Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Seele, wenn nicht das Licht der Sonne, doch der Schein des Mondes, jene sanfte, melancholische Klarheit, die gleichwohl etwas Tröstliches hat und wenigstens das allgemeine Gedeihen wieder fördert. Tobias bekam seine Farbe wieder; der Ausdruck der Entsagung ließ ihm gut, und wenn er nicht mehr so frisch und munter aussah, wie vor dem Ereigniß, so war er doch in seinem stillen Wesen ebenso hübsch und -- interessanter als vorher. Der alte Schneider sah diesen Fortschritt mit Befriedigung. Da er den Burschen jetzt in der Hand hatte, so wollte er ihn noch nicht drängen, die Sache mit der Sibylle richtig zu machen. Für einen Freier ließ er noch immer zu sehr den Kopf hängen. Aber das mußte in wenigen Tagen aufhören, und dann sollte der Handel rasch abgemacht sein. Zehn Tage waren verflossen seit jenem tragischen Auseinanderkommen, und Tobias und die Bäbe hatten sich auch nicht aus der Ferne gesehen. Endlich geschah doch, was auf dem Dorf unvermeidlich ist -- sie begegneten sich; und zwar in dem Gäßchen zwischen Hecken, das sie früher so liebend und glücklich gesehen. Wie der Bursche das Mädchen von fern erblickte, gab es ihm einen Stich ins Herz; aber er faßte sich und ging mit dem Ausdruck ernster Entsagung an ihr vorüber. Nur von weitem hatte er ihr Gesicht so roth wie früher, aber stolz und gleichgültig gesehen; als sie ihm näher kam, lenkte er den Schritt etwas auf die die Seele, wenn nicht das Licht der Sonne, doch der Schein des Mondes, jene sanfte, melancholische Klarheit, die gleichwohl etwas Tröstliches hat und wenigstens das allgemeine Gedeihen wieder fördert. Tobias bekam seine Farbe wieder; der Ausdruck der Entsagung ließ ihm gut, und wenn er nicht mehr so frisch und munter aussah, wie vor dem Ereigniß, so war er doch in seinem stillen Wesen ebenso hübsch und — interessanter als vorher. Der alte Schneider sah diesen Fortschritt mit Befriedigung. Da er den Burschen jetzt in der Hand hatte, so wollte er ihn noch nicht drängen, die Sache mit der Sibylle richtig zu machen. Für einen Freier ließ er noch immer zu sehr den Kopf hängen. Aber das mußte in wenigen Tagen aufhören, und dann sollte der Handel rasch abgemacht sein. Zehn Tage waren verflossen seit jenem tragischen Auseinanderkommen, und Tobias und die Bäbe hatten sich auch nicht aus der Ferne gesehen. Endlich geschah doch, was auf dem Dorf unvermeidlich ist — sie begegneten sich; und zwar in dem Gäßchen zwischen Hecken, das sie früher so liebend und glücklich gesehen. Wie der Bursche das Mädchen von fern erblickte, gab es ihm einen Stich ins Herz; aber er faßte sich und ging mit dem Ausdruck ernster Entsagung an ihr vorüber. Nur von weitem hatte er ihr Gesicht so roth wie früher, aber stolz und gleichgültig gesehen; als sie ihm näher kam, lenkte er den Schritt etwas auf die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0076"/> die Seele, wenn nicht das Licht der Sonne, doch der Schein des Mondes, jene sanfte, melancholische Klarheit, die gleichwohl etwas Tröstliches hat und wenigstens das allgemeine Gedeihen wieder fördert. Tobias bekam seine Farbe wieder; der Ausdruck der Entsagung ließ ihm gut, und wenn er nicht mehr so frisch und munter aussah, wie vor dem Ereigniß, so war er doch in seinem stillen Wesen ebenso hübsch und — interessanter als vorher.</p><lb/> <p>Der alte Schneider sah diesen Fortschritt mit Befriedigung. Da er den Burschen jetzt in der Hand hatte, so wollte er ihn noch nicht drängen, die Sache mit der Sibylle richtig zu machen. Für einen Freier ließ er noch immer zu sehr den Kopf hängen. Aber das mußte in wenigen Tagen aufhören, und dann sollte der Handel rasch abgemacht sein.</p><lb/> <p>Zehn Tage waren verflossen seit jenem tragischen Auseinanderkommen, und Tobias und die Bäbe hatten sich auch nicht aus der Ferne gesehen. Endlich geschah doch, was auf dem Dorf unvermeidlich ist — sie begegneten sich; und zwar in dem Gäßchen zwischen Hecken, das sie früher so liebend und glücklich gesehen. Wie der Bursche das Mädchen von fern erblickte, gab es ihm einen Stich ins Herz; aber er faßte sich und ging mit dem Ausdruck ernster Entsagung an ihr vorüber. Nur von weitem hatte er ihr Gesicht so roth wie früher, aber stolz und gleichgültig gesehen; als sie ihm näher kam, lenkte er den Schritt etwas auf die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
die Seele, wenn nicht das Licht der Sonne, doch der Schein des Mondes, jene sanfte, melancholische Klarheit, die gleichwohl etwas Tröstliches hat und wenigstens das allgemeine Gedeihen wieder fördert. Tobias bekam seine Farbe wieder; der Ausdruck der Entsagung ließ ihm gut, und wenn er nicht mehr so frisch und munter aussah, wie vor dem Ereigniß, so war er doch in seinem stillen Wesen ebenso hübsch und — interessanter als vorher.
Der alte Schneider sah diesen Fortschritt mit Befriedigung. Da er den Burschen jetzt in der Hand hatte, so wollte er ihn noch nicht drängen, die Sache mit der Sibylle richtig zu machen. Für einen Freier ließ er noch immer zu sehr den Kopf hängen. Aber das mußte in wenigen Tagen aufhören, und dann sollte der Handel rasch abgemacht sein.
Zehn Tage waren verflossen seit jenem tragischen Auseinanderkommen, und Tobias und die Bäbe hatten sich auch nicht aus der Ferne gesehen. Endlich geschah doch, was auf dem Dorf unvermeidlich ist — sie begegneten sich; und zwar in dem Gäßchen zwischen Hecken, das sie früher so liebend und glücklich gesehen. Wie der Bursche das Mädchen von fern erblickte, gab es ihm einen Stich ins Herz; aber er faßte sich und ging mit dem Ausdruck ernster Entsagung an ihr vorüber. Nur von weitem hatte er ihr Gesicht so roth wie früher, aber stolz und gleichgültig gesehen; als sie ihm näher kam, lenkte er den Schritt etwas auf die
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