ich seh' schon, wie viel die Glocke geschlagen hat. Du traust dir wieder nichts und hast mir wieder nur was vorgeprahlt! In Gott's Namen! Ich hab' das Meine gethan; wenn du nicht willst, ist's deine Sach'! Gutnacht! -- Sie drehte sich um und wollte gehen; aber ein leidenschaftlich geflüstertes "Halt!" hemmte ihren Schritt. Halt! wiederholte Tobias; ich komm' ohne Weiters -- und wenn der Teufel Alles holt! -- Das Mädchen hatte sich ihm wieder zugewendet und konnte nicht umhin zu lächeln. Wann soll ich kommen? fuhr der Bursche fort. -- Morgen Nacht; die Hofthür' wird auf sein, und nach elf Uhr schließ' ich die Hausthür auf. -- Gut, ich komme, rief der durch die zweite Furcht von der ersten befreite und zum Heroismus aufgestachelte Schneider. Kreuzschwerenoth! Du hast Recht, ich bin ein Narr, daß ich mir solche Scrupel mach', wo wir doch gar nichts Unrechtes im Sinn haben! -- Du guter Tobias, erwiderte die Bäbe mit einem Lächeln, halb mitleidig, halb schalkhaft. Dieser fuhr fort: Es ist ja wahr! Soll ich

durch einen Seufzer erleichtern. Aber sag mir doch, erwiderte sie mit dem Ton des Vorwurfs und der Klage, wie du zu diesen Einbildungen kommst? Wollen wir denn zusammenkommen, um was Unrechts zu thun? Wir wollen ja mit einander ausmachen, wie wir's anfangen sollen, damit wir Mann und Frau werden; und eine andere Gelegenheit giebt's nun einmal hier nicht! — Das wohl, versetzte Tobias; aber — — Aber? wiederholte das Mädchen. Nun, ich seh' schon, wie viel die Glocke geschlagen hat. Du traust dir wieder nichts und hast mir wieder nur was vorgeprahlt! In Gott's Namen! Ich hab' das Meine gethan; wenn du nicht willst, ist's deine Sach'! Gutnacht! — Sie drehte sich um und wollte gehen; aber ein leidenschaftlich geflüstertes „Halt!“ hemmte ihren Schritt. Halt! wiederholte Tobias; ich komm' ohne Weiters — und wenn der Teufel Alles holt! — Das Mädchen hatte sich ihm wieder zugewendet und konnte nicht umhin zu lächeln. Wann soll ich kommen? fuhr der Bursche fort. — Morgen Nacht; die Hofthür' wird auf sein, und nach elf Uhr schließ' ich die Hausthür auf. — Gut, ich komme, rief der durch die zweite Furcht von der ersten befreite und zum Heroismus aufgestachelte Schneider. Kreuzschwerenoth! Du hast Recht, ich bin ein Narr, daß ich mir solche Scrupel mach', wo wir doch gar nichts Unrechtes im Sinn haben! — Du guter Tobias, erwiderte die Bäbe mit einem Lächeln, halb mitleidig, halb schalkhaft. Dieser fuhr fort: Es ist ja wahr! Soll ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0088"/>
durch einen Seufzer erleichtern. Aber sag mir      doch, erwiderte sie mit dem Ton des Vorwurfs und der Klage, wie du zu diesen Einbildungen      kommst? Wollen wir denn zusammenkommen, um was Unrechts zu thun? Wir wollen ja mit einander      ausmachen, wie wir's anfangen sollen, damit wir Mann und Frau werden; und eine andere      Gelegenheit giebt's nun einmal hier nicht! &#x2014; Das wohl, versetzte Tobias; aber &#x2014; &#x2014; Aber?      wiederholte das Mädchen. Nun, ich seh' schon, wie viel die Glocke geschlagen hat. Du traust dir      wieder nichts und hast mir wieder nur was vorgeprahlt! In Gott's Namen! Ich hab' das Meine      gethan; wenn du nicht willst, ist's deine Sach'! Gutnacht! &#x2014; Sie drehte sich um und wollte      gehen; aber ein leidenschaftlich geflüstertes &#x201E;Halt!&#x201C; hemmte ihren Schritt. Halt! wiederholte      Tobias; ich komm' ohne Weiters &#x2014; und wenn der Teufel Alles holt! &#x2014; Das Mädchen hatte sich ihm      wieder zugewendet und konnte nicht umhin zu lächeln. Wann soll ich kommen? fuhr der Bursche      fort. &#x2014; Morgen Nacht; die Hofthür' wird auf sein, und nach elf Uhr schließ' ich die Hausthür      auf. &#x2014; Gut, ich komme, rief der durch die zweite Furcht von der ersten befreite und zum      Heroismus aufgestachelte Schneider. Kreuzschwerenoth! Du hast Recht, ich bin ein Narr, daß ich      mir solche Scrupel mach', wo wir doch gar nichts Unrechtes im Sinn haben! &#x2014; Du guter Tobias,      erwiderte die Bäbe mit einem Lächeln, halb mitleidig, halb schalkhaft. Dieser fuhr fort: Es ist      ja wahr! Soll ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] durch einen Seufzer erleichtern. Aber sag mir doch, erwiderte sie mit dem Ton des Vorwurfs und der Klage, wie du zu diesen Einbildungen kommst? Wollen wir denn zusammenkommen, um was Unrechts zu thun? Wir wollen ja mit einander ausmachen, wie wir's anfangen sollen, damit wir Mann und Frau werden; und eine andere Gelegenheit giebt's nun einmal hier nicht! — Das wohl, versetzte Tobias; aber — — Aber? wiederholte das Mädchen. Nun, ich seh' schon, wie viel die Glocke geschlagen hat. Du traust dir wieder nichts und hast mir wieder nur was vorgeprahlt! In Gott's Namen! Ich hab' das Meine gethan; wenn du nicht willst, ist's deine Sach'! Gutnacht! — Sie drehte sich um und wollte gehen; aber ein leidenschaftlich geflüstertes „Halt!“ hemmte ihren Schritt. Halt! wiederholte Tobias; ich komm' ohne Weiters — und wenn der Teufel Alles holt! — Das Mädchen hatte sich ihm wieder zugewendet und konnte nicht umhin zu lächeln. Wann soll ich kommen? fuhr der Bursche fort. — Morgen Nacht; die Hofthür' wird auf sein, und nach elf Uhr schließ' ich die Hausthür auf. — Gut, ich komme, rief der durch die zweite Furcht von der ersten befreite und zum Heroismus aufgestachelte Schneider. Kreuzschwerenoth! Du hast Recht, ich bin ein Narr, daß ich mir solche Scrupel mach', wo wir doch gar nichts Unrechtes im Sinn haben! — Du guter Tobias, erwiderte die Bäbe mit einem Lächeln, halb mitleidig, halb schalkhaft. Dieser fuhr fort: Es ist ja wahr! Soll ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/88
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/88>, abgerufen am 27.11.2024.